Federer parat zum Grossangriff am US-Open
In Toronto im Final, in Cincinnati Sieger: Der Schweizer Champion ist vor dem am Montag beginnenden US Open seinem besten Tennis wieder ganz nahe. Zudem hat er den Amerikaner Paul Annacone definitiv als Trainer verpflichtet.
Die Frage bleibt dennoch auch vor dem letzten Grand-Slam-Turnier des Jahres: Verfügt der Basler über die physische und mentale Stärke, um seinem einmaligen Palmares im Alter von 29 Jahren einen weiteren grossen Titel hinzu zu fügen?
Seit der Halbfinalniederlage am Australian Open 2008 gegen den Serben Novak Djokovic spekulieren Fachleute und Medien jeweils bei jedem Schwächeanzeichen von King Roger darüber, ob seine Regentschaft von nun definitiv beendet sei. Und bisher hat Federer seine Kritiker jeweils Lügen gestraft – mit einer grandiosen Rückkehr auf die Siegerstrasse.
Kritische Stimmen schnell zur Hand
So auch dieses Jahr, nach schmerzlichen Niederlagen in Paris und Wimbledon, wo er jeweils nach dem Viertelfinale sein Racket einpacken musste.
Federer hatte Mühe mit der Konzentration, ihm fehlte bei den Big Points das gewohnte Selbstvertrauen, und zudem wurde er durch Probleme an Oberschenkeln und am Rücken behindert. Der König sei müde, hiess es.
Der angeschlagene König reagierte und engagierte Paul Annacone. Der ehemalige Profi wurde von Federer nach einer Testphase just vor dem US Open definitiv engagiert.
Nach seinem Final von Toronto, den er gegen Andy Murray verlor, stritt Federer einmal mehr vehement ab, auf dem absteigenden Ast zu sein. «Es ist lächerlich, so etwas zu behaupten, im Sport kann sich alles sehr schnell ändern», wies er Kritiker zurecht. «Die Zuschauer müssen sich daran gewöhnen, offenere Turniere zu sehen.»
Sechster Titel?
Federer weiss, dass er das Herrentennis nie mehr so dominieren wird wie zwischen 2004 und 2007, als er Sportgeschichte geschrieben hat. «Ich habe immer gewusst, dass ich nicht immer alles gewinnen kann. Ich war selbst erschrocken, wie dominant ich war. Aber ich bin immer noch sehr nahe an der Nummer 1.»
Sein Sieg vor einer Woche in Cincinnati scheint Federers Zuversicht zu bestätigen. Davon gehen auch die Buchmacher aus, die den Schweizer als Favoriten sehen, obwohl er in Flushing Meadows «nur» als Nummer 2 hinter Rafael Nadal gesetzt ist.
Vor wenigen Wochen ist Federer 29 geworden. Im selben Alter hatte sich Pete Sampras› Karriere nach unten geneigt. Dennoch vermochte der US-Amerikaner mit 31 noch einmal die US Open zu gewinnen.
Seit 20 Jahren
Wie lange kann Federer noch Tennis auf höchstem Niveau spielen? Gérald Gremion, Leiter des Instituts für Sportmedizin an der Universität Lausanne weist darauf hin, dass der Schweizer seit rund 20 Jahren täglich mehrere Stunden Tennis spiele.
«Ein solches Non-Stop-Training auf diesem Niveau hinterlässt am Körper sicherlich Abnützungserscheinungen», sagte Gremion gegenüber swissinfo.ch.
Deshalb glaubt der Sportmediziner auch, dass Federer bei seiner Viertelfinalniederlage in Wimbledon gegen den Tschechen Tomas Berdych tatsächlich von Problemen in Oberschenkeln und Rücken geplagt worden war. Dennoch hat Gremion, der Federer seit dessen 12. Lebensjahr kennt, noch keine Anzeichen eines physischen Niedergangs entdeckt. «Federer bewegt sich auf dem Platz immer noch extrem gut.»
Erklärbare Müdigkeit
2008 war Federer durch Pfeiffersches Drüsenfieber gebremst worden. Der Lungeninfekt, wegen dem er im Februar das Turnier in Dubai absagen musste, könne eine Spätfolge der damaligen Erkrankung sein, vermutet der Lausanner.
«Es kann mittel- und langfristig zu Phasen grosser Ermüdung kommen. Spitzenathleten, die mehr trainieren als es möglicherweise vernünftig ist, sind anfälliger für virale Infekte», sagt Gérald Gremion.
Dabei ist Training nicht mal alles. Hinzu kommen Reisen um die halbe Erdkugel und der damit verbundene Jetlag, Verpflichtungen für Sponsoren und ein ausgeprägteres Familienleben. Auch diese Faktoren beanspruchen den Körper, selbst wenn es der eines Champions ist.
Der Kopf muss stimmen
«Die Physis hat Auswirkungen auf die Psyche eines Spielers», fügt Gremion hinzu. So könnten sich selbst kleinste Abstriche bei der Verfassung katastrophal auswirken.
Genau dies sei bei der Niederlage gegen Berdych der Fall gewesen. «Wegen der Schmerzen spielte Federer nur 95% seines Könnens. Dabei hätte er 110% gebraucht, um alle Spiele zu gewinnen.»
Dieser Meinung ist auch Sportpsychologe Mattia Piffaretti. «Ist ein Spitzenathlet wegen Krankheit oder Verletzung nicht auf seinem gewohnten Niveau, fühlt er sich verletzlich.»
Daraus zieht Piffaretti den Schluss, dass Federer durch das Pfeiffersche Drüsenfieber möglicherweise noch stärker geworden sei. «Er realisierte, dass er sich aus einer schwierigen Situation wieder befreien konnte – eine wichtige mentale Erfahrung für seine Karriere.»
Schlüsselrolle Motivation
Sportmediziner Gérald Gremion ist optimistisch, was den weiteren Verlauf von Federers Karriere betrifft. «Unsere Erkenntnisse über modernes Training ermöglichen den Athleten, ihre Karrieren zu verlängern. Federer weiss selbst am besten, wann er einen Gang zurück schalten muss. Zudem hat er ein Team von äusserst kompetenten Mitarbeitern um sich, die ihn unterstützen.»
Andere dagegen vergleicht Gremion mit einer Kerze, die von beiden Ende her brenne. «Nadal gehörte zu dieser Kategorie. Aber jetzt lernt er, haushälterischer mit seinen Kräften umzugehen.»
Gremion glaubt den auch, dass Federers Karrierende dereinst nicht von physischen Problemen eingeläutet werden wird. «Motivation spielt eine Schlüsselrolle. Wacht er eines morgens auf und verspürt keine mehr Lust aufs Training, dann wird alles vorbei sein», glaubt Gremion.
Auch in diesem Punkt hat er die Zustimmung Piffarettis. «Auf diesem Top-Level bestimmt der Kopf, Verletzungen sind zweitranging», sagte der Sportpsychologe.
Erreichten Athleten die Spitze, tendierten einige dazu, sich zurück zu lehnen. «Federer aber konnte sich dort so lange halten, weil er immer neue Wege erfand, sich zu motivieren, sein Spiel zu varieren. Dafür arbeitet er hart und bleibt bescheiden.»
Samuel Jaberg, swissinfo.ch
(Adaptiert von Renat Künzi)
Australian Open, French Open, Wimbledon sowie das US Open bilden die Serie der grössten Tennisturniere.
Zum Grand Slam muss ein Spieler alle vier Turniere gewinnen.
Der Australier Rod Laver konnte 1969 als einziger einen «richtigen» Grand Slam gewinnen, d.h. alle vier Turniere im selben Kalenderjahr.
Andre Agassi und Roger Federer haben beide den «unechten» Grand Slam geschafft, d.h. alle Turniere gewonnen, aber nicht im selben Kalenderjahr.
Der «Unechte» wird auch Karriere-Grand-Slam genannt.
Rekordliste Grand-Slam-Titel:
16: Roger Federer
14: Pete Sampras
11: Björn Borg
8: Andre Agassi, Jimmy Connors, Ivan Lendl
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