Dignitas sorgt für Empörung
Mit dem begleiteten Freitod von zwei Deutschen in ihren Fahrzeugen auf einem Waldparkplatz bei Zürich macht die umstrittene Sterbehilfeorganisation erneut Schlagzeilen.
Besonders in Deutschland, aber auch in der Schweiz, stösst das Vorgehen der Organisation von Ludwig A. Minelli auf scharfe Kritik.
Der Bericht des Schweizer Fernsehens über den unterstützten Suizid zweier Deutscher auf einem Waldparkplatz der 9000-Seelen-Gemeinde Maur bei Zürich hat einen Sturm der Entrüstung in der Schweiz und auch in Deutschland ausgelöst.
Als «pietät- und geschmacklos» bezeichnete etwa der Gemeindepräsident von Maur, Bruno Sauter, den Tod im Auto. Dignitas-Gründer Ludwig A. Minelli wohnt in Maur.
«Jetzt ist Dignitas zu weit gegangen», schimpfte ein Parlamentarier im Radio und kündigte neue Initiativen gegen den «Todestourismus» an. Die freisinnige Natinalrätin Doris Fiala spricht gegenüber Le Matin von «nicht tolerierbarer Verletzung der menschlichen Würde».
Minelli weist die Vorwürfe in einer Stellungnahme zurück: Die gegenwärtigen Schwierigkeiten, die Dignitas habe, seien auf «rechtswidrige Verbote einiger Gemeinden um Zürich zurückzuführen», sagte Minelli gegenüber dem Tages Anzeiger. «Diese Verbote sind vor Gericht angefochten.»
«In der Zwischenzeit hat Dignitas keine andere Wahl, als Mitgliedern, welche ihr Leben beenden möchten, anzubieten, dies in einem schweizerischen Hotel durchzuführen.» Wenn jemand das Auto dem Hotelzimmer vorziehe, habe die Organisation dies zu akzeptieren.
Der Tod auf dem Parkplatz wird auch von Bestattungsunternehmer Urs Gerber kritisiert, der sonst zugibt, dass man in diesem Gewerbe «durch einiges durch» müsse. Er spricht von «unwürdigen Rahmenbedingungen», wenn er etwa die Leichname aus dem Auto holen und auf den Boden legen muss.
«Rechtslage eindeutig»
Für Staatsanwalt Jürg Vollenweider gibt es keine Möglichkeit, einen solchen öffentlichen Freitod zu unterbinden. «Wer in der Natur oder etwa in seinem geliebten Auto sterben möchte, kann das natürlich tun», sagt er dazu. Da sei die Rechtslage eindeutig. Und das weiss auch Minelli.
Aber es gibt auch Gegenstimmen. Sterbeorganisationen seien es ja gerade, die solchen Menschen behilflich seien, die angesichts ihrer krankheitsbedingten Aussichtslosigkeit nur noch in Würde sterben wollten, sagen Befürworter.
Deutscher Sterbetourismus und nationale Regelung
«Zum selbstbestimmten Leben gehört auch selbstbestimmtes Sterben in Würde», meint dazu der Zürcher Kantonsparlamentarier Urs Lauffer. Den vielen parlamentarischen Vorstössen auf lokaler Ebene gegen eine Ausuferung dieses Prinzips, etwa dadurch, dass die meisten der rund 200 Sterbewilligen aus Deutschland kommen, könnten nun schon bald wieder solche in den Kammern des nationalen Parlaments folgen.
Aus Deutschland, von wo die meisten Sterbewilligen stammen, kommt auch die grosse Empörung. «Das ist menschenunwürdig und nicht akzeptabel», sagte der SPD-Innenpolitiker Dieter Wiefelspütz der in Hannover erscheinenden Neuen Presse.
Man müsse alle Register ziehen, um der Organisation Dignitas das Handwerk zu legen. Wiefelspütz nannte es unvorstellbar, dass solche Fälle von Sterbehilfe in Deutschland geduldet würden.
Mit Hilfe einer gesetzlich geregelten Patientenverfügung und der Bundesratsinitiative zum Verbot der geschäftsmässigen Vermittlung von Gelegenheiten zur Selbsttötung werde man verhindern, dass es künftig solche Fälle in der Bundesrepublik gebe.
Die hannoversche Landesbischöfin Margot Kässmann zeigte sich schockiert. «Das ist genau die Art eines menschenunwürdigen Sterbens, die in Dignitas von Anfang an angelegt gewesen ist.» Sie forderte eine stärkere Debatte über Alternativen zur Sterbehilfe.
Der deutsche Ärztepräsident Jörg-Dietrich Hoppe warf Dignitas «Geschäftemacherei unter dem Deckmantel der Nächstenliebe» vor. Mit der Methode des assistierten Suizids solle das Verbot der Tötung auf Verlangen umgangen werden, wurde er zitiert. Es handle es sich um aktive Sterbehilfe.
In Deutschland verboten, in der Schweiz erlaubt
In der Schweiz ist anders als in den Nachbarländern Suizidhilfe erlaubt. Deshalb reisen sterbewillige Ausländer in die Schweiz.
Aber die so genannte, von Jörg-Dietrich Hoppe genannte aktive Sterbehilfe, also die gezielte Tötung zur Verkürzung des Lebens, ist auch in der Schweiz verboten.
Denn als Bedingung für jede Freitodbegleitung in der Schweiz gilt, dass der sterbewillige Mensch den letzten Schritt – das Trinken des in Wasser aufgelösten Barbiturats oder das Drehen des Infusionshahns – selber macht.
swissinfo und Agenturen
Indirekte aktive Euthanasie (aktive Sterbehilfe): Einsatz von Mitteln, deren Nebenwirkungen die Lebensdauer herabsetzen können.
Passive Sterbehilfe: Verzicht auf die Einleitung lebenserhaltender Massnahmen, oder Abbruch solcher Massnahmen.
Beide Methoden gelten in der Schweiz als zulässig.
Direkte aktive Sterbehilfe: gezielte Tötung zur Verkürzung der Leiden eines Menschen.
Diese Methode ist in der Schweiz strafbar.
«Sterbetourismus»: Unheilbare Kranke aus umliegenden Ländern, deren Gesetzgebung restriktiver ist, reisen in die Schweiz, um sich beim Sterben helfen zu lassen.
Schweiz: Sehr liberale Praxis. Passive Euthanasie (Einstellen einer Therapie, Abstellen von Maschinen) nicht strafbar.
Aktive Euthanasie gilt als Tötung und ist strafbar.
Deutschland: Suizidbeihilfe ist Ärzten untersagt.
Frankreich: Passive Euthanasie ist Ärzten und Angehörigen künftig erlaubt. Aktive Euthanasie aber weiterhin verboten.
Italien: Weder aktive noch passive Sterbehilfe sind erlaubt.
Niederlande und Belgien: Aktive Euthanasie ist unter bestimmten Bedingungen erlaubt.
England: Restriktivste Regelung in Europa. Sterbehilfe ist gesetzlich nicht vorgesehen («Sterbetourismus»).
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