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Drogensüchtige rufen um Hilfe

Der Eingang zum Kontakt-Zentrum, wo Süchtige etwas Hilfe erhalten. swissinfo.ch

Usbekische Drogenabhängige werden als Kriminelle gebrandmarkt und aus der Gesellschaft verstossen. Mit Schweizer Hilfe wurde jetzt in Taschkent ein Kontakt-Center eröffnet.

Dort erhalten Heroinabhängige Vertrauen und saubere Spritzen.

«Wenn dich die Polizei beim Setzen eines Schusses erwischt, oder wenn deine Arme Spuren davon zeigen, dann heisst das drei Jahre Gefängnis», erzählt Micha*.

Der etwa 35-jährige Heroinabhängige ist HIV-positiv und hat schon neun Jahre im Gefängnis verbracht. Seine Ausführungen illustrieren die repressive Drogenpolitik der usbekischen Behörden; ein Relikt aus Sowjet-Zeiten.

Als Asoziale oder Kriminelle klassifiziert, werden Süchtige von der Regierung wie Ausgestossene behandelt. Über die Probleme wird die meiste Zeit geschwiegen.

Der Entzug ist offiziell die einzige wirksame Möglichkeit, mit Drogenabhängigen umzugehen. Überlebenhilfen werden keine angeboten. Aber angesichts des Ausmasses des Problems scheint sich die Haltung der Behörden zu ändern.

Billiges Heroin auf der Schmuggelroute

Mit Afghanistan – dem weltgrössten Heroin-Produzenten – als Nachbarland ist Usbekistan längst zu einer wichtigen Drehscheibe des Handels geworden. Von hier gelangt die Droge nach Europa.

Entsprechend ist Heroin in der Hauptstadt Taschkent billig zu haben: Die Dosis für einen Schuss kostet umgerechnet zwischen 30 Rappen und 5 Franken – je nach Qualität und Angebotsvielfalt.

Um die sozialen Auswirkungen der Heroinabhängigkeit einzudämmen, beispielsweise Arbeitslosigkeit oder das Zerbrechen von Familien, hat Contact Net im Jahr 2002 ein Kontakt-Zentrum in Taschkent eröffnet.

Spritzen verteilen wie in der Schweiz

Hauptziele der Schweizer Nichtregierungs-Organisatin (NGO) sind Aids-Prävention, Unterstützung der am meisten verletzlichen Frauen und Kinder sowie die Verbesserung der Lebensumstände von Drogenabhängigen.

Das Zentrum gibt gratis neue Spritzen ab, wie das in der Schweiz schon seit Jahren praktiziert wird.

Zudem soll auch ein Mentalitätswandel gefördert werden, damit Abhängige wie Kranke betrachtet und entsprechend behandelt werden.

Ein gesellschaftliches Problem

Verteilt werden die Spritzen von Freiwilligen, deren Motivationen sehr unterschiedlich sind.

Timour, seit zwei Jahren «clean», erzählt, er habe verstanden, dass seine abhängigen Freunde Hilfe brauchten. «Einige sind im Gefängnis, andere sind gestorben, ohne überhaupt zu wissen, dass sie durchs Spritzen Hepatitis oder Aids kriegen können.»

«Ich will versuchens die Gesellschaft zu schützen», erklärt Malika, eine andere Freiwillige, «weil ich keine Garantie habe, dass meinen Kindern in Zukunft Drogen-Probleme erspart bleiben werden.»

Via die Szene wirken

Zudem gibt die Organisation Drogenabhängigen Spritzen, welche diese in der Szene verteilen – und dabei sollen sie Informationen über Contact Net verbreiten.

Auch wenn dieser Ansatz scheinbar kompliziert ist, so folgt er doch einer Strategie: Das Zentrum bekannt machen und vermitteln, dass Abhängige dort gut aufgenommen werden.

Dieses Projekt wäre niemals ohne die Bürgschaft des usbekischen Gesundheitsministeriums und der finanziellen Unterstützung des Schweizer Bundesamtes für Gesundheit (BAG) möglich gewesen. Das BAG zahlt von 2002 bis 2005 insgesamt 760’000 Franken für das Projekt.

Trotz Misstrauen ermutigende Ergebnisse

Einige Abhängige verstehen nicht, warum ihnen überhaupt saubere Spritzen verteilt werden und bleiben misstrauisch. Oder sie sind überzeugt, dass sie, nach jahrelanger Repression, gar keine Hilfe nötig haben.

Trotzdem sind die ersten Ergebnisse des Projektes erfolgsversprechend: Täglich kommen 3 bis 25 Personen ins Zentrum, einige kommen sogar aus eigenem Antrieb, ohne den Kontakt zu einem der Vermittler der Freiwilligen.

Auch Volodia* ist seit einigen Monaten immer wieder da. «Es ist ein sehr nützlicher Ort, es müsste in jedem Quartier der Stadt einen solchen geben», sagt sie. «Zu viele Abhängige haben aber noch Angst vor diesen Orten.»

Den Abhängigen ihre Würde zurück geben

Im Zentrum selber ist alles so eingerichtet, dass sich die Besucherinnen und Besucher entspannen können. In der Mitte des Zimmers steht ein Tischfussballkasten, an dem Kontakte geknüpft werden können. Konzentration, Lachen, Vorwürfe und Sieges-Schreie brechen sehr schnell das Eis und verleihen dem Ort eine spezielle Wärme.

Freiwillige sind immer bereit, jemandem in einem Nebenzimmer zuzuhören oder mit Ratschlägen zu helfen, oder sie geben in der zum Speisensaal umfunktionierten Küche Zwischenmahlzeiten aus.

Bei einem heissen Tee kommen die Besucher ins Erzählen. «Die Polizei verfolgt uns, anstatt uns zu behandeln», bedauert Pawel*. «Am schlimmsten aber ist, dass du im Gefängnis alle Drogen kriegst. Manchmal verkaufen sie sogar die Polizisten selber.»

Fixerräume frühestens in ferner Zukunft

Trotz alledem lässt sich die Direktorin des Zentrums nicht entmutigen. «Ich habe in der Schweiz Drogenabhängige gesehen, die ein normales Leben mit Arbeit und Kindern führen. Die Heroinabgabe erlaubt es ihnen, sich aus der Abhängigkeit zu befreien», sagt Natalya.

Gegenwärtig steht es allerdings ausser Frage, an die Eröffnung von Fixerräumen in Usbekistan auch nur zu denken. Das Kontakt-Zentrum ist ein erster, zaghafter Schritt um aufzuzeigen, dass Drogenabhängige Kranke und nicht Kriminelle sind.

swissinfo, Jean-Didier Revoin und Marzio Pescia, Taschkent
(Aus dem Französischen von Philippe Kropf)

* Namen von der Redaktion geändert

Offiziell gibt es in Usbekistan 8000 Abhängige, die Heroin spritzen.
In Realität liegt deren Zahl zwischen 40’000 und 80’000.

Usbekistan ist unfreiwillig zur wichtigen Drehscheibe von Heroin auf dem Weg von Afghanistan nach Europa geworden.

Die offizielle Statistik weist rund 20’000 Drogenabhängige aus, davon 8000, die Heroin spritzen.

Lokale Fachleute gehen jedoch davon aus, dass die Zahlen der Statistik mit 5 bis 10 multipliziert werden müssen, um das reale Ausmass zu widerspiegeln.

Die usbekische Drogenpolitik setzt auf massive Repression und Entzug.

Contact Net, eine Nichtregierungs-Organisation (NGO) mit Sitz in Bern, hat in der Hauptstadt Taschkent ein Kontakt-Zentrum für Drogensüchtige eröffnet.

Dort können diese ihre aufgezwungene Klandestinität verlassen, finden ein offenes Ohr und erhalten saubere Spritzen.

Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) finanziert das Projekt 2002 – 2005 mit 760’000 Franken.

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