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Einkaufen durch die Gefängnismauer

Die trendige Velokuriertasche Jail Bag ist der gefragteste Artikel im Online-Shop von Pöschwies. Online-Shop Pöschwies

Schweizer Strafanstalten entdecken das Internet: "Drinnen" hergestellte Holzspielzeuge, Töpfer-, Korb- und Metallwaren gehen via Online-Shop zu Kunden von "Draussen".

Die Strafanstalt Pöschwies geht einen Schritt weiter: Trendige Umhängetaschen und exklusive Pic-Nic-Körbe sind die Renner.

Überbelegung, zunehmende Gewalt, überfordertes Personal: Die Direktoren der Gefängnisse in der Schweiz haben im Juli Alarm geschlagen. Sie sprechen von einer explosiven Situation hinter den hohen Mauern und Zäunen.

Prekär ist die Lage beispielsweise in der Zürcher Anstalt Pöschwies – mit über 430 Insassen das grösste Gefängnis der Schweiz – und in Champ-Dollon im Kanton Genf. Mehr Zellen und Personal, fordern die Anstaltsleiter. Doch die Kassen der Kantone sind leer, und dementsprechend gering ist dort das Gehör.

Viel Initiative

Doch es gibt auch gute Nachrichten, die durch die Gefängnismauern an die Aussenwelt dringen. Eine stammt gerade aus Pöschwies und betrifft den Online-Shop, den die Anstalt im Mai 2003 im Internet eröffnet hat.

Zwar finden sich dort die «traditionellen» Gefängnis-Produkte wie solide Holzmöbel und -spielwaren, Tonerzeugnisse, geflochtene Körbe und Dekorationsgegenstände.

Daneben können die Kunden aus der ganzen Schweiz (es wird nicht ins Ausland geliefert) aber auch den «Escape Basket», einen Pic-Nic-Korb, ordern. Er wurde in einer exklusiven Auflage von 20 Stück hergestellt und bietet zwei Personen den gediegenen Rahmen bei romantischen «Ausbrüchen aus dem Alltag».

Tasche mit dem gewissen Etwas

Zum absoluten Renner wurde aber der «Jail Bag», eine Umhängetasche aus Kunststoffblache im Stile der kultigen Freitag-Taschen. «Allein mit dem Jail Bag haben wir bis Ende 2003 einen Umsatz von 25’000 Franken erzielt», sagt Karin Eggli, Projektleiterin des Online-Shops in Pöschwies, stolz gegenüber swissinfo. Der Gesamtumsatz habe 30’000 betragen.

Der Start des neuen Vertriebskanals ist generell geglückt, bilanziert sie: «Momentan haben wir rund 35 Bestellungen pro Monat. Ich bin sehr zufrieden, sowohl was den Umsatz des Shops als auch die Resonanz darauf betrifft.»

Gezieltes Marketing

Egglis Zielgruppe sind die 25- bis 40-Jährigen, «welche Online arbeiten». Dass sie damit richtig liegt, zeigen die rund 500’000 Klicks, welche der Shop an dem Tag verzeichnete, als die Web-Adresse in einer Gratiszeitung publiziert wurde.

Eggli verfolgt mit dem innovativen Shop-Angebot zwei Ziele, ein handfest-pekuniäres sowie ein ideelles: Einerseits gehe es darum, neue Märkte zu erschliessen und den Umsatz zu steigern.

Der Jail Bag soll aber andererseits auch helfen, mit alten Vorstellungen über Gefangenen-Arbeit aufzuräumen. «Wir kleben nicht mehr nur Tüten, sondern stellen gute und coole Waren her.» Die zudem die Insassen darin bestätigten, etwas Sinnvolles, weil Gefragtes zu tun, hebt Eggli hervor.

«Herzlich Willkommen bei Einkaufen im ‹Knast’…», lautet die Begrüssung der Online-Kunden im Pöschwies-Shop. Aber damit ist die Koketterie mit der Anrüchigkeit des Herkunftssortes auch schon vorbei.

Deutsch-direkt

Nicht so bei «HAEFTLING». Im deutschen Online-Shop mit diesem Namen setzt man voll auf das ambivalente Image der schweren Jungs, wenn’s um den Absatz von Unterwäsche, Pijamas, Hemden und Overalls und Hausschuhen geht, die von Insassen hergestellt werden.

Das tönt dann so: «HAEFTLING kommt aus dem Knast. Die erste Marke für Jailwear. Von Inhaftierten handgefertigt. Für drinnen und jetzt auch für draussen.»

Im Gegensatz zur Palette des HAEFTLING-Angebots sind die Artikel im Pöschwies-Shop lediglich «Nebenprodukte» des Gefängnisbetriebs. «In den Werkstätten produzieren wir in erster Linie für unsere Hauptkunden. Das sind Privatpersonen, kleinere und mittlere Unternehmen oder Betriebe wie Spitäler», so Eggli.

Mit anderen Worten: Jail Bags werden erst zugeschnitten und zusammengeschneidert, wenn die übrigen Aufträge ausgeführt sind oder freie Kapazitäten herrschen.

Visitenkarte

Online-Shops betreiben neben Pöschwies erst zwei weitere Strafanstalten in der Schweiz, nämlich Lenzburg im Kanton Aargau und St. Johannsen im Kanton Bern.

Die dortigen Anstaltsleiter setzen aber ausschliesslich auf die traditionellen Produkte. Beidenorts sind die Erlöse gering, die E-Shops dienen mehr der Image-Pflege. «Der Online-Shop ist für uns mehr eine Visitenkarte, um unseren modernen Verkaufs-Touch zu zeigen», sagt Lenzburg-Verwalter Bernhard Taeschler.

Für St.-Johannsen-Direktor Ulrich Luginbühl steht der direkte Kontakt mit den privaten Kunden im Vordergrund. Noch wichtiger als diese ist aber der Zwischenhandel, der den Hauptteil der Produkte abnimmt.

So verschieden die Philosophien hinter den Online-Shops sind, eines haben alle drei Institutionen gemeinsam: Die Einkünfte aus der hauseigenen Produktion fliessen überall in die Anstalts-Kasse und entlasten so die Steuerzahler.

swissinfo, Renat Künzi

In der Schweiz besteht für Gefangene die gesetzliche Arbeitspflicht.
Insassen erhalten eine Tagespauschale von 20 bis 30 Franken.
Der Verkauf von Produkten und Dienstleistungen trägt einen wichtigen Teil zum Betrieb der Gefängnisse bei.
Die Kantone werden dadurch entlastet.

Online-Shops betreiben die drei Strafanstalten Pöschwies, Lenzburg und St. Johannsen.

Sie erzielen jedoch (erst) einen geringen Umsatz.

Der Jail Bag aus Pöschwies ist aber ein sehr gefragter Artikel.

In Deutschland werden Kleider und Schuhe aus Gefängnis-Produktion unter dem Label HAEFTLING vertrieben, auch Online.

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