Federer meldet sich zurück
Der sechste Masters-Titel für Roger Federer stösst in der Schweizer Presse auf Jubel. Der oft schon abgeschriebene Baselbieter habe sich am Sonntag in London gegen Jo-Wilfried Tsonga eindrücklich zurückgemeldet und alle Zweifler Lügen gestraft.
«Federer ist keine Nummer 4», «Trostpreis mit Wirkung», «Bestmarke für die Ewigkeit», «Die Antwort des Meisters». Die Schweizer Zeitungen sind nach dem Dreisatz-Sieg über den in der Westschweiz lebenden Franzosen Tsonga übervoll mit Lob für den Schweizer Tennisstar.
«Mit dem sechsten Masters-Titel hat der Techniker eine sportliche Marke für die Ewigkeit gesetzt», schreibt die Neue Zürcher Zeitung. Ebenso beeindruckend wie sein spielerisches Repertoire sei der Umstand, wie er die grossen Events vorbereite. Der Verzicht auf die Asientournee vor dem Einsatz in London habe sich positiv ausgewirkt.
«Die Londoner Woche hat dokumentiert, dass ein gesunder, vitaler Federer vor allem auf schnelleren Unterlagen immer noch Energie und Dynamik für Major-Titel aufbringen kann. Diese Bilanz schliesst eine allerdings kürzere Rückkehr in die erste Position des Rankings nicht aus.»
Die Planung sei eine der grossen Stärken Federers, glauben Tages-Anzeiger und Der Bund. «Federer machte seinen Hauptrivalen, die zuletzt alle Verschleisserscheinungen zeigten, wieder einmal vor, wie viel wert eine schlaue Planung ist. Der freiwillige Verzicht auf die Asientournee im Herbst war für ihn kurzfristig hart, sorgte aber dafür, dass er am Saisonende frischer war als alle.»
Für die italienischsprachige La Regione Ticino hat Federer mit 30 Jahren nichts mehr zu beweisen. «Roger geht seinen eigenen Weg, auf dem er Erfolge hinlegt, während die anderen sich die Wunden lecken oder zum Saisonende entspannt aufschnaufen.»
«Erstaunliches Jahr»
Die Neue Luzerner Zeitung schreibt von einem der «erstaunlichsten» Jahre seiner Karriere. «Denn was der 30-jährige Schweizer Ausnahmekönner zuletzt mit den Turniersiegen in Basel, Paris-Bercy und gestern beim Masters in London gezeigt hatte, überraschte nicht nur seine Gegner, sondern auch viele Experten, die nicht müde wurden, den Abstieg des besten Tennisspielers aller Zeiten herbeizureden.»
Klar seien Djokovic, Nadal und Murray dieses Jahr besser gewesen. Doch zahlten sie bereits als 24- und 25-Jährige Lehrgeld: «Sie halten der enormen physischen und psychischen Belastung nicht stand, sind zum Saisonende verletzt oder ausgelaugt.» Federer hingegen sei das «dank seiner ökonomischen und technisch ausgereiften Spielweise» nie in dieser Form passiert.
Federer habe die Gunst der Stunde genutzt und spiele wieder wie eine Nummer 1. «Und damit hat er seine Gegner zusätzlich unter Druck gesetzt.» Die kommende Saison werde äusserst spannend werden, ist die NLZ überzeugt.
Gestärkt ins 2012
Die Westschweizer 24 heures schaut bereits nach vorn und listet «seine grossen Baustellen 2012» auf. «Sein Saisonende ist das beste Barometer seiner Ambitionen.» Daher liege auch der 17. Grand-Slam-Titel in Reichweite.
Zudem sprächen mehrere Faktoren für eine Rückkehr auf Platz 1 der Weltrangliste: «Seine gute physische Verfassung; sein gesundes Handhaben des Kalenders; der Umstand, dass Novak Djokovic, ausser, er sei ein Mutant, seine Supersaison 2011 nicht wiederholen kann; und der Verlust der Beherrschung des Rafael Nadal.»
Dank der schlechten physischen Verfassung seiner drei ärgsten Gegner sei der 30-Jährige wieder erstarkt, meint die Freiburger La Liberté. «Ohne souverän zu sein, gewinnt er wieder. Und er wird erneut gewinnen.»
Federer sei als Favorit nach London gereist und komme mit dem sechsten Titel in der Tasche heim, schreibt der Corriere del Ticino. «Er hat demonstriert, dass er kämpfen und auch leiden kann. Es war ein Erfolg, den er wollte und fand, koste es, was es wolle. Auch wenn sein Tennis nicht immer inspirierend war.»
Es sein ein schwieriges Jahr gewesen, meint auch der Blick. «Denn der Mann des Jahres war Novak Djokovic. Er dominierte bis im September fast alles nach Belieben.» Doch der Wind habe Ende Saison zu Federers Gunsten gedreht: «Es ist ein Umschwung des Momentums. Djokovic verlor zuletzt das, was Federer nun wieder umgibt – das gewisse Etwas, das Punkte gewinnt. Dieser Sieg könnte das Wunder-Elixier für 2012 sein. Es ist vielleicht nicht Wimbledon. Aber es ist ein Trostpreis mit Wirkung.»
«Ich bin noch da!»
«Während seine jüngeren Konkurrenten klagten, sie seien körperlich und mental erschöpft, trat der 30-Jährige an den ATP World Tour Finals auf, als sei er einem Jungbrunnen entsprungen», so die Berner Zeitung. Zwar habe der Baselbieter erstmals seit 2002 keinen Grand-Slam gewonnen. «Doch mit dem beeindruckenden Auftritt in der O2-Arena liess er der Konkurrenz die Botschaft zukommen: Ich bin noch da!»
Federer habe zwar in diesem Jahr seine längste Durststrecke ohne Titel durchleben müssen, so Der Bund und der Tages-Anzeiger. «Doch Federer und die Nummer 4 – das passt einfach nicht zusammen.» Der Baselbieter habe auf den Rückfall «auf seine Art» reagiert und keine Partie mehr verloren und sei auf Platz 3 zurückgekehrt. «Einmal mehr hat Federer alle Kritiker verstummen lassen.»
Mit dem «goldenen November» habe der Meister des Rackets seine Ansprüche untermauert und bewiesen, dass die Möglichkeit einer Rückkehr auf Rang 1 kein Luftschloss sei.
Roger Federer beendet das Jahr auf bestmögliche Weise: In seinem 100. Final sicherte er sich den 70. Titel. Im Endspiel der World Tour Finals in London schlug er Jo-Wilfried Tsonga 6:3, 6:7 (6:8), 6:3.
Zum sechsten Mal triumphierte Federer beim Saisonfinale, wo sich die besten acht Spieler des Jahres zum Abschluss messen.
Er wertete sein Jahr in den letzten Wochen massiv auf, indem er mit 17 Siegen in Folge die Turniere von Basel, Paris-Bercy und London
gewann.
Nach dem Turnier in London ist Roger Federer ab Montag wieder die Nummer 3 der Weltrangliste.
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