Flüchtlingshelfer rehabilitiert
Mehr als 50 Jahre nach Kriegsende hat der Nationalrat Personen rehabilitiert, die während des Nationalsozialismus Flüchtlingen halfen, illegal die Schweiz zu erreichen.
Die Amnestie wurde allerdings nicht auf die Widerstandskämpfer gegen den Faschismus in Spanien und Italien ausgeweitet.
Die beiden Polizeibeamten Christian Dutler und Karl Zweifel aus dem Kanton St. Gallen halfen zwischen Frühling und Herbst 1938 politischen Flüchtlingen und Juden, von Österreich in die Schweiz zu fliehen. Sie wurden vom damaligen SPS-Generalsekretär Werner Stocker unterstützt.
Als ihre Schleppertätigkeit aufflog, wurden die beiden Ende 1938 vom Dienst befreit. Zwar wurde der Prozess gegen die beiden im Jahr 1941 eingestellt, aber die Polizeibeamten wurden nie rehabilitiert. Dies ist eine der zahlreichen Geschichten, die im Bericht der Bergier-Kommission über die Asylpolitik der Schweiz während des Nationalsozialismus enthalten ist.
Die Initiative Rechsteiner
Im Dezember 1999 reichte SP-Nationalrat Paul Rechsteiner – basierend auf der ersten Version des Bergier-Berichts – eine parlamentarische Initiative ein, in der er eine Rehabilitation derjenigen Personen forderte, die verurteilt wurden, weil sie bei ihrer Hilfe für Flüchtlinge damals gegen geltendes Recht verstossen haben.
Rechtsteiner forderte zudem eine Aufhebung der Justizverfahren gegen Schweizer Freiwillige, die auf Seiten der Republikaner im Spanischen Bürgerkrieg oder in anderern europäischen Widerstandsbewegungen kämpften.
Ein Jahr später, im Dezember 2000, nahm der Nationalrat, gegen den Willen der Rechten, diese parlamentarische Initiative an.
Die Vorlage im Parlament
Am vergangenen Freitag hat die Grosse Kammer schliesslich mit überwältigender Mehrheit (131 Ja zu 27 Nein) dem von der Kommission für Rechtsfragen ausgearbeiteten Gesetz zugestimmt, das alle Urteile gegen freiwillige Flüchtlingshelfer aufhebt.
Mit 110 gegen 58 Stimmen lehnte der Nationalrat hingegen den Vorschlag der Ratslinken ab, die Rehabilitierung auf Freiwillige im spanischen Bürgerkrieg, auf Mitglieder der italienischen Resistenza und generell auf alle Widerstandskämpfer gegen den Faschismus auszuweiten.
In diesem Punkt schlug sich die Ratsmehrheit auf die Seite von Justizministerin Ruth Metzler (CVP) und ihrer Parteikollegin Doris Leuthard. Ihrer Meinung nach würde die Rehabilitierung von Antifaschisten, die wegen Beteiligung an einer ausländischen Miliz verurteilt wurden, gegen ein anderes geltendes Gesetz verstossen.
Ein wichtiges symbolisches Zeichen
Gleichwohl ist das Votum des Nationalrats eine wichtiges Zeichen in der Verarbeitung der jüngeren Schweizer Geschichte. Es stellt zudem eine Anerkennung des Bergier-Berichts dar.
Der Entscheid widerspiegelt ein neues historisches Bewusstsein, auch wenn – wie Ruth Metzler erklärte – die Rehabilitierung nicht mit einer generellen Verurteilung der damaligen Gesetzgebung gleichzusetzen ist.
«Symbolische Aktionen zeigen, dass sich eine Gesellschaft verändern kann», kommentiert der Historiker Stefan Keller. Die juristische Rehabilitierung gebe den damals beteiligten Personen sowie dem Staat eine Würde zurück.
Enttäuscht sind hingegen die wenigen Freiheitskämpfer aus dem spanischen Bürgerkrieg, die noch am Leben sind. «In dieser Hinsicht lässt sich offenbar nichts bewegen», sagt Keller.
Zweifacher Mechanismus
Das neue Gesetz sieht einen doppelten Mechanismus vor. Einerseits wird festgelegt, dass Urteile gegen Personen, die Flüchtlingen während des Nationalsozialismus geholfen haben, annulliert werden können, sofern die Hilfe nicht gegen Bezahlung erfolgte.
Andererseits wird eine Kommission eingesetzt. Sie darf, auf Antrag oder von Amtes wegen, einzelne Urteile aufzuheben. Die Anfrage kann von den Verurteilten, ihren Verwandten oder einer Menschenrechts-Organisation kommen. Im Falle einer Aufhebung des früheren Urteils besteht allerdings kein Schadensersatz-Anspruch.
Rein juristisch hat die Kommission für Rechtsfragen Pionierarbeit geleistet. «In Deutschland gibt es etwas ähnliches, aber eigentlich ist das Instrument der Rehabilitierung durch die Annullierung von Urteilen ein neues rechtliches Konstrukt», meint Paul Müller vom Bundesamt für Justiz.
Schweizer Geschichte im Parlament
Auch wenn das gesetzmässige Dispositiv neu ist, fügt sich die jüngste Initiative Rechsteiner in eine ganze Reihe von parlamentarischen Vorstössen ein, welche die Ereignisse zwischen 1933 und 1945 einer juristischen und historischen Neubeurteilung unterziehen wollen.
Rechsteiner selber hatte 1998 eine parlamentarische Anfrage eingereicht, die sich auf den Schweizer Theologiestudenten Maurice Bavaud bezog, der 1938 ein Attentat auf Hitler ausüben wollte und dafür 1941 in Deutschland zum Tode verurteilt wurde.
Eine weitere Initiative des sozialdemokratischen Nationalrats führte Mitte der Neunzigerjahre zur Rehabilitierung der St.Galler Polizeikommandanten Paul Grüninger, der 1938 das Gesetz brach, in dem er Hunderten von jüdischen Flüchtlingen beim Eintritt in die Schweiz half.
1998 forderte die SP-Fraktion – ohne Erfolg – in einer Interpellation die Rehabilitierung von sozialistischen und kommunistischen Genossen, die vom Verbot kommunistischer Aktivitäten zwischen 1940 und 1945 betroffen waren.
Und schliesslich gab es viele, ebenfalls glücklose Versuche, die freiwilligen anti-faschistischen Kämpfer im spanischen Bürgerkrieg zu rehabilitieren.
Andrea Tognina, swissinfo
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