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«Ein Sportler darf Groupies keine Hoffnung machen»

Spitzensportler wie der brasilianische Fussballer Vagner Love müssen den Umgang mit den Fans erlernen. Reuters

Im Sport kommt es immer wieder zu Fällen sexuellen Missbrauchs. Nicht nur zwischen Trainer und Sportlern besteht ein gewisses Machtgefüge, sondern auch zwischen Spielern und weiblichen Fans.

Die Spieler müssten lernen, mit dem Verehrtwerden umzugehen und Grenzen zu setzen. Dies sagt Marianne Meier, Geschlechterforscherin im Bereich Fussball, im Interview.

Die Vorfälle im Kanton Bern machten einmal mehr sexuelle Übergriffe im Sport zum Thema: Am Dienstag hat die Polizei zwölf jetzige und ehemalige Spieler des Fussballklubs FC Thun vorübergehend festgenommen.

Sie werden verdächtigt, sexuelle Kontakte zu einer 15-Jährigen gehabt zu haben. Das Mädchen gehört laut Angaben der Polizei zum Fan-Umfeld des Klubs.

Groupies sind kein neues Phänomen, im Schweizer Sport war jedoch bisher kaum davon die Rede.

swissinfo sprach mit Marianne Meier, Gender-Forscherin und Projektmanagerin bei Swiss Academy for Development (SAD) in Biel. SAD ist eine gemeinnützige Stiftung, die sich in Bereichen wie interkultureller Dialog, Jugend und Sport für einen konstruktiven Austausch zwischen Wissenschaft und Praxis einsetzt.

swissinfo: Sport ist eine Männerdomäne. Männer sind den Frauen sportlich überlegen. Was hat das für Auswirkungen auf die Sportlerinnen?

Marianne Meier: Der Sport ist von jeher männlich geprägt, er ist männlichen Ursprungs. Am Anfang durften die Frauen nicht einmal an Olympischen Spielen teilnehmen. Frauenfussball beispielsweise wurde erst 1996 eine olympische Disziplin.

Das Starke, das Muskulöse, das Aktive, das Aggressive – das sind männliche Attribute. Wenn eine Frau als Sportlerin erfolgreich sein will, muss auch sie stark sein. Da entsteht häufig ein Widerspruch zwischen dem Frausein und dem Sportlerinsein.

swissinfo: Sind sexuelle Übergriffe im Sport häufiger als in anderen Lebensbereichen?

M.M.: Der Sport hat, etwa im Gegensatz zu Kunst oder Musik, mit Körper und Körperlichkeit zu tun.

Der Körper steht im Zentrum: Bei einem Fussballspiel ist der Fokus während 90 Minuten auf den Körper, auf die Bewegungen gerichtet.

swissinfo: Eine Studie zeigt, dass die emotionale Bindung von Kindern an ihren Trainer häufig enger ist als an die Eltern. Die Abhängigkeit ist damit besonders gross. Wie verhält es sich mit dem Verhältnis des Spielers zu seinen Fans?

M.M.: Zwischen Trainer und Sportlerin sind der Druck und das Machtgefälle grösser als zwischen Spielern und Fans, weil dort eine direkte Abhängigkeit besteht. Die Sportlerinnen bieten sich vielleicht gegenüber dem Trainer sogar an, damit er ihnen gut gesinnt ist.

Auch zwischen Spielern und Fans besteht ein gewisses Abhängigkeitsverhältnis. Hier handelt es sich jedoch um ein indirektes Machtgefüge. Weibliche Fans sehen im Fussball- oder Hockeyspieler nicht den Sportler, sondern den Mann. Es entstehen Schwärmereien und Phantasien.

Mädchen im Teenageralter versuchen, so nahe wie möglich an ihren Star heranzukommen. Sie wollen schauen, wie weit sie dabei kommen. Schaut der Angehimmelte sie an, wird das schon als Einladung gesehen, um noch weiter zu gehen.

swissinfo: Welche Verantwortung tragen die Sportler gegenüber ihren Fans?

M.M.: Die Spieler sind erwachsene Männer; Erwachsene sind für ihr Tun verantwortlich, vor allem gegenüber Minderjährigen. Gerade Teenager sind oft fanatische Fans.

Sportler haben eine Vorbildfunktion. Zu dieser gehört auch zu wissen, wie sie Menschen durch positives oder negatives Verhalten beeinflussen.

Ein Vorbild hat Pflichten. Dazu gehört Fairplay auf dem Platz – und gegenüber den Fans. Ein verehrter Sportler darf weiblichen Fans keine falschen Hoffnungen machen.

swissinfo: Werden die Spieler auf ihre Rolle als verehrte Stars vorbereitet?

M.M.: In fortschrittlichen Vereinen wird Fussball- oder Eishockeyprofis der Umgang mit Medien und Sponsoren gelehrt. Sie sollten auch im Umgang mit Fans geschult werden.

Von erwachsenen Personen sollte man einerseits erwarten dürfen, dass sie Groupies Grenzen setzen. Andererseits liegt es auch in der Verantwortung der Klubs, von den Spielern untadeliges Verhalten zu verlangen.

swissinfo: Wie gross ist die Dunkelziffer bezüglich sexuellen Übergriffen im Sport?

M.M.: Jede Zahl, die man angeben würde, wäre falsch. Was ist ein «sexueller Übergriff»? Der Begriff ist schwierig zu definieren; er reicht von verbalen Verletzungen bis zu Vergewaltigungen.

Es wird in diesem Bereich auch wenig publik, zum Teil auch, etwa in Sportvereinen, um Täter zu schützen.

swissinfo: Weshalb sind Sportler für junge Frauen besonders anziehend?

M.M.: Sportler sind im Gegensatz etwa zu Musikidolen wie Robbie Williams fast täglich präsent, gleichsam verfügbar. Man kann sie sehen, jeden Sonntag auf dem Fussballplatz oder während der Woche beim Training.

Sie sind nahbar, weil sie anwesend sind, und unnahbar, weil sie Stars sind. Das macht für viele weibliche Teenager ihren Reiz aus.

swissinfo: Der Druck auf die Sportler nimmt im Profisport zu. Kann das einen Einfluss haben auf den Umgang mit dem anderen Geschlecht?

M.M.: Von Sportlern werden Topleistungen verlangt. Mit der Leistung ist Heldentum, Stärke und Potenz verbunden.

Diese Überspitzung des Mannseins löst bei manchen, namentlich jungen Frauen Bewunderung aus. Wie der aktuelle Fall zeigt, kann diese Bewunderung verhängnisvoll sein – für beide Seiten.

swissinfo-Interview: Corinne Buchser

Marianne Meier studierte an den Universitäten Freiburg und Siena Geschichte und Politikwissenschaft mit Schwerpunkt Osteuropa.

Seit Januar 2005 arbeitet Meier als Projektmanagerin im Bereich Sport und Entwicklung bei der gemeinnützigen Stiftung Swiss Academy for Development (SAD) in Biel.

Marianne Meier spielt selbst Fussball. Im März 2004 erhielt sie von der Universität Freiburg für ihre Doktorarbeit zum Thema Frauen- und Gender-Forschung eine Auszeichnung.

2004 ist ihr Buch «Zarte Füsschen am harten Leder. Frauenfussball in der Schweiz 1970-1999» erschienen.

Am Dienstag, 13. November 2007, hat die Polizei 21 Personen, darunter zwölf jetzige und ehemalige Spieler des Fussballklubs FC Thun, vorübergehend festgenommen. Sie werden verdächtigt, sexuelle Kontakte zu einer 15-Jährigen gehabt zu haben.

Im August 2007 waren in La Chaux-de-Fonds im Kanton Neuenburg zwei Eishockeyspieler wegen Vergewaltigung einer Minderjährigen zu einer sechsmonatigen respektive einer bedingten Gefängnisstrafe verurteilt worden.

Das Gericht befand die beiden Nachwuchsspieler des HC La Chaux-de-Fonds für schuldig, ein zur Tatzeit 14-jähriges Mädchen vergewaltigt zu haben. Es folgte jedoch auch teilweise der Verteidigung, die monierte, das Opfer habe «zu einem gewissen Grad» eingewilligt.

2004 wurde ein Thurgauer Eislauftrainer, der unter anderen das erfolgreiche Schweizer Eistanzgeschwisterpaar Hugentobler trainiert hatte, wegen sexuellen Missbrauchs von 11- bis 15-jährigen Schülerinnen verurteilt.

Landesweit für Aufsehen hatte in den 90er-Jahren der Fall Köbi F. gesorgt. Obschon während Jahren gegen den ehemaligen Primarlehrer und Turntrainer Vorwürfe wegen sexueller Übergriffe kursierten, schritten die Behörden erst 1997 ein.

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