Eines jeden Jägers Traum:Ein Steinbock im Visier
Dieser Tage beginnt überall in der Schweiz die Jagd-Saison. Zum Höhepunkt einer Jäger-Laufbahn gehört der Abschuss eines Steinbocks. Im Kanton Graubünden wird die Steinwild-Jagd seit 25 Jahren besonders gepflegt und kultiviert.
«Die Böcke werden immer wilder und aggressiver. Ihr Furcht-Verhalten hat sich verändert. Die Jagd wird von Jahr zu Jahr schwieriger», sagt Georg Brosi, Jagd- und Fischerei-Inspektor des Kanton Graubündens. Der heutige Bock sei, erklärt der Jäger, in der Tat «ein Bock, der lesen und schreiben kann».
Ein Bock also, der List und Tücke kennt, der den Jäger auszutricksen weiss. «Aber genau das erhöht den Reiz.» Je schwieriger es ist, das Steinwild zu sichten und zu erledigen, desto grösser sei die Freude danach, erzählt Brosi.
Die Steinwild-Jagd gehört zu den Höhepunkten einer Jäger-Laufbahn. Sie bildet das spektakuläre Finale der Jagdsaison und beginnt nach der eigentliche Hochjagd, bei der Hirsch, Rehe und Gämse gejagt werden.
Kontrollierte Jagd
Im Kanton Graubünden dürfen nur die besten Jäger, jene die zur Hochwildjagd ausgebildet sind, den Steinbock jagen. Rund 6’000 Jäger bewerben sich jedes Jahr um die Lizenz, ein Steinwild zu erledigen. Knapp 300 Bewilligungen werden erteilt. Rund dreimal im Leben bietet sich so einem Bündner Jäger die Gelegenheit, ein Steinwild zu schiessen. Brosi hat schon zwei Steinwild-Paare erledigt.
«Den ganzen Sommer hindurch bereitet man sich auf diese Jagd vor», erklärt der Fachmann. Da das Steinwild an sich eine eidgenössisch geschützte Wildart ist, braucht es zu deren Abschuss eine Spezialbewilligung. Detailliert wird dabei definiert, welches Steinwild-Paar – es wird stets ein weibliches wie ein männliches Tier einem Jäger zum Abschuss frei gegeben – in welcher Kolonie gejagt werden darf. «Die Bestände müssen kontrolliert, nicht jedoch geschmälert werden.»
Der Jäger, der zuvor per Los ausgewählt wurde, beobachtet die ganzen Sommermonate hindurch «sein» Paar, bevor im Spätherbst die eigentliche Jagd beginnt. Jagdrouten werden ausgearbeitet, das Gebiet begangen.
Beobachten, Anpirschen, Schiessen
Rund sieben bis zehn Tage dauert die Jagd. Steinwild besitzt eine sehr gute Tarnfarbe. «Verbirgt es sich im Geröll oder zwischen Felswänden ist es kaum zu erkennen», beschreibt Brosi die Jagd. Der Jäger, so Brosi, sucht das Paar und beobachtet es, bevor er es angreift.
«Näher als 150 Meter muss er an das Tier herankommen, bevor er schiessen kann. Wird er bemerkt, kann er für diesen Tag die Jagd abbrechen.» Der Steinbock wisse dann, dass ein Jäger da sei und verstecke sich zwischen den Felswänden. Zudem müssten die weiblichen Tiere zuerst geschossen werden. «Sie sind scheuer als die Böcke», weiss Brosi.
Selten erledigt ein Jäger ein falsches Tier. Kommt es trotzdem vor, so droht ihm – je nach Schwere des Fehlers – die Wegnahme des toten Tieres wie auch der Trophäe, manchmal gar eine Strafanzeige.
Italienische Könige als Retter
Seit 25 Jahren wird im Kanton Graubünden wieder Steinwild gejagt. 1977 hatte der Kanton hauptsächlich unter dem Druck der Forstwirtschaft die Steinbockjagd erneut eingeführt. Die grosse Zahl von Steinwild schadete den Bergwäldern.
Heute, bestätigt der kantonale Jagdinspektor, hat man den Bestand gut im Griff. «Einzelne Kolonien könnten zwar noch ein wenig wachsen, aber jene im Süden des Kantons, zwischen dem Bernina und dem Nationalpark, aber auch jene beim Julierpass sind vorbildlich und müssen bloss stabilisiert werden.»
Das Bündner Wappentier wurde infolge von Überbejagung und besserer Waffen im 17. Jahrhundert im Kanton Graubünden ausgerottet. Dass es in der Region dennoch überlebte, ist der Verdienst der italienischen Könige. Diese – selbst begeisterte Jäger – liessen die letzte übriggebliebenen Tiere während den folgenden Jahrhunderten durch königliche Wildhüter bewachen.
1920 konnten schliesslich die ersten Steinböcke im Kanton Graubünden wieder erfolgreich angesiedelt werden. Die Kolonie, beim Piz Terza im Nationalpark gelegen, entwickelte sich derart gut, dass in den folgenden Jahrzehnten weitere Tiere gefangen und andernorts ausgesetzt werden konnten. Heute leben rund 6’000 Steinböcke in Graubünden. In der Schweiz sind es etwa 14’000, vor allem in den Kantonen Wallis, Bern und St. Gallen.
Carole Gürtler
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