Ein Vertreter der «öffentlichen Diplomatie»
Seit drei Monaten ist der neue Schweizer Botschafter in Washington im Amt. Im Gespräch mit swissinfo zieht Urs Ziswiler eine erste Bilanz.
Die USA und die Schweiz gehen im Kampf gegen den Terrorismus mit den Bürgerrechten unterschiedlich um. Trotzdem verbinden die beiden Länder gemeinsame Werte, wie Ziswiler betont.
swissinfo: Welches waren bisher die Schwerpunkte Ihrer Arbeit?
Urs Ziswiler: Es war ein sehr intensiver Auftakt. Wir hatten drei Bundesräte, zwei Staatssekretäre und den Präsidenten der Nationalbank zu Besuch. Dabei wurden drei Abkommen abgeschlossen oder unterzeichnet.
Nebst den bilateralen Beziehungen gibt es noch die aktuellen Dossiers Iran und Kuba, da die Schweiz die Interessen der USA in Teheran und jene Kubas in Washington vertritt.
swissinfo: Im Kampf gegen den Terrorismus wurde kürzlich ein neues Abkommen unterzeichnet. Denken Sie, dass es kritische Stimmen in der Schweiz – Stichworte Guantanamo, CIA-Flüge – eindämmen kann?
U.Z.: Der Schweiz war es wichtig, den USA gleich nach dem 11. 9. 2001 zu zeigen, dass sie bereit war, mit ihnen im Kampf gegen den Terrorismus und vor allem dessen Finanzierung zu kooperieren.
Denjenigen, die dachten, dass alle Terroristen-Gelder in der Schweiz lagen, konnten wir beweisen, dass dem nicht so ist.
Das war ein Grund, wieso die Regierung damals das Kooperations-Abkommen schloss. Kritik wegen mangelhafter Transparenz gab es, weil die Details des Abkommens nicht bekannt waren.
Mit dem neuen Vertrag schaffen wir Transparenz. Er kann erst in Kraft treten, wenn er vom Parlament ratifiziert ist.
swissinfo: Kann der Graben zwischen den USA und Europa in Sachen Balance zwischen Sicherheit und persönlichen Freiheiten überwunden werden, oder ist er zu gross?
U.Z.: Im Umgang mit diesen Fragen gibt es auf beiden Seiten des Atlantik tatsächlich Unterschiede. Aber die Ziele sind dieselben. Wir haben stets betont, dass man sehr vorsichtig sein muss, um beim Kampf gegen den Terrorismus die Menschen- und Bürgerrechte nicht zu vergessen und diese Werte nicht in Gefahr zu bringen.
swissinfo: Kann man der Regierung Bush denn vertrauen in diesen Fragen?
U.Z.: Für die Schweiz als Depositär-Staat der Genfer Konventionen nehmen Völkerrecht und Menschenrechte bei unseren Überlegungen einen wichtigen Platz ein. Die Frage, wie weit der Zweck die Mittel heiligen darf, hat sich in den letzten Jahren mehrmals gestellt. Es gibt Unterschiede in der Interpretation, das ist wahr.
Ich möchte aber unterstreichen, dass die USA eine lange rechtsstaatliche Tradition der Gewaltentrennung haben; das ist auch heute so. Ich erinnere an das Urteil des Obersten Gerichtshofes zu Guantanamo.
Zugegeben, es hat vielleicht etwas lange gedauert, bis der Gerichtsspruch fiel. Aber die USA sind ein profund demokratisches Land mit einer Gesellschaft, der sehr viel an diesen Werten liegt.
swissinfo: Beim anderen Dilemma im «Kampf gegen den Terror» geht es um Multilateralismus oder Unilateralismus. Hören Ihre Gesprächspartner in Washington soviel zu wie sie reden?
U.Z.: Die Schweiz setzt auf den Multilateralismus, weil sie überzeugt ist, dass vieles sich nur im Einvernehmen mit andern Staaten lösen lässt. Es gab in den USA eine gewisse Tendenz zum Unilateralismus, doch jetzt sehe ich wieder Ansätze für eine Renaissance des Multilateralismus.
Ich glaube, man hat hier verstanden, dass man zwar vieles allein tun kann, aber viele Probleme nur gemeinsam mit anderen lösbar sind.
swissinfo: Sondierungsgespräche für ein Freihandels-Abkommen wurden eingestellt. Stattdessen wurde ein Forum für Handel und Investitionen geschaffen. Können auch so Fortschritte erzielt werden?
U.Z.: Sicher. Die Schweiz war immer eine Verfechterin des Freihandels. Im Verlauf dieser Sondierungsgespräche war einfach klar geworden, dass die Divergenzen für ein umfassendes Abkommen zu gross waren.
Daher entschied man sich für einen Marschhalt und für einen sektoriellen Ansatz. Das passiert jetzt. Es ist aber zu früh, von Erfolg oder Misserfolg zu sprechen.
swissinfo: Die Arbeit eines Botschafters hat sich in den vergangenen Jahren stark verändert. Wie erleben Sie das?
U.Z.: Die Kommunikation hat heute viel mehr Gewicht. Die Hälfte meiner Arbeitszeit brauche ich zum Aufbau und zur Pflege von Kontakten mit den unterschiedlichsten Kreisen.
Neben unseren Kontakten zur Regierung sind natürlich jene zum Kongress sehr wichtig. Man kann sagen, dass die Kontaktnetze nie gross genug sind.
Heute spricht man von «öffentlicher Diplomatie», wie sie auch unsere Aussenministerin Micheline Calmy-Rey praktiziert. Das bedeutet, den Leuten aufzeigen, was und warum wir es tun. Die Menschen müssen verstehen, was Diplomatie beinhaltet.
swissinfo: Die grösste Krise in den Beziehungen zu den USA war die Affäre um die Holocaust-Gelder. Was hat die Schweizer Diplomatie daraus gelernt?
U.Z.: Zuerst möchte ich daran erinnern: Diese Krise ist bewältigt. Sie beeinflusst unsere Beziehungen nicht mehr. Und wir haben unsere Lehren gezogen. Man muss sich aber vorbereiten für Krisen solchen Ausmasses. «Vorbeugen ist billiger als heilen.»
Es ist wichtig, über ein breites Beziehungsnetz zu verfügen. Daher haben wir die Schweizer Präsenz in den USA erhöht, und zwar auf sämtlichen Ebenen, um den Amerikanern zu zeigen, dass unser Land nicht nur aus den ewig gleichen Clichés besteht, sondern sehr viel mehr zu offerieren hat.
Auch um aufzuzeigen, dass wir unsere Vergangenheit aufgearbeitet haben. In der Schweiz und auf internationaler Ebene. Damit haben wir gezeigt, dass wir den Mut haben, unsere Fehler einzugestehen.
swissinfo-Interview: Marie-Christine Bonzom und Rita Emch, Washington
Die USA sind die zweitwichtigste Handelsdestination der Schweiz (nach Deutschland).
Exporte aus der Schweiz 2005: 16,1 Mrd. Fr.
Importe aus den USA: 6,5 Mrd. Fr.
Handelsüberschuss: 9,6 Mrd. Fr.
Schweizer Firmen sorgen für Hundertausende von Arbeitsplätzen in den USA.
2005 lebten 71’773 Schweizer und Schweizerinnen in den USA, 49’871 davon sind Doppelbürger.
In der Schweiz leben knapp 60’000 amerikanische Staatsbürger.
Urs Ziswiler wurde 1949 in Muri (Aargau) geboren.
Jura-Studium in Genf und Zürich, Nachdiplom-Studium zur Entwicklungspolitik an der ETH Zürich.
1977: Delegierter beim Internationalen Komitee vom Roten Kreuz (IKRK). Einsätze in Gaza, Beirut, Teheran, Tel Aviv und Kampala.
1979: Eintritt ins Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA). Einsätze in Afrika und im Nahen Osten.
1990-1993: Europa-Integrationsbüro.
Danach Einsätze in Zagreb, Bosnien und Herzegowina sowie Buenos Aires.
1999: Ernennung zum Botschafter (Kanada, Bahamas).
Berater von Bundesrätin Micheline Calmy-Rey.
Oktober 2004–April 2006: Chef der Politischen Direktion im EDA.
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