Experten warnen vor zunehmender Spielsucht
Ein Jahr nach Eröffnung des ersten der sieben Grand Casinos in der Schweiz warnen Hilfsgruppen vor einer Zunahme der Zahl der Spielsüchtigen.
Viele Süchtige häufen Schulden von über 50’000 Schweizer Franken an, bevor sie Hilfe suchen.
Das erste Grand Casino öffnete im Juni letzten Jahres in Luzern seine Tore, gefolgt von Bern, Baden, Lugano und Montreux. Die letzten beiden werden noch dieses Jahr in Basel und St. Gallen eröffnet.
Um die Konzessionen dieser sieben so genannten A-Casinos wurde im Vorfeld heftig gestritten. Denn die Betreiber sind da nicht verpflichtet, für die Einsätze an den Spieltischen eine Höchstgrenze vorzugeben.
Mit der Eröffnung der A-Casinos geht offenbar auch eine Zunahme der Zahl der Spielsüchtigen einher. Laut Selbsthilfegruppen suchen seit der Eröffnung der Casinos vermehrt Leute Beratung bei der Bekämpfung ihrer Sucht.
«In der zweiten Hälfte des letzten Jahres stieg die Anzahl von Anfragen im Zusammenhang mit Spielsucht beträchtlich an», bilanziert Heidi Fritschi, die Direktorin von «Berner Gesundheit», einem Beratungszentrum für Spielsüchtige in der Schweizer Bundesstadt.
Suche nach Hilfe
Laut Claudia Roth, einer der ausgebildeten Beraterinnen im Team, kann man noch nicht sagen, ob die Zunahme in direktem Zusammenhang mit der Eröffnung des neuen Grand Casinos in Bern im Juli letzten Jahres steht.
Aber sie stellte klar, dass das Zentrum eng mit den Casino-Betreibern zusammenarbeitet, damit Süchtige Hilfe erhalten, bevor es zu spät ist.
«Wir haben ein Abkommen mit dem Casino (in Bern). Wenn die Mitarbeitenden, die dafür ausgebildet sind, feststellen, dass jemand am Spieltisch Probleme hat, versuchen sie diese Person zu veranlassen, mit uns Verbindung aufzunehmen», erklärte Roth gegenüber swissinfo.
«Aber die Leute kommen nur, wenn sie wirklich Hilfe wollen. Meistens nehmen sie jedoch nicht wahr, dass sie süchtig sind.»
Spielverbot
Die eidgenössische Spielbankenkommission hat Gesetze ausgearbeitet, wonach A-Casinos alles Nötige vorkehren müssen, um die Leute davon abzuhalten, sich in den Ruin zu spielen.
Die Kommission kann Betreibern Bussen von bis zu 500’000 Franken auferlegen, wenn sie die Regeln nicht einhalten und jemanden mit einem Spielverbot weiter an die Spieltische lassen.
Laut Stefan Harra, Direktor des Grand Casinos in Bern, ist dessen Personal ausgebildet, um Kundinnen und Kunden zu erkennen, die Probleme bekommen könnten.
«Langfristig ist es gar nicht in unserem Interesse, Süchtige in unserem Casino spielen zu lassen», betont Harra.
Hohe Spielschulden
Doch Roth glaubt, dass viele Süchtige durch das gesetzliche Sicherheitsnetz fallen und weiter spielen können, bis sie kein Geld mehr haben. Und nur wenige von ihnen melden sich bei einer Selbsthilfegruppe.
«Die Leute, die zu uns kommen, wissen zwar, dass sie aufhören müssen. Aber sie möchten das trotzdem nicht», erklärt Roth. «Meine Aufgabe ist es, sie zu motivieren.»
Die meisten Hilfesuchenden, so Roth weiter, haben bereits Schulden von mindestens 50’000 Schweizer Franken, wenn sie in die erste Beratung kommen. Es sei sehr wichtig, mit ihnen daran zu arbeiten, ihre Finanzen in den Griff zu bekommen, denn sie müssten merken, dass die Schulden abgebaut werden können.
«Viele Leute sind verzweifelt, einige sind selbstmordgefährdet, weil sie ihre Stelle und ihre Beziehungen verloren haben und keine Zukunft mehr sehen.»
Aus dem Teufelskreis entkommen
Einer von Roths Klienten im Beratungszentrum ist Andreas*, ein 46-jähriger ehemaliger Spielsüchtiger aus Bern. Er hatte sich in der Höhe von Hunderttausenden von Franken verschuldet.
Wie Andreas swissinfo erzählt, hat er mit kleinen Beträgen in Spielautomaten angefangen, «so mit zwanzig oder fünfzig Franken». Bald aber begann er, um höhere Beträge zu spielen. Und rasch wurden es regelmässig 6000 Franken, die er in einer Nacht am Spieltisch ausgab.
«Es kam so weit, dass ich nicht heimgehen konnte, so lange ich noch etwas Geld in der Tasche hatte. Denn nach ein paar Minuten konnte ich nur noch daran denken, wann ich wieder spielen könnte», erinnert er sich.
«Ich merkte, dass ich ein grosses Problem hatte, und dass das schlecht war für das Familienleben. Meine Angehörigen sahen, dass ich nicht damit fertig werden konnte, dass es stärker war als ich.»
Andreas ist nicht der Einzige: Der Sozialbeirat Schweizer Spielbanken – eine von den Casino-Betreibern gegründete Organisation – schätzt, dass in der Schweiz zwischen 10’000 und 20’000 Personen spielsüchtig sind.
Laut dem in Luzern ansässigen Selbsthilfezentrum Careplay sind die meisten Süchtigen Männer.
Andreas hat seine Sucht besiegt. Er sagt, das Spielen um hohe Einsätze in den neuen Schweizer Grand Casinos reize ihn nicht mehr.
«Man ist dem System der Spielautomaten ausgeliefert», erklärt er. «Zu Beginn denkt man, man habe es im Griff – ich stand davor und sagte: ‹Diesmal zeig ich es dir.› Aber schliesslich merkte ich, dass immer das System gewinnt.»
swissinfo, Ramsey Zarifeh
* Name der Redaktion bekannt
2001 vergab die Schweizer Regierung so genannte A-Lizenzen an 7 Casinos. Bei diesen gibt es keine Obergrenze für die Einsätze.
Das erste davon öffnete seine Tore im Juni 2002 in Luzern, die letzten beiden werden im Herbst in Basel und St. Gallen eröffnet.
Die Betreiber der Schweizer Casinos können mit Bussen von bis zu 500’000 Franken bestraft werden, wenn sie Spieler mit einem Spielverbot wieder an die Spieltische lassen.
In Übereinstimmung mit den JTI-Standards
Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!
Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch