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Ermittlungen mit Stolpersteinen

Probleme mit Menschenrechten gibt es praktisch überall auf der Welt. Auch in westlichen Industriestaaten kommt es zu Verstössen.

So sorgt zum Beispiel das Thema der mutmasslichen Gefangenenflüge und möglicher Geheimgefängnisse der CIA in Europa für Schlagzeilen.

Der Tessiner Ständerat Dick Marty kämpft im Auftrag des Europarats um die Aufklärung des CIA-Skandals und stösst dabei auf Mauern des Schweigens. «Silence, on torture» («Ruhe – hier wird gefoltert») ist ein beeindruckendes Dokument des Westschweizer Fernsehmagazins «Temps présent».

Die Produktion des Westschweizer Fernsehens (TSR) über den FDP-Ständerat Dick Marty und dessen Ermittlungsauftrag stand im März auf dem Programm des Internationalen Filmfestivals der Menschenrechte. «Temps présent» ist den Spuren gefolgt, welche die Transitflüge der CIA vom Flughafen Cointrin-Genf bis nach Rumänien auf illegale Transportflüge in Foltergefängnisse vermuten lassen.

Viele offene Fragen

Die Reaktionen der europäischen wie auch Schweizer Politiker zum Thema stimmen denselben Tenor an: Ungenügende Beweise, obschon Vermutungen vorliegen. Der Film wirft Licht auf Tatsachen, die im Laufe von Martys und anderen Ermittlungen bekannt wurden.

Warum schweigen die Vertreter der europäischen Regierungen über die mutmasslichen Geheimgefängnisse der CIA? Warum verhält sich die Schweizer Diplomatie so zurückhaltend?

Wie ist es um den Rechtsstaat und den Schutz der Menschenrechte bestellt? Diesen und anderen Fragen stellte sich im Anschluss an die Filmvorführung eine hochkarätig besetzte Podiumsdiskussion.

Gefolgt wurde «Silence, on torture» von der Filmausstrahlung dreier Zeugenberichte ehemaliger Folteropfer aus Guantánamo, eines US-Gefängnisses in Syrien sowie des Zeugnisses der Ehefrau eines Gefangenen.

Die Schweizer Filmproduktion (2006) von den Regisseuren Antoine Plantevin und Marcel Mione stand am Filmfestival in Genf mit weiteren 13 Produktionen im Wettbewerb um den Filmpreis der Weltorganisation gegen Folter.

Welche Mittel der Terrorismusbekämpfung?

Der Kinoabend war von Amnesty International mitorganisiert und stand unter der Thematik «Terroristische Bedrohung und Ausschreitung der Sicherheitskräfte». Zum Auftakt war neben den Diskussionsteilnehmern auch eine Überlebende des Terroranschlags auf das UNO-Hauptquartier in Bagdad anwesend.

Die ehemalige Partnerin des bei dem Anschlag getöteten UNO-Sonderbeauftragten im Irak, Sergio Vieira de Mello, bezeugt: «Wenn ich als Überlebende etwas von diesem Tag gelernt habe, so ist dies, dass wir Gewalt nicht mit Gewalt stoppen werden. Zur Bekämpfung des Terrorismus dürfen wir nicht mit gleicher Münze zurückzahlen.»

Nicolas Howen, Generalsekretär der Internationalen Juristenkommission, betont in der anschliessenden Podiumsdiskussion: «Auf der einen Seite beobachten wir ein Verstecken der Tatsachen über die Folter und die Misshandlungen seitens der Sicherheitskräfte und auf der anderen Seite eine Verlegenheit, über die Folter zu debattieren – im Grunde ein sehr bescheidenes Diskussions-Niveau.»

Das Subjektive beim Terror-Begriff

Eine ähnliche Beobachtung macht Daniel Bolomey, Generalsekretär der Schweizer Sektion von Amnesty International: Das Konzept «Krieg gegen den Terror» hat zahlreichen Ländern die Möglichkeit offen gelegt, ihre politischen Gegner als Terroristen zu bezeichnen.»

Damit beraubten sie ihre politischen Gegner auch jeglicher Möglichkeit des Zugangs zur freien Meinungs-Äusserung. Zudem ermögliche die juristisch nicht anerkannte Bezeichnung «Terrorist» ein Todesurteil – auch ohne Prozess. «Gegen diese Realität gilt es vorzugehen», unterstreicht Bolomey.

Dieser Gedanke wurde auch aufgegriffen vom Co-Direktor des Programms für Humanitäre Politik und Konfliktforschung von Harvard, Mohammad-Mahmoud Ould Mohamedou: «In der Bezeichnung des Terrorismus liegt eine starke Subjektivität.»

Wahrnehmung des anderen als Lösungsansatz

Eine neue Betrachtung «des anderen» wurde als entscheidendes Element zur Lösungsfindung vorgetragen.

Gérard Stoudmann, Botschafter und Direktor des Genfer Zentrums für Sicherheitspolitik, erläutert: «Die Wahrnehmung des anderen ist der Anfang der Antwort. Die Sichtweise des anderen zu betrachten bedeutet, zu begreifen beginnen, welches die Faktoren seiner Motivation sind und somit die tiefen Gründe für den Terrorismus zu verstehen. Solange man dies nicht versteht, und lediglich die Auswirkung des Terrorismus bekämpft, macht man keine Prävention, sondern Repression.»

Der von Beifall begleitete Beitrag erinnerte an die Kurzsichtigkeit in der internationalen Terrorismusbekämpfung und an die Tatsache, dass es sich beim Terrorismus an sich nicht um ein grundlegend neues Phänomen handelt, sondern um eine drastische Form der Missachtung der Menschenwürde.

Das diesjährige Filmfestival in Genf stand wieder ganz im Zeichen der Solidarität mit den Opfern von Menschenrechts-Verletzungen und empfing zahlreiche Persönlichkeiten und Aktivisten, die ihre Stimme für ihren Einsatz in der Hauptstadt der Menschenrechte laut werden liessen.

Paula Eger

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