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Erste Klage gegen Domainpiraten

Einige der neuen Domains werden wohl noch die Richter beschäftigen. swissinfo.ch

www.bücher.ch und www.nestlé.ch, also Internet-Adressen mit Umlauten und "accents", können in der Schweiz seit dem 1. März registriert werden.

Mehrere Unternehmen sind bereits Opfer von Domainpiraten geworden.

Seit dem 1. März können Personen, Unternehmen, Behörden und Organisationen Internet-Adressen kaufen, in denen Umlaute (ä, ö, ü) oder ein «accent» (é, à, ç) vorkommen. Bereits ist es zum ersten Streitfall um diese so genannten Domainnamen oder URLs gekommen.

«Der Vertrag zwischen der Schweiz und der Stiftung Switch verbietet uns, den Namen des Klägers zu nennen, bevor der Fall beigelegt ist», sagt Samar Shamon, Sprecher der Weltorganisation für intellektuelles Eigentum (WIPO) gegenüber swissinfo.

«First come, first served»

In der ersten Woche hat die mit dem Verkauf betraute Stiftung Switch 18’000 Domainnamen verkauft, davon 14’000 innerhalb von 24 Stunden. Der Preis pro Adresse beträgt 75 Franken.

Die neuen Adressen kann bis jetzt noch kaum ein Internet-Browser lesen und damit auch nicht darstellen. Dies soll sich erst im Laufe der Zeit ändern.

Switch verkauft die Namen dem Erstbesten. Eine vorgängige Prüfung, ob der Käufer überhaupt zu einem Kauf der Adresse berechtigt ist, muss Switch nicht durchführen. Wenn der Käufer kein eigentliches Interesse am Namen hat, spricht man von Domainpiraterie oder Cybersquatting.

Bisher bestand in der Schweizer Rechtssprechung die Tendenz, bei Interessenabwägungen Gemeinden generell zu bevorzugen. Ob das auch auf Regionen wie www.zürichsee.ch zutreffen wird, bleibt abzuwarten.

Grosse Verlierer

Rückblende: Alles ging sehr schnell an diesem 1. März bei Switch. Wer bei der Online-Registrierung nicht als Erster durchkam, hatte das Nachsehen.

So liessen sich auch grössere Unternehmen erwischen. Beispielsweise der Nahrungsmittel-Konzern Nestlé. Die Rechte am Domainnamen nestlé.ch hatte sich ein Student erworben, der in den Medien sagte, er möchte zwar kein Geld dafür, würde aber durchaus gerne mal bei Nestlé arbeiten.

Die Freiburger Zeitung «La Liberté» ihrerseits musste www.laliberté.ch für 300 Franken von einem Domainpiraten zurückkaufen, mit dem sie sich arrangieren konnte.

Doch die Sache mit den neuen Namen geht nicht für alle so glatt über die Bühne. Martin Brühwiler von der Rösslitor-Buchhandlung in St. Gallen besitzt beispielsweise die Internet-Adesse www.buecher.ch seit sieben Jahren. Doch bücher.ch wurde ihm vor der Nase weggeschnappt. Brühwiler nennt das Zuteilungsverfahren schlicht eine «Schweinerei».

Seiner Meinung nach hatte er die Rechte an dem Namen, da bücher.ch ja nur die orthografisch richtige Schreibweise seiner bisherigen Adresse sei. Dies habe er schon vor dem 1. März geltend gemacht, sei aber damit nicht durchgekommen.

Martin Brühwiler wird voraussichtlich darauf verzichten, den Domaininamen bücher.ch auf gerichtlichem Weg einzufordern: «Das ist mir zu unsicher. Schnell einmal sind Tausenden Franken in einen Prozess investiert, dessen Ausgang vollständig ungewiss ist.»

Bevor es zu einem Prozess kommt, kommt ein Schlichtungsverfahren der Wipo zum Tragen. «Dieses umfasst in der Schweiz zwei Phasen», so Francis Gurry, Wipo-Vizedirektor in Genf.

Erst werde telefonisch versucht, die beiden Seiten zu einer Einigung zu bewegen. Misslinge dies, komme es zu einem Schieds-Verfahren. Die Beweislast liegt dann beim Kläger. Dieser muss laut Gurry drei Beweise vorlegen.

Legitimes Interesse

Der Kläger muss erstens zeigen, dass der Domainname mit seiner Marke, beispielsweise Nestlé, übereinstimmt. Der zweite Punkt ist erfüllt, wenn der Inhaber kein «legitimes Interesse» am Besitz der Internet-Adresse nachweisen kann. Drittens muss der Kläger beweisen, dass der Inhaber den Domainnamen nicht in gutem Glauben erworben hat. Das ist beispielsweise dann der Fall, wenn der Käufer dem eigentlich Berechtigten die Domain verkaufen will.

Nicht immer können sich aber in diesem Verfahren die Grossen gegen die Kleinen durchsetzen. «Der Penguin-Verlag klagte gegen den Besitzer der Domain penguin.org. Dieser, eine Privatperson, gewann den Streit», sagt Gurry.

Es stellte sich heraus, dass der Mann seit seiner Kindheit «Penguin» gerufen wurde, sogar seine Frau nannte sich Madame Penguin. Damit, so wurde entschieden, habe er ein legitimes Interesse an der Adresse.

Weiteres Beispiel von Gurry, der Fall der Sängerin Madonna. «Ihr Name – selbst wenn er sehr bekannt ist – ist auch eine Referenz an die Religion. Religiöse Seiten könnten deshalb den Anspruch auf Seiten wie www.madonna.ch anmelden.»

Rekurs innert zehn Tagen

Hat die Schlichtungsbehörde der Wipo einmal ihr Urteil gefällt, kann die unterlegene Partei innert zehn Tagen Rekurs einreichen. Dann muss sich ein reguläres Gericht mit dem Domainstreit befassen.

«Das Schlichtungsverfahren geht mit rund 45 Tagen schneller, als ein herkömmliches Gerichtsverfahren», konstatiert Gurry, «und es ist mit 1000 Franken auch billiger.»

swissinfo, Alexandra Richard
(Aus dem Französischen von Renat Kuenzi)

Switch verkaufte innert 24 Stunden 14’000 Domains mit Umlauten und «accents». Jede kostete 75 Franken.

Allgemein operieren Domainpiraten mit rechtlichen Unklarheiten.

Beim Besetzen von «Common Use»-Domains werden Adressen registriert, die man nachher weiter-verkaufen möchte.

Hier haben Besetzer solcher Adressen aber auch schon vor Gericht verloren:

Der Besitzer der Adresse www.migros.ch musste sie entschädigungslos an den Grossverteiler Migros abgeben.

Noch bevor die Fusion der Basler Chemiefirmen Ciba und Sandoz in der Öffentlichkeit bekannt wurden, war die Domain www.novartis.ch bereits besetzt.

So wählen Cybersquatter Domains aus, von denen sie hoffen, sie würden in Zukunft gebraucht.

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