Kalter Winterschlaf in Belgrad
"Das Problem sind die Grenzen." Dieses Graffiti steht an der Wand eines verlassenen Nebengebäudes beim Belgrader Hauptbahnhof. Seit letztem Jahr ist die so genannte Balkanroute zu. Mitten in der serbischen Metropole stecken über 1000 geflüchtete Menschen bei Minusgraden fest. Zwei Schweizer – ein Fotograf, ein Helfer – berichten.
Belgrad – die «weisse Stadt». Das klingt diesen Winter zynisch. In der Nähe des Bahnhofs liegen inmitten von Schnee verlassene Baracken – inoffizielle Unterkunft für jene, die auf der Balkanroute weder vorwärts gelangen noch zurückweichen können.
«Die Zustände in den Lagerhallen haben mich echt schockiert», berichtet der Schweizer Fotograf Christian Grund. «Als ich die eine grosse Halle betrat, mussten sich meine Augen erst einmal an das düstere Licht gewöhnen. Ich musste stehenbleiben, der Boden war vollgepackt mit dunklen Wolldecken», erzählt Grund. Er habe genau hinsehen müssen: «Erst da erkannte ich unter den Haufen die Menschen, einzelne Augenpaare. Es hustet in allen Ecken.»
Vor der Kälte gibt es kein Entkommen. Was es auch nicht gibt: sanitäre Anlagen. «Die Menschen schlafen auf dem Boden, kochen im Freien und waschen sich draussen», so der Fotograf. Um gegen die Kälte anzukämpfen, werden im Innern der Gebäude offene Feuer gemacht. «Der Rauch zieht in Schwaden an die Decke und nur schwer ab», erzählt der Zürcher. «Die Luft war manchmal kaum zum Atmen.»
Der junge Journalist Benjamin von Wyl erzählt: «In einer unserer Nachtschichten haben wir mitbekommen, wie eine Gruppe von zehn- bis vierzehnjährigen Buben ihr Zelt aus Versehen angezündet hat – Decken hatten sie keine.» Von Wyl arbeitete im Januar für zwei Wochen als freiwilliger Helfer mit. «Die Baracken sind voll. Deswegen suchen auf dem Gelände hinter dem Bahnhof Dutzende Unterschlupf – in gedeckten Parkhäusern und ausrangierten Zugwaggons.»
«Als ich dort war, waren es minus 14 Grad», so von Wyl. Die kleinen Helfergruppen versuchen, die Not zu lindern. Zweimal täglich wird heisser Tee ausgeschenkt. «Tee ist warm. Er ist aber viel mehr als das», betont der 26-Jährige. Das Treffen mit den Helfern ist für die Flüchtlinge wichtig – aus sozialen und praktischen Gründen. «Die Flüchtenden sind auf Menschen mit Pässen angewiesen, die für sie das Geld von ihren Verwandten bei Western Union entgegennehmen können.» Es gäbe schon auch fröhliche Momente, erzählt der Helfer. «Aber die ganze Situation ist zum Verzweifeln.» Belgrad, die weisse Stadt.
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