Erzwungene Ausschaffung ins Heimatland
Ab Mitte Jahr kann die Schweiz straffällige und verurteilte Ausländer in ihr Heimatland ausschaffen – auch gegen deren Willen.
Offiziell wird diese Massnahme als humanitärer Akt präsentiert. Doch es regt sich Kritik.
Bis heute hat die Schweiz nur ausländische Gefangene ausgeschafft, die damit einverstanden waren. Nun hat sie – wie 32 andere Länder auch – das Zusatzprotokoll zur «Europarat-Konvention über den Transfer von verurteilten Personen» unterschrieben.
Und – wie 22 der 32 Länder auch – will die Schweiz das Protokoll demnächst ratifizieren. Die Referendumsfrist läuft diesen Donnerstag aus, und niemand, selbst Amnesty International nicht, hat dagegen Position bezogen.
Die juristische Neuerung öffnet den Weg für Zwangsausschaffungen von Gefangenen, unter anderem auch in Länder wie Rumänien, Serbien, Mazedonien oder Bulgarien.
Rückführung als Wiedereingliederungs-Massnahme
«Das Ziel des Protokolls ist es, die soziale Wiedereingliederung der ausländischen Gefangenen in ihrer Heimat zu erleichtern», erklärt Folco Galli, Sprecher des Bundesamtes für Justiz.
Die Schweizer Behörden hoffen ausserdem, die Zahl der ausländischen Gefangenen in Schweizer Haftanstalten (3500 von gesamthaft 5000 Gefangenen) zu verringern.
Die neue gesetzliche Grundlage habe möglicherweise auch eine präventive Wirkung, hoffen die Schweizer Behörden.
Die Haftbedingungen in den Herkunftsländern seien oft viel prekärer als in der Schweiz, was auf Ausländer mit kriminellen Absichten eine abschreckende Wirkung haben könnte.
Prognosen jedoch über die konkreten Auswirkungen der neuen Rückführungs-Möglichkeit will das Bundesamt für Justiz keine wagen.
Viele Hürden bis zur Ausschaffung
Folco Galli ist auch nicht sicher, ob mit den Ausschaffungen bereits im laufenden Jahr begonnen werden kann, denn bis zum Vollzug gebe etliche Hindernisse.
Eine Rückführung ist beispielweise nur möglich, wenn die Haftstrafe noch mindestens sechs Monate dauert. Zudem muss ein Gericht die Rückschaffung bestätigt haben. Und das ist noch nicht alles.
Das Herkunftsland, selbst wenn es das Zusatzprotokoll unterzeichnet hat, kann die Entgegennahme des Gefangenen verweigern. Der Gefangene seinerseits kann bis zum Bundesgericht gegen die Ausschaffung rekurrieren.
Problematische Haftbedingungen im Ausland
Der Weg zur konkreten Umsetzung ist also lang. Für André Vallaton, Chef der waadtländischen Strafvollzugs-Behörde, ist die Rückschaffung von Gefangenen gegen deren Willen grundsätzlich eine gute Sache
Im Moment schafft die Schweiz fast systematisch alle ausländischen Gefangenen aus, wenn sie ihre Strafe abgesessen haben und wenn die Menschenrechte im Heimatland respektiert werden.
André Valloton glaubt, dass eine vorzeitige Rückführung die Gefangenen besser auf ihre Zeit nach dem Gefängnis vorbereiten kann.
«Die Schwierigkeit liegt bei den Haftbedingungen in gewissen Ländern», sagt Valloton. «In Rumänien beispielsweise oder in Moldawien ist die Grenze zur inhumanen, erniedrigenden Behandlung manchmal fast erreicht.»
Die Lösung wäre, die Haftbedingungen in den Europarat-Mitgliedsländern zu harmonisieren.
Viele Länder werden ablehnen
André Valloton sieht aber noch ein anderes Problem. Die wenigsten der ausländischen Gefangenen stammen aus Mitgliedsländern des Europarats.
«Man muss nicht glauben, dass Länder, aus denen viele Kriminelle stammen, ein solches Abkommen unterzeichnen. Es ist nicht in ihrem Interesse, einen Teil ihrer Armut und deren Konsequenzen wieder zurück zu nehmen.»
Fguiri Kais auf der anderen Seite ist beunruhigt. Er ist seit vier Jahren Mitglied der eidgenössischen Ausländerkommission, und er befürchtet, das bei den Rückführungen zu wenig differenziert vorgegangen werden könnte.
Die ganze Familie wird bestraft
Für den Tunesier bringt die Rückschaffung von Gefangenen, die keinerlei Bindungen zur Schweiz haben, kaum Probleme. Doch das sei bei den wenigsten der Fall.
Viel grundsätzlicher kritisiert Fguiri Kais, dass Gefangene während oder am Ende ihrer Gefängnisstrafe ausgeschafft werden, selbst wenn sie eine Aufenthaltsbewilligung haben (Bewilligung L oder B).
«Wenn der Gefangene hier mit seiner Familie lebt, wenn er eine Aufenthaltsgenehmigung hatte oder sogar Arbeit, dann verschärft eine Rückschaffung seine Situation beträchtlich. Und der Schaden für die Familie ist oft enorm.»
swissinfo, Pierre-François Besson
(Übertragung aus dem Französischen: Katrin Holenstein)
Ausländische Gefangene in der Schweiz können schon bald gezwungen werden, die Haftstrafe in ihrem Heimatland abzusitzen.
Diese neue Möglichkeit ist im Zusatzprotokoll der «Europarat-Konvention über den Transfer von verurteilten Personen» enthalten, das die Schweiz mitunterzeichnet hat.
Die Referendumsfrist ist ungenutzt verstrichen.
Die Gefangenen können gegen eine Rückführung bis zum Bundesgericht rekurrieren.
Die Herkunftsländer ihrerseits können eine Entgegennahme verweigern.
Heute sind 3500 der insgesamt 5000 Häftlinge in Schweizer Gefängnissen Ausländer.
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