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Ferienende im Spital in der Schweiz

Die klassische Rettung auf der Skipiste mit dem Kanadier-Schlitten. Keystone

Ideale Wintersport-Bedingungen locken Tausende von ausländischen Touristen in die Schweizer Berge. Der Wintertraum kann durch einen Unfall jedoch ein abruptes Ende nehmen.

Die Verletzten müssen in einem Schweizer Spital behandelt werden. Und wer bezahlt die Kosten?

Der schweizerisch-holländische Doppelbürger Edwin Hermans verbringt jedes Jahr seine Skiferien im Berner Oberland. Dieses Jahr genoss er die idealen Schnee-Bedingungen, der Frührentner ist ein begeisterter Tiefschneefahrer. «Plötzlich war da ein Loch, das ich nicht gesehen habe», erzählt Edwin Hermans, der sich von seiner fünfeinhalbstündigen Operation im Spital Zweisimmen erholt.

«Ich habe bald gemerkt, dass ich allein nicht mehr aufstehen kann», berichtet Hermans weiter. «Mein Sohn, der mit seinem Snowboard schon weit voraus war, hat mich dann gesucht. Er ist sehr erschrocken, als er mich so daliegen sah, bewusstlos – und mit offenen Augen.»

Glücklicherweise passierte ein Skilehrer die Unfallstelle. Er alarmierte sofort die Bergrettung. Edwin Hermans wurde umgehend versorgt. Da sich der Unfall bei einem relativ schmalen Bachbett ereignet hatte, konnte der Rettungshelikopter den Patienten nicht ausfliegen. Hermans wurde mit dem Rettungsschlitten ins Tal transportiert und von dort mit der Ambulanz ins Spital gefahren.

Und wer bezahlt die Rechnung?

Über allfällige Kosten macht sich Hermans keine Sorgen: «Ich bin in Holland gut versichert, alle Kosten werden übernommen, auch der Transport nach Hause.»

Braucht sich Edwin Hermans um die Kostenfolgen nicht zu sorgen, weil er privat versichert ist? Wie ergeht es einem ausländischen Patienten, der «nur» mit einer Grundversicherung ausgestattet ist?

Elisabeth Zurbrügg, Leiterin der Patienten-Administration im Spital Interlaken sieht in dieser Hinsicht keine Probleme: «Ein aus einem EU-Land stammender Patient muss sich keine Sorgen machen. Dank des Personen-Freizügigkeits-Abkommens zwischen der Schweiz und der EU werden die Kosten für eine Notfallbehandlung von der Gemeinsamen Einrichtung KVG in Solothurn vorfinanziert.»

Einfacher mit E-111

«Jede in einem EU-Land wohnhafte Person sollte bei der Einreise in die Schweiz das Formular E-111 bei sich haben», sagt Pierre Ribaut, von der Gemeinsamen Einrichtung KVG gegenüber swissinfo. «Dieses Formular wird für Versicherte ausgestellt, die sich für kurze Zeit in der Schweiz, beispielsweise wegen eines Urlaubs oder einer Geschäftsreise, aufhalten.»

«Viele Schweizer wissen noch nicht, dass auch sie das Formular E-111 in die Ferien ins EU-Ausland mitnehmen sollten», fügt Pierre Ribaut an.

Patienten, die über kein E-111-Formular verfügen, werden jedoch an der Pforte eines Schweizer Spitals nicht abgewiesen. Elisabeth Zurbrügg: «Natürlich nimmt das Spital Interlaken alle Patienten auf. Man kann von einem Skifahrer ja nicht verlangen, das E-111 auf der Piste bei sich zu haben.»

«Fehlende Formulare werden von den ausländischen Versicherungen ohne weiteres via Fax nachgereicht», erklärt die Patienten-Administratorin. Für die Spitäler ist das Personen-Freizügigkeits-Abkommen eine grosse Erleichterung, müssen sie doch für das Inkasso der entstandenen Kosten keinen Aufwand mehr betreiben.

Ausländische Patienten aus Nicht-EU-Staaten müssen dem Spital oder dem Arzt eine Kostengutsprache ihrer Versicherung vorlegen. Können sie das nicht, müssen sie für die entstandenen Kosten selbst aufkommen. Eine Depot-Anzahlung von 600 bis 800 Franken pro Nacht ist die Regel.

Höhere Kosten

Ausländische Patienten bezahlen im Spital Interlaken für Taxen, ärztliche Pflegeleistungen und Material mindestens 50% mehr als Berner Patienten. «Unser Spital wird von der öffentlichen Hand subventioniert», erklärt Elisabeth Zurbrügg gegenüber swissinfo. «Die Subventionen sind Steuergelder. Da in den Ferien weilende Ausländer in der Schweiz und insbesondere im Kanton Bern keine Steuern zahlen, sind deren Tarife auch entsprechend höher.»

Die Behandlung einer Oberschenkel-Fraktur, welche normalerweise 7 Tage Spitalaufenthalt verlangt, kostet einen ausländischen Patienten 12’000 bis 13’000 Franken. Eine 24-stündige Intensivüberwachung nach einer Gehirnerschütterung wird mit 3000 bis 4000 Franken berechnet.

Weitergehende Betreuung

Die Betreuung eines ausländischen Patienten erschöpft sich oft nicht nur in der Erbringung der medizinischen Pflegeleistung. Manchmal müssen auch Angehörige der Patienten betreut werden.

Elisabeth Zurbrügg erzählt von den kleinen Kindern einer ausländischen Patientin. Diese wurden für die Zeit des Spitalaufenthalts der Mama kurzerhand von einer Spitalmitarbeiterin «adoptiert».

Kompetente und freundliche Pflege

Edwin Hermans, der seinen Trümmerbruch ein weiteres Mal operieren lassen muss, ist mit der Pflege im Spital Zweisimmen äusserst zufrieden. «Das Personal ist kompetent, ausserordentlich freundlich, hilfsbereit und nett. Ich spüre, dass sich die Leute auch untereinander recht gut verstehen», sagt Hermans gegenüber swissinfo.

Edwin Hermans gewinnt seiner Situation im Spital auch positive Seiten ab. «Gerade als Auslandschweizer ist es für mich sehr interessant, dass ich mich momentan viel intensiver mit der Schweiz beschäftigen kann», meint er.

Hermans stellt auch Vergleiche der Gesundheits-Systeme von Holland und der Schweiz an: «In Holland ist in den letzten Jahren zu viel ‹optimiert› worden. Ich müsste dort wahrscheinlich mehrere Monate auf die zweite Operation warten», meint er. «Das Spital in Zweisimmen ist zwar klein, vielleicht auch teuer. Es hat aber gerade im lokalen Bereich eine sehr wichtige Funktion für die Gesellschaft.»

swissinfo, Etienne Strebel

Notfall-Patienten aus der EU können mit dem Formular E-111 in der Schweiz problemlos medizinische Hilfe in Anspruch nehmen.
E-111 gilt auch für Schweizer Notfall-Patienten im EU-Gebiet.
Mit E-111 werden nur die Kosten für die Allgemeine Abteilung vorfinanziert.

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