«Die Würde Europas steht auf dem Spiel»
Der Tessiner FDP-Ständerat Dick Marty steht als Sonder-Berichterstatter des Europarats zu den CIA-Gefängnissen zur Zeit im internationalen Rampenlicht.
Die «Suche nach der Wahrheit» hat die Karriere des liberalen Freidenkers gekennzeichnet. Im Gespräch mit swissinfo zeigt er auch seine persönliche Seite: «Ich bin ein Einzelgänger.»
In Paris hatte Dick Marty vor kurzem seinen grossen Auftritt. Vor dem Rechtsausschuss des Europarats erklärte der 60-jährige Tessiner Ständerat in einem Zwischenbericht, dass sich die Indizien verdichtet haben, wonach der US-Geheimdienst CIA Terrorverdächtige verschleppt, gefoltert und zwischen mehreren Ländern hin und her geflogen hat.
Seit Marty, Mitglied der Freisinnig-Demokratischen Partei (FDP), die heikle Mission zu den CIA-Tätigkeiten übernommen hat, steht er im internationalen Rampenlicht. Journalisten aus aller Welt bestürmen ihn. «Mein Telefon klingelt ständig», stöhnt Marty.
«Al-Jazeera» lud ihn ein, CNN und das Schweizer Fernsehen SF wollten ihn für Reportagen ständig begleiten. Doch er winkte ab. «Ich mag es nicht, so im Schaufenster zu stehen», beteuert Marty. «Ich bin eigentlich ein Einzelgänger.»
Einsatz für Menschenrechte
Doch über seine Aufgabe spricht er gerne, denn er sieht darin eine extrem wichtige Mission: «Wenn Leute ohne rechtliche Grundlagen verschleppt und gefoltert werden, steht die Würde unseres Kontinents auf dem Spiel.» Jahrhunderte habe man in Europa gebraucht, um diese Praktiken auszurotten, dann dürfe man sie nicht über Nacht wieder einführen beziehungsweise dulden.
Wenn es um Menschenrechte geht, kennt Marty keinen Pardon. Deshalb votierte er auch vor kurzem gegen die Verschärfung des Asylrechts und beobachtet voller Skepsis die eingeleiteten Massnahmen gegen Hooligans in der Schweiz. «Ein Rechtsstaat muss sich mit rechtsstaatlichen Mitteln gegen Terrorismus und Gewalt wehren», ist Jurist Marty überzeugt.
Im Parlament ist er als brillanter Redner bekannt. Doch in der FDP wirkt er manchmal wie ein Fremdkörper. Als «Nonkformisten» bezeichnete ihn eine Zeitung aus der Westschweiz. Als «Liberal-Sozialer» gilt er in seinem Heimatkanton.
Schwierige Kindheit
Marty hat im Leben gelernt, auf sich selber zu hören und seinen eigenen Weg zu gehen. Das kommt nicht von ungefähr. Bis zum sechsten Lebensjahr war er praktisch blind. Nur dank einer Augenschule verbesserte sich die Sehkraft auf 50 Prozent.
Als Spross einer protestantischen Familie aus der Romandie wuchs er im katholischen Tessin auf. Dadurch blieb er immer ein wenig ein Aussenseiter. «Doch das Leben in der Diaspora gibt einem Kraft», lächelt er.
Während der Ausbildung schlägt er ebenfalls ungewöhnliche Pfade ein. Nach dem Lizenziat in Rechtswissenschaften an der Uni Neuenburg geht er 1969 ans Max-Planck-Institut für internationales Strafrecht in Freiburg im Breisgau.
Nach seiner Promotion arbeitet Marty ab 1975 als Staatsanwalt im Tessin und macht sich schnell als unerschrockener Ermittler einen Namen. Seine Untersuchung im Rahmen der Libanon-Connection zu internationalem Drogenhandel löst ungewollt ein politisches Erdbeben aus.
Rücktritt von Bundesrätin ausgelöst
Er stösst auf eine Firma, in deren Verwaltungsrat Hans W. Kopp sitzt, der Gatte der damaligen Bundesrätin Elisabeth Kopp. Ein warnendes Telefon der Justizministerin an ihren Mann und ihre widersprüchlichen Aussagen bewirken den Rücktritt der ersten Schweizer Bundesrätin. Für seine engagierte Arbeit gegen die Drogenkriminalität erhält Marty 1987 vom US-Justizdepartement einen «Award of Honor».
1989 erfolgt der Sprung in die Tessiner Regierung, wo er sechs Jahre Finanz- und Baudirektor ist. Im Herbst 1995 wird er auf Anhieb in den Ständerat gewählt, die kleine Parlamentskammer; ab 1998 sitzt er auch im Europarat.
Im Parlament erreicht er die Registrierung von Pre-Paid-Handys im Kampf gegen den internationalen Terrorismus. 1999 steht er als Anwärter für den Posten des Bundesanwalts zur Debatte, nachdem Carla Del Ponte nach Den Haag berufen wurde.
Rückschläge zu verkraften
Doch es gibt Rückschläge: Der Einsatz für die Straffreiheit des Drogenkonsums scheitert. Im Europarat gerät Marty 2004 als Befürworter der aktiven Sterbehilfe (unter bestimmten Bedingungen) unter starken Druck.
Marty lässt sich auch von Rückschlägen oder politischer Isolation nicht beirren: «Einsamkeit macht mir nichts aus, denn ich bin – wie gesagt – von Natur aus ein Einzelgänger.»
Diese Einsamkeit sucht er auch in einem kleinen Dorf des Malcantone. Dorthin ist er vor einigen Jahren gezogen. «Diese Welt entspricht ganz meiner Natur», sagt Marty.
swissinfo, Gerhard Lob, Bern
7. Januar 1945: Dick Marty wird in Lugano geboren.
1975: Marty promoviert in Rechtswissenschaften an der Uni Neuenburg.
1975-1989: Tätigkeit als Staatsanwalt.
1989-1995: Regierungsrat.
1995: Wahl in den Ständerat für die FDP.
November 2005: Marty wird Sonderberichterstatter des Europarats zu umstrittenen CIA-Gefangenentransporten.
Zivilstand: Verheiratet, drei erwachsene Töchter.
Der Tessiner FDP-Ständerat Dick Marty (60) kann auf eine lange Karriere als Staatsanwalt und als Politiker zurückblicken. Als Sonderberichterstatter des Europarats zu den umstrittenen CIA-Gefangentransporten kommen ihm beide Erfahrungen zu Gute.
Marty hat wiederholt unterstrichen, dass er seinen Auftrag nicht als «Ermittler gegen die USA» sieht. Es gehe ausschliesslich um bestimmte Vorgänge unter der Administration Bush.
Er lobt die Arbeit von amerikanischen Organisationen wie «Human Rights Watch» oder einer Zeitung wie «Washington Post». Erst eine Veröffentlichung dieser Zeitung löste Anfang November in Europa die Debatte über die geheimen CIA-Gefangenentransporte aus.
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