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Eurokrise bremst Roulettekugel aus

Lohnt es sich noch? Keystone

Die Euroschwäche sorgt in der Schweizer Wirtschaft für Kopfschmerzen. Auch die Casinos leiden, besonders im Tessin, wo sich europaweit die höchste Dichte an Casinos befindet. Der Bund muss deshalb auf millionenhohe Einnahmen verzichten.

Falls es kein Rekord ist, fehlt nur wenig. Auf den 2800 Quadratkilometern des Südschweizer Kantons Tessin gibt es ganze drei Casinos (von Norden nach Süden: Locarno, Lugano, Mendrisio).

Zudem befindet sich das grösste Casino Europas in der italienischen Enklave Campione d’Italia, die vom Tessin umgeben ist. Trotzdem ist man im Tessin meilenweit weg von Las Vegas.

Der Grund für die hohe Anzahl an Spielhäusern ist die Nähe zu Italien, wo es im gesamten Land lediglich vier Casinos gibt. Es ist daher nicht verwunderlich, dass die grosse Mehrheit der Kunden (zwischen 80 und 90%) aus dem dicht besiedelten und wirtschaftlich starken Norditalien stammt.

Finanziell gesehen ist dieser Wirtschaftssektor auch für die Eidgenossenschaft interessant: Die Glücksspielhäuser sind verpflichtet, einen Teil ihres Einkommens – durchschnittlich 50% – dem Staat abzuliefern.

So haben beispielsweise die 19 Schweizer Casinos 2010 ein Bruttospielprodukt (das heisst, die Differenz zwischen verspieltem Geld und ausbezahlten Gewinnen) von 869 Millionen Franken erarbeitet: 387 Mio. davon flossen in den Ausgleichsfonds der Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV), 63 Mio. erhielten die Kantone für kulturelle Aktivitäten oder öffentliche Wohlfahrt.

Der Anteil der Tessiner Casinos daran belief sich auf 191 Mio. Fr., oder etwas mehr als 20% der Gesamtsumme.

Goldene und schwierige Jahre

Für die Tessiner Spielhäuser scheinen die guten Zeiten jedoch vorbei zu sein. Besonders gerne erinnert man sich an die Periode von 2005 bis 2006, sagt Hubertus Thonhauser, Geschäftsführer des Casinos in Lugano. In jenen Jahren sei «das Casino in Campione noch im Bau gewesen, und in Italien wurde gerade das Rauchverbot eingeführt». Die Konsequenz: Italienische Kunden überschwemmten die Tessiner Casinos.

In den Jahren danach hat sich das Blatt allerdings gewendet, nach der Eröffnung des Spielhauses in der Enklave – ein neues, enormes Casino des Stararchitekten Mario Botta – und der Einführung des Rauchverbots auch in der Schweiz.

Danach sei die Situation noch schwieriger geworden. Die Gründe sind laut Thonhauser verschiedener Art: die globale Wirtschaftskrise, die den Kunden schwer auf die Brieftasche drückte sowie ungünstige Wechselkurse. Ein weiterer Faktor sei die Konkurrenz – seit 2009 – der Video-Lotterie in Italien, die den weitverbreiteten Spielautomaten gleicht.

Leerer Teller

Die Zahlen der letzten Jahre zeigen es: Gemessen am Bruttospielprodukt haben die zwei Casinos des Sottoceneri (Südtessin) und jenes in Campione in vier Jahren zusammen rund 30% verloren (150 Mio. Fr.).

«Die Anzahl der Spielerinnen und Spieler ist nicht zurückgegangen, dafür die Höhe des durchschnittlichen Wetteinsatzes pro Spiel», sagt Thonhauser. «Die Situation ist echt schwierig: Wir bezahlen unsere Mitarbeitenden und Lieferanten in Schweizer Franken, während die Mehrheit der Spiele in Euro stattfindet, der seit Anfang 2010 etwa 25% seines Wertes verloren hat.»

Ein Phänomen, das auch Martin Hellrich bestätigt, der Kommunikationsverantwortliche des Casinos in Mendrisio. Dieses befindet sich nur 5 Kilometer von der Grenze zu Italien entfernt, neben einem riesigen Outlet mit 1500 Gratisparkplätzen.

«Der starke Franken macht uns ziemlich zu schaffen. Italienische Spieler setzen – aus ihrer Sicht – immer den gleichen Betrag in Euro ein. Und dieser ist in Franken immer weniger wert.»

Aus diesem Grund habe man «in den letzten Jahren mindestens 40% des Bruttospielprodukts verloren. Im Moment erwirtschaften wir noch einen Gewinn, doch wir schielen immer sehr besorgt auf die Entwicklung der Wechselkurse», so Hellrich.

Auch Campione erlebt harte Zeiten: Das Spielhaus in der Enklave wird 2011 vermutlich mit einem Defizit in der Grössenordnung von 25 Mio. Fr. abschliessen.

Antizyklisch handeln

Wie soll man sich dieser Situation entgegenstellen? Laut Thonhauser ist der einzige Weg ein antizyklisches Vorgehen. Denn am Wechselkurs selber kann man nichts ändern.

«Das Dümmste, was wir machen könnten, wäre, die Dienstleistungen am Kunden zu kürzen. Wir müssen weiterhin die bestmögliche Qualität garantieren – dazu gehört auch, dass wir interne Reorganisationen durchführen –, um zu verhindern, dass uns in Lugano die Kundschaft ausbleibt. Und hoffen, dass die Konjunktur bald anzieht.»

Das Casino Lugano habe daher Investitionen getätigt, die auf eine «Kundschaft abzielen, die gerne Geld ausgibt»: Verbesserungen im Restaurant, eine neue Lounge, eine Diskothek, Erneuerung der Slot-Maschinen. Zusammengefasst «ein echtes und veritables 360-Grad-Unterhaltungszentrum, auch wenn in unseren Breitengraden ein Casino kaum jene Rolle als Familien-Attraktion wie in Las Vegas spielen wird».

Unsichere Zukunft

Eine weitere Möglichkeit sieht Thonhauser in einer Neuverhandlung des Steuersatzes (Lugano 2010: 56%) der Eidgenossenschaft für Casinos mit einer A-Lizenz, die keine Einschränkungen bezüglich Jackpot oder der Anzahl Maschinen haben. Diese Abgabe sei exorbitant.

Mitte Dezember 2011 hat die Landesregierung auf eine entsprechende Anfrage eines Tessiner Nationalrats reagiert: Laut Justizministerin Simonetta Sommaruga berücksichtigt der Steuersatz die generelle wirtschaftliche Lage und die durchschnittliche Rentabilität der Casinos im Vorjahr.

Es stellt sich die Frage, ob die drei Casinos des Sottoceneri nicht besser die Kräfte bündeln würden. Thonhauser sagt dazu: «Die Idee ist sicher gut, aus praktischen Gründen aber schwer umzusetzen: Die drei Häuser unterliegen unterschiedlichen Gesetzen. Lugano hat eine A-, Mendrisio eine B-Lizenz, Campione muss sich an italienisches Recht halten.»

Der Blick in die Zukunft ist daher nicht frei von Ängsten. Schaffen es die Tessiner Casinos, zu bestehen? «Es ist nicht an uns, Vorhersagen für die gesamte Branche zu machen», sagt Martin Hellrich. «Doch die Annahme ist realistisch, dass Casinos ihre Kosten und Investitionen herunterfahren müssen, sollte der Wechselkurs unverändert bleiben.»

Die Eidgenössische Spielbankenkommission vergibt an Casinos A- oder B-Lizenzen.

Für ein B-Casino gelten Einsatz- und Gewinnlimiten sowie eine Beschränkung auf maximal 250 Glücksspielautomaten.

B-Casinos dürfen keine Vernetzungen von Spielen zur Bildung von Jackpots zwischen Spielbanken vornehmen. Zudem ist die Gesamtsumme aller Jackpots der B-Casinos auf 200’000 Franken beschränkt. Für A-Casinos gelten diese Einschränkungen nicht.

Glücksspielhäuser mit A-Lizenz gibt es in Baden, Basel, Bern, Luzern, Lugano, Montreux und St. Gallen.

B-Lizenz-Häuser befinden sich in Bad Ragaz (Kanton St. Gallen), Courrendlin (Jura), Crans-Montana (Wallis), Davos (Graubünden), Granges-Paccot (Freiburg), Interlaken (Bern), Locarno, Mendrisio (beide Tessin), Meyrin (Genf), Pfäffikon (Schwyz).

Geplant ist die Eröffnung von Casinos in Zürich (A) und Neuenburg (B).

(Quelle: Eidg. Spielbankenkommission)

(Übertragung aus dem Italienischen: Christian Raaflaub)

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