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Erinnerungen an Menschenrechts-Verletzungen

Pinochet und seine Generäle beim Militärputsch 1973. Keystone

Der Tod des chilenischen Ex-Machthabers Augusto Pinochet wecke Erinnerungen an die Militärdiktatur und an gravierende Menschenrechts-Verletzungen, erklärte ein Sprecher der Schweizer Regierung.

Die Schweizer Justiz hat sich mehrmals mit Pinochet befasst. Die Presse und Trial Watch bedauern, dass dieser sich nicht zu Lebzeiten vor Gericht verantworten musste.

«Chile hat sich erfreulicherweise von der Last der Pinochet-Jahre befreit und ist heute ein moderner, demokratischer und wirtschaftlich dynamischer Rechtsstaat, mit dem die Schweiz gute Beziehungen pflegt», erklärte Johann Aeschlimann, Sprecher des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten.

Die Schweizer Justiz hat sich mehrmals mit Augusto Pinochet befasst. So verlangte der Kanton Genf 1998 seine Auslieferung wegen eines während der Diktatur verschwundenen schweizerisch-chilenischen Doppelbürgers.

1977 verschwand der Student Alexei Jaccard in der argentinischen Hauptstadt Buenos Aires. Seine Angehörigen beschuldigten argentinische Behörden und den chilenischen Geheimdienst, ihn verschleppt zu haben.

Im Herbst 1998 eröffnete der damalige Genfer Generalstaatsanwalt Bernard Bertossa im Fall Jaccard eine Untersuchung gegen Pinochet wegen Mordes, Entführung und Freiheitsberaubung. Kurz zuvor war Pinochet in London verhaftet worden, wohin er für eine Operation gereist war.

Den Antrag auf Festnahme gestellt hatte der spanische Untersuchungsrichter Baltasar Garzon. Er verlangte Pinochets Auslieferung wegen unter der Pinochet-Diktatur (1973-1990) verschwundener Spanier.

Opfer und Bankkonten

Auch die Schweiz schickte ein Auslieferungsgesuch an die Briten. 2000 liessen diese den Ex-Diktator jedoch ziehen, was international heftig kritisiert wurde. Pinochet hatte sich durch seine Ärzte für prozessunfähig erklären lassen.

Zu den Opfern der Militärdiktatur gehörte auch der ehemalige Schweizer Linksaktivist Pierre Rieben. Er wurde 1974 in Santiago de Chile verhaftet und nach eigenen Angaben gefoltert. Rieben zeigte Pinochet ebenfalls an.

Die Schweizer Justiz interessiert sich auch für mutmassliche Konten des Ex-Generals und dessen Entourage, die Chile auch des Steuerbetrugs verdächtigt. Das Land verlangt die Herausgabe von Bankdokumenten. Im Oktober beschloss die Bundesanwaltschaft, Rechtshilfe zu leisten.

Der Vollzug der Rechtshilfe sei nach wie vor im Gang, sagte die Sprecherin der Bundesanwaltschaft (BA), Jeannette Balmer, am Montag. Solange Chile das Rechtshilfegesuch nicht zurückziehe, laufe der Vollzug weiter.

Trial Watch: Komplizen leben noch

François Membrez ist Vize-Präsident der Schweizer NGO Trial Watch, welche gegen die Straffreiheit von Potentaten kämpft. «Für uns war der Fall Pinochet exemplarisch. Seine Verhaftung in London war für uns ein Schritt in die Richtung, die wir vertreten», führt Membrez gegenüber swissinfo aus.

«Es ist ganz klar, dass wir es bedauern, dass Pinochet gestorben ist, ohne sich vor Gericht verantworten zu müssen. Er hätte verurteilt werden müssen. Aber das Dossier ist deshalb noch nicht geschlossen, einige seiner Komplizen leben noch und sollten noch Gelder von Pinochet in der Schweiz auftauchen, dann gehören die dem chilenischen Volk.»

Epoche zu Ende

Die Schweizer Zeitungen befassen sich nach dem Tod von Pinochet vor allem mit der Zeit danach.

«Die Epoche der Extreme in Lateinamerika scheint mit Pinochet und Castro zu verschwinden, schreibt die Basler Zeitung. Der Zürcher Tages Anzeiger stellt fest: «Der Grossteil der Bevölkerung dürfte über seinen Tod erleichtert sein. Ohne ihn, so hoffen sie, wird es einfacher werden, die dunklen Jahre der chilenischen Militärdiktatur juristisch und moralisch aufzuarbeiten.»

Die Tribune de Genève meint: «Pinochet wird nicht als Sieger in Erinnerung bleiben. In diesem Jahr haben die Chilenen gar ein Opfer der Diktatur an die Spitze des Staates gewählt: Michelle Bachelet.»

swissinfo und Agenturen

Personen, die aus der Pinochet-Diktatur in die Schweiz flüchteten, machten hier unterschiedliche Erfahrungen:

Etliche wurden wieder in ihr Herkunftsland zurückgeschickt. Andere durften dank der Solidaritätsbekundungen der Bevölkerung bleiben und erhielten den offiziellen Flüchtlingsstatus.

Rund 5800 Flüchtlinge aus Chile ersuchten während Pinochets Militärdiktatur (1973 – 1990) in der Schweiz um Asyl. 1500 wurden als Flüchtlinge anerkannt.

Zwischen 1973 und 2005 wurden gegen 2500 Chileninnen und Chilenen eingebürgert.

Ende 2005 zählte man über 3500 Chilenen mit Wohnsitz in der Schweiz.

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