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Druck auf Schweizer Kantonspolizeien wächst

"Verkehrte Welt" in Genf: Kantonspolizisten auf Demo-Zug durch die Strassen der Stadt. Keystone

In Genf gingen die Kantonspolizisten für bessere Arbeitsbedingungen auf die Strasse. Auch in anderen Kantonen sind die Ordnungshüter unzufrieden.

Anlass für die Krise sind personelle Unterbestände, massive Überzeit und eingefrorene Saläre.

«Die Krise in Genf ist nur die Spitze des Eisberges», sagt Jean-Pierre Monti, Generalsekretär des Verbandes Schweizerischer Polizeibeamter (VSPB), gegenüber swissinfo. Die Korps der meisten anderen Kantonspolizeien verfolgten die Entwicklung in Genf deshalb genau.

Zur Erinnerung: Anfang Monat hatten die Genfer Ordnungshüter in einer Demonstration die Kantonsregierung auf ihre Situation aufmerksam gemacht. Sie prangerten die chronischen personellen Unterbestände, die unbefriedigende Lohnsituation und permanente Überbelastung an. Nach diesem Eklat hatten sich beide Seiten auf Verhandlungen geeinigt.

Rekrutierung mit Lücken

Ein landesweiter Vergleich der Situation der Ordnungshüter ist praktisch unmöglich. Der «Kantönligeist» sorgt dafür, dass es im Land 26 verschiedene Kantonspolizeien mit unterschiedlichen Pflichtenheften, Kompetenzen und Lohnssystemen gibt.

Das Malaise ist aber laut Monti generell. «In der Schweiz fehlen 1500 bis 1600 Polizisten», erklärt er. Das seien 10% der kantonalen und kommunalen Sollbestände. So zähle etwa das kantonale Polizeikorps in Genf 757 Beamte. Per Gesetz wären aber 30 mehr vorgesehen, so Monti. Ähnlich sieht die Situation in anderen Kantonen aus, beispielsweise in Basel-Stadt.

Grenze erreicht

Auch im Kanton Bern wird der Sollbestand nicht erreicht. Laut Personalchef Ruedi Camichel betrage die Stärke im Jahresschnitt 1417 Beamte, vorgesehen wären deren 1434. «In manchen Bereichen sind wir ganz klar an der Grenze, in anderen sogar darüber», so Camichel. Dennoch bezeichnet er die Situation in Bern nicht als dramatisch.

In den Kantonen Waadt und Neuenburg dagegen können vakante Polizeistellen ohne grössere Probleme wieder besetzt werden. Keine grösseren Probleme meldet ebenfalls der Polizeisprecher des Kantons Zürich. Anders dagegen wiederum die Lage bei der Stadtpolizei Zürich, wo der Unterbestand seit dem Sommer bei 60 Stellen liegt.

Überstunden schnellen in die Höhe

Bei den meisten Korps addieren sich infolge der Situation die Überstunden. «Sie nähern sich gesamthaft gesehen der Millionen-Marke an», erklärt Monti. Nach dem G8-Gipfel sind es allein in Genf 370’000 Überstunden. Die Beamten der baselstädtischen Kantonspolizei haben 200’000 Überstunden auf ihrem Konto. Die Kapo Bern verzeichnet gut 96’000 Überstunden, Anfang April waren es noch 80’000 gewesen.

«Es sind vor allem die Korps in den grossen Agglomerationen, die wegen besonderer Ereignisse längere Dienstzeiten in Kauf nehmen müssen», so Monti. Die Folgen davon seien Motivations- und gesundheitliche Probleme.

Thema Löhne

Ein weiteres Problem liegt bei den Löhnen. Zwar erhalten alle Beamten in der Schweiz Zuschüsse und Prämien. Doch werden diese Entschädigungen nicht in allen Kantonen gleich gehandhabt.

Der Polizistenlohn beträgt in Genf netto 63’375 Franken pro Jahr. Das Realeinkommen inklusive Prämien und Entschädigungen ist 84’010 Franken. «Diese Differenz ist zwar erklecklich, aber in den meisten Kantonen sind die Gehälter seit langem eingefroren», kommentiert Monti.

Anerkannter Beruf

Der Ärger bei den Beamten wächst inzwischen weiter. Bern und die Kommandanten sind bemüht, Lösungen zu finden, welche die Korps beruhigen.

«Bern hat mit der Anerkennung des Berufes im April dieses Jahres einen wichtigen Schritt zur Aufwertung des Berufsbildes gemacht», sagt Monti. Er wertet dies als Beginn der Vereinheitlichung der Polizeiausbildung in der Schweiz.

Die ersten Beamten schliessen die drei Pilotschulen noch Ende dieses Jahres ab, als Polizeibeamte mit dem neuen eidgenössischen Fähigkeitsausweis. Der vereinheitlichte Ausbildungsgang fördere landesweite Lohnverhandlungen, schätzt Monti. Zudem gewinne der Beruf dadurch an Attraktivität.

Polizeiaufgaben erleichtern

Mit dem Projekt USIS streben das eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement und die kantonalen Polizeidirektoren eine bessere Aufgabenverteilung zwischen Bund und Kantonen an. «Ziel ist die Entlastung der kantonalen Pflichtenhefte», sagt Beat Hegg, Sprecher der Konferenz der kantonalen Justiz- und Polizeidirektoren.

Ähnliches strebt die Konferenz der kantonalen Polizeikommandanten mit ihrem Projekt Polizei XXI an. «Damit soll vor allem die Zusammenarbeit zwischen den einzelnen kantonalen Korps verbessert werden», so Hegg.

Von Einigkeit über die beiden Projekte kann aber noch keine Rede sein. «Wie in anderen Bereichen gelten auch bei der Polizeiarbeit die Prinzipien des Föderalismus», resümiert Jean-Pierre Monti. Denn die Kantone sträubten sich insbesondere dagegen, Kompetenzen an eine zentrale Organisation abzugeben.

swissinfo, Vanda Janka
(Übertragung aus dem Französischen: Renat Künzi)

Laut Polizeibeamten-Verband fehlen in der Schweiz bis 1600 Polizisten (10%).

Die Kantonspolizisten weisen total gegen 1 Mio. Überstunden auf.

«Spitzenreiter» sind die Genfer Beamten mit 370’000 Überstunden.

Der Bund und die kantonalen Polizeidirektoren wollen die Kantone entlasten.

Viele Kantone sind aber gegen eine zentrale Polizeiorganisation des Bundes.

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