Dogu Perinçek wegen Völkermord-Leugnung verurteilt
Der türkische Politiker ist vom Bezirksgericht Lausanne zu einer bedingten Geldstrafe verurteilt worden. Er wurde für schuldig befunden, gegen die Antirassismus-Strafnorm verstossen zu haben.
Perinçek ist die erste Person, die wegen der Leugnung des Genozids an den Armeniern zur Rechenschaft gezogen wird. Mit seinem Urteil folgte das Gericht weitgehend dem Antrag der Anklage.
«Der Völkermord an den Armeniern ist international und in der Schweiz anerkannt», begründete Einzelrichter Pierre-Henri Winzap am Freitag sein Urteil. Neben dem Nationalrat und den Kantonen Waadt und Genf betrachteten auch die Schweizer Universitäten und Schulen die Massaker an den Armeniern im Ersten Weltkrieg als Völkermord.
Dass der Bundesrat es vorziehe, zu dem Thema zu schweigen, sei wegen dessen Sorge um die internationalen Beziehungen verständlich, sagte Winzap weiter. Der Rassist und Nationalist Perincek habe genau gewusst, was er tue und sei deshalb zu verurteilen. Sein Motiv sei klar rassistisch gewesen.
Er auferlegte Perincek eine Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu 100 Franken bedingt sowie zu einer Busse von 3000 Franken. Zudem muss er die Gerichtskosten übernehmen und der Gesellschaft Schweiz-Armenien (GSA) einen symbolischen Betrag von 1000 Franken zahlen.
Perincek sieht sich als Rassimus-Opfer
«Das ist ein rassistisches und imperialistisches Urteil», sagte Perincek unmittelbar nach der Verhandlung. Aber das treffe nicht ihn, sondern das Schweizer Volk, das nicht frei über die Geschichte sprechen dürfe. Er kündigte an, das Urteil weiterzuziehen.
Perincek sieht sich als Opfer in einer Linie mit Galilei, Robespierre und Marx, die ebenfalls für ihre Ideen verurteilt worden seien. Der Richter sei nicht neutral gewesen und hasse ihn. Das Urteil sei ferner eine Revanche des Imperialismus und folge der Unterdrückungspolitik der USA im mittleren Osten, sagte Perincek.
Er werde seine Aussagen weiterhin machen. Wissenschaftliche Überzeugungen könnten weder durch Drohungen oder Gefängnis verändert werden, sagte Perincek. Vor Gericht hatte der Negationist gesagt, dass er seine Position auch dann nicht ändern würde, wenn eine unabhängige Expertenkommission zu einem anderen Schluss käme als er.
Lob
«Das Gericht hat richtig entschieden. Es hat erklärt, dass das Urteil keine Wahrheitsfrage sei, da diese schon entschieden sei», sagte Georg Kreis, Präsident der Eidgenössischen Kommission gegen Rassimus (EKR) gegenüber swissinfo.
Hauptpunkt sei vielmehr die diffamierende Seite der Negierung. «Die Strafnorm steht ja auch im Antirassismusgesetz, das kein Gesetz über historische Wahrheit ist», sagte der Historiker.
Das Urteil habe Signalwirkung, auch wenn der Direktbetroffene sich als unbelehrbar erweise, ist Kreis überzeugt. Er wünscht sich aber, dass diese Signalwirkung bis ins Bundesratszimmer reiche. «Man darf das Gesetz nicht – wie jüngst im Zuammenhang mit dem Holocaust geschehen – wegen ‹Bauchschmerzen› des Justizministers in Frage stellen, denn das Schweizer Volk hat dieses Gesetz angenommen», sagte der Kommissionspräsident.
Der Schiedsspruch hat laut Kreis aber auch Grenzen. «Es soll keine Geschichtsschreibung via Gerichtsbeschluss sein, deshalb hat der Richter auf historische Befunde hingewiesen und diese nicht selber zum Gegenstand seines Urteils gemacht.»
Erleichterung, aber keine Freude
Perincek ist gemäss Aussagen von Vertretern der GSA die erste Person, die wegen Leugnung des Völkermordes an den Armeniern verurteilt wurde. Diese zeigten sich erleichtert nach dem Schuldspruch. Freude empfänden sie aber nicht, die Ereignisse von 1915 könnten niemals dazu Anlass geben, sagte der GSA-Co-Präsident Sarkis Shahinian.
Armenien wirft dem Osmanischen Reich als Vorläufer der Türkei vor, in Anatolien zwischen 1915 und 1917 eineinhalb Millionen Armenier bei Vertreibungen gezielt ermordet zu haben.
Perincek hatte im Jahr 2005 in der Schweiz mehrmals den Genozid an den Armeniern im zerfallenden osmanischen Reich als «internationale Lüge» bezeichnet. Er war deshalb in den Kantonen Zürich, Bern und Waadt angezeigt worden. Die GSA war als Zivilklägerin anerkannt worden.
swissinfo und Agenturen
Dogu Perinçek, der Chef der Türkischen Arbeiterpartei, hatte im Sommer 2005 in Reden in den Kantonen Waadt, Zürich und Bern zur Armenierfrage gesprochen. Dabei hatte er den Völkermord an den Armeniern im Jahr 1915 in Abrede gestellt.
In der Schweiz haben der Nationalrat und das Waadtländer Kantonsparlament den Genozid an den Armeniern ausdrücklich als solchen anerkannt.
Dies hat zu Spannungen in den Beziehungen zwischen der Schweiz und der Türkei geführt.
Die Antirassismus-Strafnorm (Artikel 261bis Strafgesetzbuch) wurde 1994 in einer Volksabstimmung mit 54,7% Ja-Stimmen angenommen und trat 1995 in Kraft.
Sie verbietet, öffentlich zu Hass oder Diskriminierung von Menschen aufzurufen, die anderen Rassen, Ethnien oder Religionen angehören. Ebenfalls unter Strafe gestellt ist das Leugnen von Völkermorden.
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