«Diese Abfahrt hat der Herrgott gemacht»
Wengen feiert am Wochenende 75 Jahre Lauberhorn-Rennen. Der 11-fache Sieger Karl Molitor erklärt swissinfo, was die Abfahrt zum Klassiker machte.
Der Anlass ist heute ein Top Event und wichtiger Wirtschaftsfaktor für die Jungfrau-Region im Berner Oberland – auch dank des Fernsehens.
In der Formel 1 ist es der Grand Prix von Monaco, im Fussball das Wembley-Stadion, Paris-Roubaix für die Radrennfahrer: Die Rede ist von den absoluten Klassikern, die in jeder Sportart einen mythenumrankten Sonderstatus haben.
«Vom Herrgott gemacht»
Die Klassiker für die Ski-Asse sind die Lauberhorn-Abfahrt und das Rennen auf der Streif in Kitzbühel. «Die Lauberhorn-Abfahrt und die Streif hat der Herrgott gemacht, die anderen der Kässbohrer», sagt Karl Molitor mit dem Schalk eines 85-Jährigen.
Der Charakter der Strecke sei von der Topographie des Berges und der Umgebung geprägt, nicht von Planierraupen. «Passagen wie das Brüggli-S oder die Bahnunterführung würde die FIS heute nicht mehr akzeptieren, sie sind nicht mehr up to date, machen aber gerade den speziellen Charakter der Abfahrt aus», so Molitor.
Molitor, der König vom Lauberhorn
Weitere Besonderheit: Die Lauberhorn-Anfahrt ist das älteste und mit seinen knapp 4,5 Kilometern das längste Weltcup-Rennen. Die Rennen, immer Abfahrt und Slalom, seien zudem auch während des Zweiten Weltkrieges durchgeführt worden.
Der Wengener Molitor, der noch täglich im vom Sohn weiter geführten Sportgeschäft steht, ist einer, der es genau weiss: Mit seinen insgesamt 11 Siegen, sechs zweiten und drei dritten Plätzen ist er selber ein «Klassiker». Und natürlich einer der Ehrengäste der Jubiläums-Austragung vom Wochenende.
Vor Eiger, Mönch und Jungfrau
«Der Sprung am Hundschopf, vor der Kulisse von Eiger, Mönch und Jungfrau, das ist in seiner ‹Spektakularität› einzigartig.» Molitor hatte die Strecke bis vor zwei Jahren immer noch selber mit den Skis bewältigt, wenn auch nicht mehr im Tempo von einst.
A propos Geschichte: Seinen ersten Abfahrtssieg errang Molitor 1939 mit knapp 10 Sekunden Vorsprung, nachdem er im Ziel-S erst noch kurz in den Schnee hatte greifen müssen…
Abfahrts-«Marathon»
Und weiter geht die imaginäre Schussfahrt mit dem Lauberhorn-Doyen, hinein ins «Österreicherloch», wo 1954 gleich vier Fahrer aus dem östlichen Nachbarland gestürzt waren. «Eine der wenigen Stellen, die maschinell verändert worden sind», wie Molitor erwähnt.
Der Schwierigkeitsgrad, so ein weiteres Charakteristikum, nehme vom Start bis ins Ziel stetig zu. «Im Ziel-S, wenn die Oberschenkel nach über zwei Minuten Fahrt brennen, kann man alles verlieren, was man vorher gewonnen hat, oder alles gewinnen», beschreibt der ehemalige Seriensieger die Schlüsselstelle.
Sailer, Schranz, Killy…
Schliesslich gehört laut Molitor auch noch der «Guggiföhn» zum Lauberhorn: Eine Wetterkapriole in Form eines warmen Windes, der den Schnee zum Schmelzen und die Organisatoren an den Rand der Verzweiflung bringen kann.
Wie bei jedem Klassiker in der Sportwelt ist die Geschichte der Lauberhorn-Abfahrt ein Epos, das reich an Triumphen ist: Es wurden Ski-Helden geboren wie Molitor, Toni Sailer, Karl Schranz, Jean-Claude Killy, Franz Klammer oder Peter Müller.
… und selten ein Schweizer
Noch zahlreicher aber sind die kleinen und manchmal grösseren Tragödien, von denen oft gerade die Schweizer Rennfahrer heimgesucht wurden: So gab es für die einheimischen Cracks ab 1950 eine 24-jährige Durststrecke, die erst Roland Collombin mit seinem Triumph 1974 beenden konnte.
Tragischer Tiefpunkt in der Geschichte des Rennens markiert der tödliche Sturz des Österreichers Gernot Reinstadler, der 1991 in der Qualifikation im Zielsprung verunglückte. Das Rennen wurde darauf abgesagt.
Wichtiger Wirtschaftsfaktor
Januar für Januar garantieren die Lauberhorn-Rennen, so denn Frau Holle und Guggiföhn gnädig sind, den pro Tag rund 26’000 Zuschauern am Pistenrand sportliches Spektakel.
Der Tourismus-Region Jungfrau generiert der Top Event jeweils Umsätze von knapp 9 Mio. Franken. Die Zahl der Übernachtungen liegt bei über 30’000. Damit ist der Anlass zum wichtigen Faktor der regionalen Wirtschaft geworden.
swissinfo, Renat Künzi
Die Abfahrt vom Samstag wird ab 11:30 MEZ bei swissinfo via Livestream übertragen.
Der Wengener Karl Molitor ist mit 11 Erfolgen Rekordsieger am Lauberhorn.
Den letzten Schweizer Abfahrts-Sieg feierte Bruno Kernen 2003.
Kernen ist auch 2005 aussichtsreichster Schweizer.
Zum Jubiläum ist ein Buch erschienen: «Lauberhorn Die Geschichte eines Mythos», von Martin Born et al., AS Verlag, 2004.
Die Lauberhorn-Abfahrt wird 75-jährig.
Sie ist mit der Streif in Kitzbühel der Klassiker des Skirennsports.
Gründe: Naturstrecke mit nur wenig künstlichen Entschärfungen;
Älteste und längste Weltcup-Abfahrt;
Vor der Kulisse von Eiger, Mönch und Jungfrau.
Heute auch gesellschaftlicher Top Event, welcher der Jungfrau-Region knapp 9 Mio. Franken einbringt.
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