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Finanzkrise: Die Mafia profitiert von der Schweiz

Die Aktivitäten der Mafia könnten sich in der Schweiz wegen der Finanzkrise verstärken.

Die Mafia legt in der Wirtschaftskrise eine bemerkenswerte wirtschaftliche Gesundheit an den Tag. Ist diese globale Organisation eine Gefahr für die Schweiz? Der italienische Anti-Mafia-Ermittler Agostino Abate zu den potenziellen Risiken.

swissinfo: Weshalb ist die Schweiz für die Mafia so interessant?

Agostino Abate: Die Schweiz hat schon immer eine wichtige Rolle gespielt. Erstens, weil sie dem organisierten Verbrechen den Zugang zu weltweiten Kontakten ermöglicht – geschützt vor den italienischen Behörden. Zweitens, weil dieses seine Kapitalien dort waschen und wieder verstecken kann.

Leider ist die Attraktivität der Schweiz in den letzten Jahren weiter gestiegen. Einige autonome Clans benutzen sie heute zur Gründung und Entwicklung ihrer Aktivitäten.

Die Mafia muss hier präsent sein, um günstige Bedingungen für ihre Tätigkeit zu schaffen, damit sie sich ins soziale Gefüge einpassen und die lokale Wirtschaft infiltrieren kann.

Dies beginnt mit Investitionen in legale Firmen von Dritten. Damit werden Gelder aus dem Drogenhandel und der Prostitution legalisiert. Dies sind keine Mutmassungen. Ich spreche in Bezug auf die Schweiz von Tatsachen.

swissinfo: Sie haben die Geldwäscherei angesprochen. Aber auch in anderen Ländern kann man aus Straftaten gewonnenes Geld investieren, ganz zu Schweigen von den Möglichkeiten, die das Internet bietet.

A.A.: Man muss zugeben, dass die Schweiz ein wenig von ihrer Anziehungskraft verloren hat, seit die Vorschriften zur Bekämpfung der Geldwäsche in Kraft sind und die neuen Strukturen der Justizbehörden des Bundes.

Die Schweiz ist nicht mehr nur das kleine Bankenparadies und eine Garantie für Straflosigkeit, wie sie es lange Zeit in den Augen der Mafia-Organisationen war.

Die Offshore-Paradiese und Länder wie Luxemburg und Grossbritannien ziehen heute weitgehend das Kapital des organisierten Verbrechens an und dies in Proportionen, die ich hier nicht nennen will. Das Internet dient vor allem dazu, das Geld zu verschieben.

Trotz allem aber, und das nicht weniger oft, muss Mafia-Geld auch physisch Grenzen passieren. Dies kann in einem Koffer geschehen oder in einem doppelten Kofferraumboden zum Beispiel. Denn die Schweiz ist und bleibt die wichtigste Destination für diese Art von Transfers.

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Geldwäscherei

Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht Geldwäscherei wird das Vorgehen genannt, mit dem die Herkunft von Geld aus kriminellen Aktivitäten verschleiert und dieses unbemerkt in legale Geschäftsaktivitäten geschleust wird. Es wird meistens mit Drogenhandel in Verbindung gebracht. Das Schweizer Geldwäschereigesetz von 1998 verpflichtet alle Finanzintermediäre (nicht nur Banken), ihre Kunden zu identifizieren und die materiellen Rechtsinhaber der Guthaben zu ermitteln («know…

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swissinfo: Wollen Sie damit sagen, dass die Schweiz nicht wachsam genug ist?

A.A.: Nein, ich bin froh um die Arbeit der Kollegen von der Bundesanwaltschaft in Bern. Aber man darf sich nicht der Illusion hingeben und glauben, die Präsenz der Mafia beschränke sich auf das Geld, das sie verdeckt auf dem Finanzplatz Tessin und vor allem jenem in Zürich heimlich umsetzt.

Man muss die Zeichen dieser Präsenz und Bewegungen sehr aufmerksam verfolgen. Ich denke namentlich an die entscheidende Phase, wenn die Organisation Kontakte knüpft zu bisher unbescholtenen Menschen und Organisationen, die sie für ihre Aktivitäten auswählt. Ich wiederhole, es gibt Zeichen dafür und man muss das unbedingt aufdecken.

swissinfo: Können Sie dafür ein Beispiel nennen?

A.A.: Nach der Erschiessung (von sechs Männern) in Duisburg in Deutschland konnte man praktisch überall lesen oder hören: «Das war eine Abrechnung zwischen italienischen Clans im Ausland».

Das ist total falsch. Diese Gewaltepisode hat gezeigt, dass sich die Organisation tatsächlich dort eingenistet hat und sich überall entfaltet, wo man es nicht erwartet.

Das ist eine Realität. Wer dies nicht sehen will, steckt den Kopf in den Sand. Wir sind nicht in Hollywood. Man kann die Mafiosi nicht mit normalen Bürgern vergleichen, wie im Film «Borsalino» dargestellt. Ich wiederhole, man muss lernen, bestimmte Signale zu lesen.

swissinfo: Die italienische Nichtregierungs-Organisation SOS Impresa kritisierte kürzlich die riesigen Beträge, welche die verschiedenen Mafia-Zweige «erwirtschaften». Könnte das eine weitere Gefahr für die Schweiz sein?

A.A.: Man muss die Aufmerksamkeit in dieser Periode der Wirtschaftskrise verdoppeln. Wenn Menschen in schwierigen Lebenssituationen Mühe haben, eine Finanzierung zu erhalten, weil wegen des Einbruchs der Finanzmärkte kaum Mittel da sind, ist diese Gefahr tatsächlich erhöht.

Wer wirtschaftliche Macht über jemanden ausüben kann, kann diese Person eher zu illegalen Taten verleiten. Und wenn dies geschehen ist, gibt es praktisch keinen Weg mehr zurück. Aber das Vorhandensein von solchen Personen oder Gruppen ist ein äusserst destabilisierender Faktor.

Die Schweiz kann auf diese Gefahr noch reagieren. Aber man muss es tun, bevor es zu spät ist. Denn der Kampf gegen das organisierte Verbrechen ist ein Schutz für die Demokratie.

swissinfo, Nicole della Pietra
(Übertragung und Adaption aus dem Französischen: Etienne Strebel)

Geboren 1957.

Seit 1992 stellvertretender Staatsanwalt der Republik in Varese, Lombardei.

Abate ist spezialisiert auf die Bekämpfung der Korruption und der Mafia.

Er hat bei mehreren Untersuchungen mit der Schweizer Bundesanwaltschaft zusammen gearbeitet, unter anderem gegen das Waschen von Erlösen aus dem Drogenhandel.

Viele seiner Dossiers betreffen auch die Schweiz, so beim so genannten Ticinogate und dem Skandal um den luganeser Anwalt Francesco Moretti, der im Tessin Millionen für den Boss der N’drangheta gewaschen hat.

Sein Übername «Antonio Di Pietro von Varese» (Manipulite) kommt von seinem Kampf gegen das Krebsgeschwür der Korruption in den Institutionen der Provinz. Dies hat ihm auch viele Feinde in der Wirtschaft beschert.

Agostino Abate ist auch für die rechtsnationale Partei Lega Nord ein schwarzes Schaf. Denn er liess den lombardischen Parteisitz bei einer Untersuchung über die Finanzierung der politischen Parteien in der Mitte der 90er-Jahre durchsuchen.

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