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Ella Maillart: Lange Reise zu sich selbst

Ella Maillart, Moskau, 1930. Fonds Ella Maillart, Musée de l'Elysée, Lausanne

Das Fotomuseum Elysée und das Olympische Museum in Lausanne widmen Maillarts fotografischem Werk eine Retrospektive.

Die Reiseschriftstellerin und Fotografin Ella Maillart (1903-1997) wäre dieses Jahr 100 Jahre alt geworden.

«Das Schicksal gab mir Augen, die das Sehen lieben», erklärte Ella Maillart, der das Fotografieren auf ihren langen Reisen ein Notizheft ersetzte. Ihre schriftlichen Reiseberichte entstanden erst später beim Sichten der Fotostrecken, die sie mit Notizen versehen hatte.

Ella Maillart sah sich selbst nie als grosse Literatin. «Ich bin die Bäuerin, die ihre Eier auf den Markt bringt», sagte sie als 80- Jährige zu ihrer Schriftstellerei, die sie als mühsam empfand. Sie reiste nicht, um zu schreiben, sondern schrieb, um sich das Reisen zu ermöglichen.

Aussergewöhnlicher Blick

Der fotografische Nachlass der Autodidaktin wirkt denn auch nachhaltiger. «Sie hatte einen aussergewöhnlichen Blick für die Menschen», meint Elysée-Konservator Daniel Girardin, der die Ausstellung «Sur les routes de l’Orient» verantwortet. Ella Maillart hat dem Lausanner Fotomuseum 16’000 Negative und 12’000 Abzüge hinterlassen.

Während eine erste Ausstellung 1989 vor allem die Reisepionierin der Dreissigerjahre in den Vordergrund stellte, wird die aktuelle Retrospektive den verschiedenen Facetten ihres Lebens gerecht. Der Ausstellungsteil «Ella Maillart sportive» im Olympischen Museum zeugt unter anderem von ihrer Passion fürs Segeln.

Beim Sport holte sie sich die körperliche Zähigkeit für ihre langen Reisen in den Orient und nach Nepal, wo Ella Maillart noch als über 60-Jährige an den Fuss des Everest reiste.

Selbstbefreiung in Indien

Nebst dem sportlichen und kulturellen Aspekt hatten ihre Reisen aber auch eine metaphysische Dimension. Prägend war dabei ein fünfjähriger Aufenthalt in Indien in den Vierzigerjahren «Indien hat mich von mir selbst befreit. Dort habe ich die Winzigkeit meiner selbst verstanden», sagte Maillart 20 Jahre später in einem Radio-Interview.

Dieses veränderte Bewusstsein hat Ausstellungsmacher Daniel Girardin auch im fotografischen Werk ausgemacht. Vor ihrem Indien-Aufenthalt habe Ella Maillart nach den Unterschieden zwischen den Menschen gesucht, «nachher suchte sie nach den Ähnlichkeiten», sagt Girardin.

Nepal-Entdeckerin

Nebst Indien räumt die Retrospektive auch Ella Maillarts Reise nach Nepal viel Raum ein. Dort hatte sie sich 1951 als erste Westlerin frei im Land bewegen dürfen und wurde laut Girardin von den Einheimischen wahrgenommen als eine Art «Ausnahmewesen – weder Frau noch Mann».

Ihre Nepal-Reise ebnete zudem diskret den Boden für die Everest-Expedition ihres Freundes Raymond Lambert. Der Genfer scheiterte 1952 bloss 200 Meter unterhalb des Gipfels, war aber zusammen mit Sherpa Tenzing Norgay der erste Mensch, der am Everest die Höhe von 8600 Metern überwand.

Zeitgenössische Buddha-Bilder

Ergänzt wird die fotografische Hommage an Ella Maillart mit Buddha-Bildern des Franko-Schweizers Jean-Pierre Grandjean (1950).

Sein zeitgenössischer Blick auf den Buddhismus spannt einen Bogen zur Philosophie Ella Maillarts, die in Asien gelernt hat, «im Moment zu leben und die Intuition zu gebrauchen».

swissinfo und Agenturen

Maillart (geb. 20.2.1903) war die Tochter eines Pelzhändlers und einer Dänin, die dem Kind schon Skifahren beibrachte, als dies noch als kuriose Betätigung verrückter Engländer galt.

Später gehörte Ella Maillart der Ski-Nationalmannschaft an.

1924 nahm «Kini» als einzige Frau an den Olympischen Spielen in Paris in der Kategorie Einmann-Jolle teil und im Jahr darauf war sie Segelkapitänin einer reinen Frauencrew – damals eine Sensation.

Später folgten Reisen an weisse Landkartenflecken von Turkestan bis Nepal.

Maillart finanzierte die Expeditionen mit Berichten und Fotos. Dabei entstanden 8 Bücher, viele Reportagen und 15’000 Bilder.

In der Deutschschweiz bekannt machte sie ihre Reise durch Iran und Afghanistan 1939 mit der depressiven, morphiumsüchtigen, lesbischen Schriftstellerin Annemarie Schwarzenbach. Die «Entziehungskur» misslang, Schwarzenbach reiste heim, Maillart blieb bis 1945 in Indien bei einem Guru.

Ella Maillart starb am Gründonnerstag 1997 mit 94 Jahren in Chandolin, Wallis.

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