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Durchzogene Bilanz für Schweizer Diplomatie

Micheline Calmy-Rey beim Besuch des palästinensischen Flüchtlingslagers Jabaliya im Gazastreifen von letztem Samstag. Keystone

Micheline Calmy-Reys Besuch in den palästinensischen Gebieten und Israel hat die Möglichkeiten und Grenzen der Schweizer Nahost-Diplomatie aufgezeigt.

Ihr Einsatz für das humanitäre Völkerrecht wurde gestärkt, urteilen Experten. Die politischen Positionen lösten in Israel dagegen Kontroversen aus.

Viele Nahost-Experten sind skeptisch, was die aktuellen Friedenschancen zwischen Israel und den Palästinensern angeht: Zu oft wurden solche in der Vergangenheit durch Gewalt und Terror sabotiert.

André Eschet Schwarz, Politologie-Professor mit Schweizer Wurzeln an der israelischen Universität von Haifa, ist optimistischer: «Der Rückzug aus dem Gazastreifen und dem nördlichen Westjordanland ist ein radikaler Wechsel in der Politik Ariel Scharons.»

Damit bewege sich der israelische Premier in Richtung der so genannten Road Map (Friedensplan der USA, EU, Russland und der UNO) und der Genfer Initiative.

Friedensprozess in Gang

Eschet Schwarz erteilt Kritikern, die den Rückzug aus Gaza als einziges territoriales Zugeständnis Israels werten, eine Absage: «Der Abzug bedeutet nicht das Ende des Prozesses. Die internationale Gemeinschaft würde genügend Druck machen, dass der Friedensprozess fortgeführt würde.»

Die Schweiz habe ihre Rolle konsolidiert: Calmy-Reys Vorschlag nach einem Runden Tisch von Experten zur Förderung des Handels im Gazastreifen sei auf positives Echo gestossen.

«Diese Frage ist entscheidend für die Lebensfähigkeit des Gazastreifens», so Riccardo Bocco vom Genfer Institut für Entwicklung (IUED). Gemäss den Genfer Konventionen – die Schweiz ist deren Depositärstaat – sei Israel Besatzungsmacht, auch nach einem allfälligen Abzug.

«Es müssen auch die Fragen nach der Luft- und See-Hohheit des Küstenstreifens geklärt werden», so Bocco weiter. Er leitet am IUED ein Studienzentrum zu Palästina, das von der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit des Bundes (DEZA) und verschiedenen UNO-Agenturen unterstützt wird.

Experten-Transfer

«Um diese heiklen Fragen anzugehen, kann die Schweiz juristische Experten zur Verfügung stellen.» Bocco streicht heraus, dass dies der Rolle der Schweizer Diplomatie als Vermittlerin bestens entsprechen würde.

Die guten Dienste der Schweiz werden bereits in einer anderen, noch delikateren Frage in Anspruch genommen: Die UNO-Generalversammlung hat das Land beauftragt, die humanitären und juristischen Konsequenzen des israelischen Mauerbaus zu untersuchen.

«Für die Bürger Israels verkleinert die Sicherheitsmauer das Risiko von Attentaten markant», sagt André Eschet Schwarz. Das Bauwerk sei deshalb ein sehr wichtiges defensives Element.

Mauerverlauf: Kompromiss möglich

Laut dem Professor ist aber in Israel eine sehr wichtige Debatte über den Verlauf der Mauer sowie deren Folgen für den Alltag der Palästinenser im Gang.

«Zu Beginn des Projektes war die Mauer recht weit vom Grenzverlauf von 1967 entfernt. Seither jedoch nähert sie sich unaufhörlich der grünen Linie an.» Eschet Schwarz hält es für möglich, dass die Schweizer Diplomatie hier einen für beide Seiten gangbaren Kompromiss erzielen könne.

Beziehungen getrübt

Die Weigerung Scharons, die Schweizer Aussenministerin persönlich zu empfangen, legt den Finger aber auf einen Schatten in den Beziehungen zwischen der Schweiz und Israel.

«Es besteht zwar eine lange Freundschaft, aber seit einigen Jahren ist eine deutliche Verschlechterung der Beziehungen zwischen den beiden Ländern festzustellen», bilanziert Eschet Schwarz. Diese habe beim Besuch von Bundesrätin Ruth Dreifuss im Mai 2000 ihren Anfang genommen.

«Die Sozialdemokratische Partei der Schweiz, der auch Dreifuss und Calmy-Rey angehören, hat die Errichtung des Grenzzauns verurteilt, was von israelischen Rechts- und Zentrums-Parteien als Einmischung in die inneren Angelegenheiten des Landes taxiert wurde», sagt dazu der Wissenschafter.

«Neutralitäts-Konflikt»

Gemäss denselben Parteien vertrage sich die Neutralität der Schweiz nicht mit deren Unterstützung der Genfer Initiative, einem alternativen Friedensvorschlag von Israelis und Palästinensern.

«Die Arbeitspartei Shimon Peres› ist da zwar ganz anderer Ansicht, hat aber im Vergleich zur Likud-Partei Scharons nur schwaches politisches Gewicht.»

Die Position der Schweiz zum israelisch-palästinensischen Konflikt ist aber gemäss Riccardo Bocco nicht allein Sache der Sozialdemokraten. «Die früheren Aussenminister Flavio Cotti und Joseph Deiss haben die Haltung der Schweiz ebenfalls vertreten.»

Trotz aller Divergenzen gebe es aber eine Domäne, die selbst in Israel kaum bestritten sei, so André Eschet Schwarz: «Die Hilfe der Schweiz zugunsten der palästinensischen Zivilbevölkerung wurde vom hebräischen Staat stets gut aufgenommen.»

swissinfo, Frédéric Burnand in Genf
(Übertragung aus dem Französischen: Renat Künzi)

Die letzten offiziellen Besuche von Mitgliedern der Schweizer Regierung in Israel:

Mai 1998: Bundespräsident Flavio Cotti.

Mai 2000: Bundesrätin Ruth Dreifuss.

März 2001: Bundesrat Joseph Deiss.

Februar 2005: Bundesrätin Micheline Calmy-Rey

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