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Ein Freiburger als Weltmeister-Macher Russlands

Keystone

Anfang der 1990er Jahre verhalf Slawa Bykow dem HC Freiburg-Gottéron zu einem sportlichen Höhenflug. Ein Rückblick auf die unglaubliche Geschichte, wie Jean Martinet die russischen Weltstars Bykow/Chomutow in die Schweiz holte.

Wer den Namen Jean Martinet hört, denkt unweigerlich auch an Slawa Bykow und Andrej Chomutow. Martinet war es, der nach dem Fall der Sowjetunion den unglaublichsten Transfer in der Geschichte des Schweizer Eishockeys einfädelte: Das russische «Traumpaar» Bykow/Chomutow stürmte fortan für Freiburg!

«Als der Club in grossen Schwierigkeiten steckte, willigte ich ein, das Amt des Präsidenten zu übernehmen. Eines Tages rief mich Tino Catti an, ein ehemaliger Spieler von Olten. Er teilte mir mit, dass Slawa Bykow und Andrei Chomutow auf dem Transfermarkt zu haben wären», schildert Martinet, wie alles anfing.

Die Linie Bykow-Chomutow-Kamensky war einst der Paradesturm von ZSKA Moskau und der sowjetischen Nationalmannschaft. Doch das war Jean Martinet gar nicht bewusst! «Ich hatte wenig Ahnung von Eishockey. Man hat mir dann erklärt, das wäre etwa so, wie wenn Maradona beim FC Freiburg spielen würde!»

Überzeugt von der Notwendigkeit, die zwei Stars nach Freiburg zu holen, besteigt er neun Tage später ein Flugzeug Richtung Moskau.

Billiger als die Schweizer!

Im Gepäck hat er Fotos vom zukünftigen Haus, Postkarten aus der Region, Unterlagen über Schulen für die Kinder. Er schildert den beiden Hockey-Göttern den Reiz der Schweiz und erwähnt die kurzen Distanzen, die es den Spielern erlaubten, mehr Zeit zu Hause zu verbringen.

«Der familiäre Aspekt spielte eine entscheidende Rolle. In Russland sahen sie ihre Frauen und Kinder nur ein paar Tage im Monat. Darin unterschied sich unser Angebot entscheidend von denen der NHL-Klubs», fährt Martinet fort. «Geld war für sie nicht das Wichtigste. Sie kosteten uns noch weniger als die Schweizer Internationalen!»

Das russische Traumduo nahm Freiburg im Sturm, die Stadt wurde von einer erstaunlichen «roten» Welle erfasst. Überall sowjetische Fahnen: Sie wurden im berstend vollen Eisstadion geschwungen, hingen in Schaufenstern der Geschäfte und aus Fenstern von Wohnungen.

Dabei war ja die kommunistische Sowjetunion gerade noch der jahrezehntelange, böse Hauptfeind der Schweiz gewesen…

Wie Söhne

Bykow und Chomutow wurden nur einige hundert Meter von Martinet Haus im Vorort Marly einquartiert. «Wir haben uns enorm um sie gekümmert, was sicher auch einer der Gründe war, warum sie sich so gut integrierten», so der Ex-Präsident. «Sie waren praktisch wie meine Söhne. Wir gingen sogar zusammen in die Ferien».

Bykow, der Extravertierte, lernte viel schneller französisch als Chomutow, der eher introvertiert war. Doch beide hatten keine grossen Probleme, sich in der Schweiz zu akklimatisieren. Der Kulturschock manifestierte sich am klarsten in der Garderobe nach dem Spiel. «Sie verstanden nicht, wie gewisse Spieler nach einem verlorenen Spiel scherzen konnten. Für sie war das unvorstellbar», sagt Martinet.

Anfang der 1990er Jahre gab es aber an der Saane nicht viele Niederlagen zu beklagen. Unter der Führung des «Duo Infernal» qualifizierte sich Gottéron dreimal in Folge für das Finale der Schweizermeisterschaft. Den Pokal konnten sie aber dennoch nie in die Höhe stemmen.

Blindes Verstehen

Die Verständigung zwischen den beiden russischen Spielern war phänomenal und funktionierte blindlings. «Slawa und Andrej hatten zwischen 600 und 700 Spielzüge im Kopf. Wenn einer den Puck hatte, wusste der andere sofort, wo er in Position laufen musste».

Als 1998 sein Vertrag in Freiburg auslief, wechselte Bykow für zwei Jahre nach Lausanne. Dort beendete er seine Karriere als Spieler. Seine nicht minder glanzvolle Trainerkarriere führte ihn schliesslich über ZSKA Moskau zur russischen Nationalmannschaft.

Slawa Bykow, Bürger von Freiburg, lebt heute wegen seiner beruflichen Verpflichtung meistens in Moskau. Jean Martinet wünscht sich von Herzen, dass sein Freund im Frühling in der Schweiz seinen zweiten Weltmeistertitel in Folge als Trainer der russischen Nationalmannschaft holen kann.

Doch das Wichtigste für ihn ist, dass dieser immer noch der gleiche Slawa sein wird, den er vor 20 Jahren kennengelernt hatte. «Ich mache mir keine Sorgen. Ob er von Putin empfangen wird oder vom Bürgermeister von Freiburg, Bykow bleibt sich immer treu», schwärmt Martinet.

«Trotz seiner Karriere und den Leistungen, die er erbracht hat, hat er eine Bescheidenheit und Nüchternheit bewahrt, die ich aussergewöhnlich finde».

swissinfo, Samuel Jaberg
(Übertragung aus dem Französischen: Christine Fuhrer)

Anfänge: Wjatscheslaw «Slawa» Bykow wird am 24.Juli 1960 in Tscheljabinsk (Sibirien) geboren. Er stammt aus bescheidenen Verhältnissen. Mit acht Jahren steht er das erste Mal auf Schlittschuhen. Seit seiner frühesten Jugend kompensiert er seine geringe Körpergrösse mit Schnelligkeit, Spielverständnis und stupender Technik.

«KLM»-Sturm: Im Alter von 18 Jahren geht er zu Metallurg Tscheljabinsk (2.Division), dann zu Traktor Tscheljabinsk (1. Division). Ab 1982 spielt er bei ZSKA Moskau, dem Klub der sowjetischen Armee. Dort entsteht die legendäre Angriffslinie «KLM» mit Krutow-Larionow-Makarow. Unter der Führung des «Tyrannen» Viktor Tichonow gewinnt die Mannschaft sieben Mal die sowjetische Meisterschaft.

Weltmeistertitel als Spieler: Auf internationaler Ebene holt er mit der UdSSR den Weltmeistertitel in den Jahren 1983/86/89/90, dann mit Russland noch einmal im Jahr 1993. Er wird zweimal Olympiasieger, 1988 mit der UdSSR in Calgary und 1992 in Albertville mit Russland.

2002 wird er Trainer bei ZSKA Moskau. Auf Grund seiner Erfolge steigt er 2006 zusätzlich zum Trainer der russischen Nationalmannschaft auf.

2007 holt er mit seiner Mannschaft an der Weltmeisterschaft die Bronzemedaille.

Bei der WM 2008 in Quebec gewinnen die Russen den WM-Final gegen Kanada – der bisher grösste Erfolg Bykows als Trainer.

Slawa Bykow ist verheiratet und hat zwei erwachsene Kinder. Seit 2003 ist er wie diese Schweizer Staatsbürger.

Heute lebt Bykow mit seiner Gattin meist in Moskau.

Sohn Andrej (20) wohnt im elterlichen Haus in Marly und ist als Profispieler beim HC Freiburg-Gottéron in die Fussstapfen seines berühmten Vaters getreten.

Tochter Masha (25) arbeitet in einer Event-Agentur in der Deutschschweiz.

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