Die Wut der Fahrenden
Exponenten Schweizer Fahrender reagieren mit Enttäuschung und Empörung auf den Entscheid des Ständerats, die Übereinkunft zum Schutz der Ureinwohner nicht zu ratifizieren.
«Es ist eine riesige Enttäuschung, wie mit uns Opfern der Aktion ‹Kinder der Landstrasse› umgegangen wird», sagt Ueli Grass, Präsident des Vereins «Schinagel» gegenüber swissinfo. «Schinagel» ist das jenische Wort für Arbeit und steht für ein von Schweizer Fahrenden initiiertes Projekt, das unter anderem eine Job-Börse für Fahrende und ein auf die Lebensweise jenischer Kinder abgestimmtes Ausbildungs-Programm vorsieht.
Das Nein des Ständerats
In der Seele vieler Schweizer Fahrender brodelt es: Der Ständerat sprach sich am vergangenen Mittwoch mit 28 zu 5 Stimmen überaus deutlich gegen die Ratifizierung der internationalen Übereinkunft zum Schutz indigener Völker aus. Die 1989 in Kraft getretene Konvention 169 der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) verankert die Gleichberechtigung indigener Völker in der Arbeitswelt und legt Grundwerte fest, wie das Recht auf ein eigenes Territorium, auf eine eigene Lebensweise, Kultur und Sprache. Bisher haben 14 der 175 IAO-Mitgliedsländer die Konvention ratifizert.
Im vergangenen Juni hatte der Nationalrat mit einer knappen Mehrheit von 78 zu 72 Stimmen der Motion für die Ratifizierung zugestimmt – gegen den Willen des Bundesrats. Die Landesregierung räumte bei der Begründung ihrer ablehnenden Haltung ein, dass man die allgemeinen Ziele der Konvention wohl unterstütze. Aus Kreisen der Schweizer Fahrenden seien jedoch unverhältnismässige Ansprüche zu befürchten.
Die Motions-Befürworter argumentierten, man habe in erster Linie den Schutz von weltweit gegen 5000 bedrohten Ur- und Stammesvölkern im Auge. Ob die Schweizer Fahrenden auch dazu zählten, sei hingegen unklar.
Fahrende sind älter als Schweizer
«Natürlich haben wir Ansprüche. Wir brauchen beispielsweise entschieden mehr Standplätze für die rund 2’500 praktizierenden Schweizer Fahrenden», erklärt Ueli Grass. «Es gab auf dem Gebiet der Schweiz Fahrende, lange bevor dieses Land im heutigen Sinn bestand.»
Als sich der Ständerat am vergangenen Mittwoch die Argumente des Bundesrats zu eigen machte und die Konvention verwarf, erklärte CVP-Ständerat und Motions-Gegner Bruno Frick beschwichtigend, das Nein zur Motion sei nicht als Stimme gegen die Fahrenden als solche zu verstehen.
Wird es aber, nicht nur bei Ueli Grass, sondern auch bei Ernst Spichiger, ebenfalls Opfer der Aktion «Kinder der Landstrasse» und Mitinitiant des «Schinagel»-Projekts: «Ich bin wütend. Im letzten Jahrhundert zerstörte man unsere Lebensgrundlage. Jetzt verhindert man eine Konvention, mittels derer wir endlich effektiv für unsere Rechte hätten kämpfen können.»
Bereicherung statt Fremdkörper
Seit 20 Jahren schon, erklärt Spichiger, buhlten er und sein Volk um Anerkennung: «Wir möchten lediglich willkommen sein. Wir möchten, dass man uns als Bereicherung wahrnimmt.»
Schützenhilfe erhalten die Fahrenden von der «Gesellschaft für bedrohte Völker». Sie bedauert den Entscheid des Ständerats, werde damit doch «die kulturelle Eigenart und die Existenz-Berechtigung der Fahrenden erneut desavouiert».
Nachholbedarf
Bis zur breiten Akzeptanz der Fahrenden ist es noch ein weiter Weg. Dies weiss Doris Angst von der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus: «Fahrende sind zu meinem Erstaunen im Bewusstsein der Öffentlichkeit und der Behörden fast nicht vorhanden – und falls ja, nur sehr negativ.»
Nach dem ständerätlichen Nein geht die strittige Motion zur Differenz-Bereinigung zurück in den Nationalrat. Ob dort die hauchdünne Mehrheit vom vergangenen Juni ein zweites Mal zustande kommt, ist mehr als fraglich.
Felix Münger
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