Eldorado für Kunsträuber
Immer wieder dient die Schweiz internationalen Kunsträubern als Drehscheibe.
Für Kunstexperten ist die schweizerische Gesetzgebung schlicht ungenügend. Sie hoffen auf das neue Kulturgüter-Transfergesetz.
Raubkunst nimmt häufig ihren Weg über die Schweiz. Dies belegen viele Fälle, in denen immer wieder das Zollfreilager Genf als Drehscheibe genannt wird.
Im neusten Fall ist die italienische Guardia di Finanza einem Antikenhändler in Rom auf die Spur gekommen, der archäologische Funde in grosser Zahl illegal in die Schweiz lieferte. Dies berichtete der Zürcher «Tages-Anzeiger» am 29. Juli.
Die Kontaktperson des Händlers war eine wohlhabende italienisch-libanesische Dame, die in der Toskana und in einem Vorort von Genf lebt. Die Frau hatte ein Depot im Zollfreilager Genf gemietet.
Drehscheibe Genf
Dort wurden Dutzende der archäologischen Funde sichergestellt. Genf diente in den letzten Jahren wiederholt als Drehscheibe für illegale Geschäfte mit Kulturgütern.
Vor wenigen Wochen hätten auch 542 wertvolle antike Gegenstände aus der Türkei dorthin geschmuggelt werden sollen. Die Funde lagen versandfertig in den Lagern einer türkischen Speditionsfirma, als die Polizei eingriff.
Dabei fanden die türkischen Fahnder Schmuckstücke, Vasen und Statuen im Schätzwert von 75 Millionen Franken in drei Lagerhäusern in Istanbul. Das meiste stammte aus Raubgrabungen in Anatolien.
Keine spezielle Kontrolle
Die Schweiz ist eine beliebte Drehscheibe für diese Art von Handel, da sie die Ein- und Ausfuhr von Kulturgütern bisher nicht speziell kontrolliert. «Es ist einfacher, eine apulische Vase in die Schweiz einzuführen als eine Tomate», sagt der Experte Andrea Raschèr, Leiter Recht und Internationales im Bundesamt für Kultur, gegenüber swissinfo.
«Die bisherigen Gesetze in Bezug auf Kulturgüter in der Schweiz genügen nicht. Kulturgüter werden im heutigen Schweizer Recht wie ganz normale Waren behandelt», erklärt Raschèr. «Ein gestohlenes Fahrrad wird gleich behandelt wie ein gestohlenes Gemälde.»
Neues Gesetz
Die Schweizer Kunstbranche kommt nun aber unter Druck: Im Herbst berät das Parlament das Kulturgüter-Transfergesetz, und dieses dürfte einige Freiräume im Handel beschneiden.
Das Gesetz würde die rechtlichen Regelungen in der Schweiz an die international üblichen Mindeststandards anpassen. Auch die Ein- und Ausfuhr besonders gefährdeter Kulturgüter würde besser geregelt.
Heute darf ein Sammler ein Objekt behalten, falls er glaubhaft machen kann, es vor mehr als fünf Jahren guten Glaubens erstanden zu haben. Diese Zeitspanne will der Bundesrat nun auf 30 Jahre ausdehnen. Auch Museen wären von dieser Änderung betroffen.
Schweiz vorne im Kunsthandel
Denn die Schweiz gehört neben den USA, Grossbritannien und Frankreich zu den bedeutendsten Kunsthandelsnationen. «Deshalb ist sie jeder Form von illegalen Transaktionen ausgesetzt», erklärt Andrea Raschèr.
«Es zeigt sich, dass der Weg von dubiosem Kulturgut oft über die Schweiz führt. Es handelt sich dabei vor allem archäologische und ethnologische Güter.»
Mafia im Geschäft
«Kulturgüter sind für jede Mafia interessant», erklärt Roberto Conforti, General der italienischen Carabinieri und verantwortlich für Kunstdelikte, in einem Interview mit dem «Tages-Anzeiger». Die Werke würden «als Investitionsgut, als Vehikel für die Geldwäscherei, als Zahlungsmittel für Drogen und Waffen» dienen.
Italien habe allein im letzten Jahr rund 20’000 archäologische Fundstücke von der Schweiz zurück erhalten. Weitere 10’000 seien derzeit in der Schweiz blockiert.
Christian Raaflaub
Immer wieder dient die Schweiz internationalen Kunsträubern als Drehscheibe.
Für Kunstexperten ist die schweizerische Gesetzgebung schlicht ungenügend. Sie hoffen auf das neue Kulturgüter-Transfergesetz.
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