Ex-Unterstaatssekretär Eizenstat verteidigt sich
Der frühere US-Unterstaatssekretär Stuart Eizenstat rechtfertigt den Einband seines Buches über die Rolle der Schweiz im Zweiten Weltkrieg.
In einem Interview mit Robert Brookes von swissinfo sagte Eizenstat, der umstrittene Buchdeckel sei ein akkurates Abbild der Geschichte.
swissinfo: Was fühlten Sie, als die Schweiz auf den Einband der englischen Ausgabe Ihres Buches so verärgert reagierte?
Stuart Eizenstat: Ich war sehr verletzt, denn meiner Ansicht nach hat der Einband eine klare Bedeutung in Bezug auf die Rolle der Schweizerischen Nationalbank, weil diese den ganzen Krieg über geraubte Goldbarren von den Nazis entgegennahm.
Dass der Einband fälschlicherweise als breit angelegten Angriff auf das Land oder auf die Schweizer Fahne interpretiert wurde, war für mich sehr schmerzlich, denn ich hatte eine langjährige positive Beziehung zur Schweiz.
Es freut mich, dass für die neue Aussenministerin Micheline Calmy-Rey die Angelegenheit mit dem Buchdeckel offenbar erledigt ist.
Ich habe mein Bestes getan, um zu erklären, was ich damit meinte. Die deutsche und die französische Ausgabe werden ganz andere Deckel haben. Und die Medienleute und auch andere, die in der Schweiz das Buch gelesen oder rezensiert haben, kamen alle zur Ansicht, dass es fair und unparteiisch ist.
Aber ist es nicht natürlich, dass Goldbarren auf einer Schweizer Fahne die Schweizerinnen und Schweizer verärgern?
Wenn die Leute den Gedanken dahinter verstehen, sollte es das nicht, denn Goldbarren sind ein Symbol der Schweizerischen Nationalbank, die während des ganzen Kriegs Raubgold annahm und es nachher nicht zurückgeben wollte.
Aber ich habe etwas daraus gelernt: Wenn man ein heikles Symbol benutzt, muss man mit der Tatsache rechnen, dass es falsch interpretiert werden kann, auch wenn es für einen selbst klar ist.
Sie haben den Bericht des Historikers Jean-François Bergier über die Rolle der Schweiz im Zweiten Weltkrieg gerühmt. Aber sogar er findet, der Einband Ihres Buches sei «falsch und unverschämt». Was sagen Sie dazu?
Tatsache ist, dass die Schweiz im Krieg eine sehr zwiespältige Rolle spielte, und es ist vielleicht an der Zeit, dass sich die Schweizer damit abfinden …
Laut dem Bergier-Bericht verletzte die Schweiz ihre Neutralität mehr als einmal. Zum Beispiel, als sie Waffen nach Deutschland transportierte, als Schweizer Firmen Zwangsarbeiter beschäftigten, als man ein «J» in jüdische Pässe stempelte, um jüdische Flüchtlinge an der Grenze zurückweisen zu können, und vor allem, als die Nationalbank bekanntlich gestohlene Goldbarren aus besetzten Ländern annahm…
Für mich ist die Bedeutung klar. Es tut mir leid, wenn Herr Bergier dies anders sieht. Ich respektiere seine Arbeit, und ich finde in der Tat, dass es sehr wichtig ist, dass die Leute das Buch und den Bergier-Bericht lesen und sich dann mit ihrer eigenen Geschichte abfinden. Ich denke, die Schweiz hat in verschiedenen Beziehungen damit angefangen.
In Ihrem Buch beschreiben Sie mit scharfen Worten die «Passivität» der Schweizer Regierung in der Frage der nachrichtenlosen Vermögen. Wie kommen Sie dazu?
Bei allen grösseren Verhandlungen, die ich mit der Schweiz, Deutschland, Österreich und Frankreich führte, war die Sache mit den Schweizer Banken die einzige, bei der die Regierung sich weigerte, selbst zu verhandeln.
Die deutsche Regierung verhandelte mit ihrem Privatsektor, ebenfalls die Franzosen, und diese Regierungen trugen damit beträchtlich zur Einigung in Bezug auf die Sammelklagen bei.
In der Schweiz dagegen wurde es den Banken allein überlassen, die vereinbarten 1,25 Milliarden Dollar zu zahlen. Ich finde ehrlich gesagt, ein grosser Teil der Kritik an der Schweizer Rolle im Krieg sollte sich nicht gegen die Privatbanken richten, welche das Geld gar nicht annehmen durften, sondern gegen die Nationalbank, die nichts zur Einigung beitrug, so wenig wie die Regierung.
Sogar nachdem man im August 1998 eine Einigung gefunden hatte, wurde das Abkommen nie von der ganzen Schweizer Regierung formell abgesegnet.
Sie sagen, dass es in der Frage des Holocaust insgesamt noch viel zu tun gibt. Können Sie erklären, was genau?
Es gibt noch viel zu tun, und das meiste nicht in der Schweiz, sondern in anderen Ländern. Es gibt zum Beispiel noch eine grosse Menge konfiszierten Gemeinschaftseigentums – Synagogen, Kirchen, Schulen, Gemeinschaftszentren, sogar Friedhöfe in Osteuropa – welche den Religionsgemeinschaften zurückgegeben werden müssen, insbesondere den jüdischen.
Zweitens muss in der Frage der Rückgabe von Kunstwerken in den USA, Deutschland und vor allem in Russland noch viel geschehen. Russland hortet am meisten geplünderte Kunstwerke, die von der Roten Armee gestohlen worden waren. Zwar kam man mit einer Einigung über die Rückgabe schon gut voran, aber noch sind keine Kunstwerke zurückgegeben worden.
Als nächstes kommt die Aufklärung über den Holocaust. Es gibt 16 Länder, von Schweden über Polen, Frankreich und Deutschland bis in die USA, welche viel unternehmen, damit in den Schulen mehr über den Holocaust gelehrt wird. Nicht, um auf eine makabere Vergangenheit zu blicken, sondern als Lektion über den Holocaust.
Ich denke, in all diesen Bereichen wurden noch nicht viele Fortschritte gemacht.
Was muss die Schweiz tun, damit Sie zufrieden sind?
Es ist nicht an mir, ein moralisches Urteil über ein souveränes Land zu sprechen. Die Schweiz muss mit ihrer eigenen Vergangenheit fertig werden. Meiner Meinung nach gehen Länder, die das tun, gestärkt aus diesem Prozess.
Ich denke, die Schweiz hat damit angefangen. Und ich hoffe, sie wird den Prozess weiterführen, indem sie in ihren Schulen über den Holocaust berichtet und verlangt, dass der Bergier-Bericht und vielleicht mein eigener Bericht in den Mittelschulen zur Pflichtlektüre wird. Und dass es eine wirkliche Diskussion gibt, denn ich glaube, dass wird die Schweiz zu einem noch stärkeren Land machen, als sie es schon heute ist.
swissinfo-Interview: Robert Brookes, Washington
(Übertragung aus dem Englischen: Charlotte Egger)
In der Clinton-Administration war Stuart Eizenstat u.a. als Sondergesandter des Präsidenten und des Aussenministeriums verantwortlich für Fragen der Holocaust-Opfer
Bei den Verhandlungen über die wichtigen Abkommen für Holocaust-Opfer mit der Schweiz, Deutschland, Österreich und Frankreich stand Eizenstat an vorderster Front
Heute ist er Partner bei der internationalen Rechtskanzlei Covington and Burling in Washington
Laut Autor Stuart Eizenstat wurde der Einband des Buches «Imperfect Justice» irrtümlich als Angriff auf die Schweiz interpretiert. In der Schweiz hatte der Buchdeckel, der eine mit einem Hakenkreuz aus Goldbarren überdeckte Schweizer Fahne zeigt, Empörung ausgelöst.
Das Buch ist viel weniger polemisch als der Deckel der englischen Ausgabe. Es beschreibt detailliert den Kampf der Holocaust-Überlebenden um die Wiedererlangung ihres Eigentums und konzentriert sich auf die Frage der nachrichtenlosen Vermögen.
In der zweiten Hälfte der 90er-Jahre des letzten Jahrhunderts bewirkte eine Kampagne gegen die Schweiz, weil diese ihren Verpflichtungen nicht nachgekommen war, eine Einigung in Höhe von 1,25 Milliarden Dollar zwischen Schweizer Banken und jüdischen Organisationen. Im Zentrum der Verhandlungen stand damals Stuart Eizenstat.
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