Empörung über Schweizer Schläger in München
Der Gewaltexzess von Zürcher Schülern auf der Abschlussreise in München löst weiterhin Empörung aus – in der Schweiz und in Deutschland. Die Schläger sollen für ihre Taten in Deutschland gebüsst werden, lautet der Tenor.
Innerhalb von einer halben Stunde hatten drei 16-jährige Schüler der Weiterbildungs- und Berufswahlschule Küsnacht vor einer Woche nachts in München fünf Männer, darunter einen Behinderten, niedergeschlagen; einer wurde fast zu Tode geprügelt und liegt immer noch schwer verletzt im Spital.
Die Schüler hatten zuvor Alkohol getrunken, allerdings weniger als 1 Promille, und gekifft. Die drei Jugendlichen, zwei Schweizer und ein slowenischer Staatsangehöriger, sitzen im Untersuchungsgefängnis München-Stadelheim.
Gemäss der Online-Ausgabe der deutschen Zeitung Die Zeit bezeichneten die Ermittler die Tat als alarmierend, weil das einzige Motiv «die Lust am Klatschen» gewesen sei. Der Münchner Staatsanwalt Laurent Lafleur sprach von einer «Art Amoklauf», der zum Glück nicht mit Waffen ausgeführt worden sei. Entsetzt über die Brutalität der Schüler aus der Schweiz zeigte sich im Stern.online auch Markus Kraus, Leiter der Münchner Mordkommission.
Unterschiedliche Strafmasse
Die drei Schläger aus der Schweiz dürften wegen versuchten Mordes angeklagt werden. Dabei droht ihnen in Deutschland eine zehnjährige Haftstrafe. Würden sie in der Schweiz für dasselbe Delikt angeklagt, könnte ihnen eine Freiheitsstrafe von lediglich bis zu vier Jahren drohen. Alle drei Schüler sind in der Schweiz vorbestraft.
Nach Angaben des Bundesamtes für Justiz in Bern (BJ) wäre es denkbar, dass die Schüler ihre Strafen in der Schweiz absitzen. Läge die Strafe jedoch über der in der Schweiz festgelegten Höchststrafe, würde das Strafmass reduziert. Das BJ schliesst deshalb nicht aus, dass Deutschland unter diesen Umständen eine Überstellung eher ablehnen würde.
Harte Strafen gefordert
Der Leiter der Kriminologischen Zentralstelle in Wiesbaden, Rudolf Egg, forderte im Nachrichtenmagazin Focus Härte gegen jugendliche Schläger. Grundlose Prügelattacken hätten sich zu einer Art Mode entwickelt, die sich wohl nur durch die sehr deutliche Bestrafung der Täter wieder eindämmen lasse.
Eine Ansicht, die in Leser-Kommentaren sowohl in Deutschland wie auch in der Schweiz geteilt wird. Die Anklage laute richtigerweise auf Mordversuch, schreibt ein Leser im Focus.online. Der Schweizer Justiz seien die Täter bekannt gewesen, «wurden aber nur zu sozialer Arbeit ‹verurteilt›. Offenbar herrscht dort noch eine Kuscheljustiz.» Und im Südkurier.online liest man: «Es wird Zeit, mal endlich richtig durchzugreifen.»
Ähnlich tönt es im Stern.online: «Na was wird sich die Justiz wohl einfallen lassen? Antiaggressions-Training oder doch lieber den erhobenen Bewährungszeigefinger? Wäre gut, wenn sich die Erkenntnis durchsetzte, dass die Gesellschaft sich vor solchen Monstern schützen muss und auch schützen soll. Ab in den Bau und anschliessend Sicherheitsverwahrung!»
Nur wenig Zwischentöne
Hohe Strafen könnten vielleicht die Rachegefühle befriedigen, schreibt ein Kommentator im Stern.online. «Was härtere Strafen angeht, glaube ich nach wie vor, dass dies überhaupt nix ändern würde.»
Und weiter kann man lesen: «Ich kann mich in die 3 überhaupt nicht hineinversetzen, denn für ’normale› Menschen ist so eine Tat auch unvorstellbar. Aber deshalb hier gleich alle zivilisatorischen Errungenschaften über Bord zu werfen, halte ich schlicht weg für den völlig falschen Ansatz.»
Scharfe Reaktionen auch bei swissinfo.ch
Auch swissinfo.ch-Leserinnen und -Leser haben scharf auf die Taten der Schweizer Schläger in München reagiert. «Auf keinen Fall rückführen in die Schweiz», heisst es in einem Kommentar. «In Deutschland 10 Jahre ins Gefängnis, dann unbedingt ausweisen.»
Ein anderer swissinfo.ch-Leser meint, die Schweiz sollte sich Deutschland anpassen, und bezeichnet das Schweizer Strafmass als «Lappalie von 4 Jahren». Und ein weiterer Kommentar: «Diese Kriminellen sollen in Deutschland die Strafe absitzen, hoffentlich 10 Jahre Knast, weil diese Typen in der Schweiz doch nur wieder verhätschelt werden.»
Lauter Ruf nach Meldepflicht bei Vorstrafen
Nach dem Gewaltakt in München verlangt der Dachverband Schweizer Lehrerinnen und Lehrer (LCH) volle Transparenz über die Vorstrafen von Schülern. Eine Meldepflicht der Justiz sei für die Sicherheit aller absolut wichtig und auch umsetzbar.
Die Bedenken der Schweizerischen Vereinigung für Jugendstrafrechtspflege (SVJ), es könnte zu Hetzjagden kommen, teilt der LCH nicht. SVJ-Präsident Dieter Hebeisen hatte sich dagegen ausgesprochen, dass jede Tätlichkeit oder harmlose einfache Körperverletzung der Schule gemeldet werde und damit Publizität erhalte.
Auch von Seiten der Erziehungsdirektorinnen und –Direktoren, gleich welcher politischer Couleur, kommt der Ruf nach Vorstrafen-Meldepflicht.
Jean-Michel Berthoud, swissinfo.ch
Laut einem Bericht des Bundesamtes für Polizei gibt es in der Schweiz rund 500 jugendliche Intensiv- und Mehrfachtäter. Meist handelt es sich um junge Männer mit Migrationshintergrund.
Die Täter, die sich häufig zu ethnisch gemischten Banden zusammenschliessen, sind gemäss der Befragung männlich, stammen in der Regel aus bildungsfernen Schichten mit Migrationshintergrund und leben bezüglich Familie, Schule, Arbeit und Drogenkonsum in problematischen Verhältnissen. Die meistgenannten Ethnien stammen vom Balkan und der Türkei.
Die Polizeikorps in der Romandie erwähnten zudem auch nordafrikanische Länder und vereinzelt andere Länder Afrikas.
Gemäss den Angaben der Kantone, die teils auf Zählungen, teils auf Schätzungen beruhen, scheinen Mädchengangs die Ausnahme zu sein.
Mehrheitlich unumstritten ist bei den Experten die qualitative Veränderung der Jugendkriminalität in den letzten Jahren. Vor allem die Brutalisierung bei Gewaltstraftaten und die Intensität der Delinquenz bei den Einzelnen hat sich laut Umfrage gesteigert.
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