Föderalismus ist eine Hoffnung für Irak
Eine irakische Parlamentarier-Delegation hat sich bei der Schweizer Regierung über das föderalistische System informiert.
Das kriegsgeplagte Land hat kürzlich das Projekt für eine Verfassung lanciert, die einen föderalistischen Staat mit parlamentarischer Regierung vorsieht.
Die irakische Delegation hat auf Einladung des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten (EDA) an einer Studienwoche den Schweizer Föderalismus kennen gelernt. Der Besuch wurde mitorganisiert vom Institut für Föderalismus der Universität Freiburg.
Es gebe zahlreiche Parallelen zwischen den beiden Ländern, erklärten Vertreter der Gruppe. Ihr Land könne von den Schweizer Erfahrungen profitieren. Zuvor hatte die Gruppe einen ähnlichen Kurs in Kanada besucht.
Modell nicht partout verkaufen
Die 23 Vertreter aus Parlament, Justiz, politischen Parteien sowie anderen Kreisen der irakischen Zivilgesellschaft beschäftigten sich mit verschiedenen Aspekten des schweizerischen politischen Systems, wie Botschafter Thomas Greminger, Chef der Politischen Abteilung IV des EDA, am Dienstag erklärte.
«Es geht uns nicht darum, das schweizerische Modell zu verkaufen oder in den Irak zu exportieren», betonte er jedoch.
«Es geht primär darum, Lösungsansätze aufzuzeigen, Gedanken, Anstösse zu geben, zu inspirieren, um mit diesen Elementen dann in einem ganz anderen politischen und kulturellen Kontext ein taugliches Staatsmodell aufzubauen.»
Neben einer theoretischen Einführung zum schweizerischen Föderalismus wurden auch Verfassungsrevisions-Prozesse, der Umgang mit religiöser und sprachlicher Vielfalt sowie die Organisation von Steuer- beziehungsweise Finanzströmen thematisiert.
Konfliktlösungs-Mechanismen studierten die Iraker am Beispiel des Kantons Jura, der sich 1979 vom Kanon Bern abgespaltet hat.
Viele Gemeinsamkeiten
Für die irakische Delegation bestehen eine Reihe von Gemeinsamkeiten zwischen der Schweiz und ihrem Heimatland, namentlich was die sprachliche und religiöse Vielfalt betrifft.
Der Irak habe aber lange unter einer Diktatur gelebt, sagte die christliche Parlamentsabgeordnete Wijdane Michael. Umso mehr könne das Land nun von der föderalistischen und demokratischen Erfahrung anderer Länder wie etwa der Schweiz profitieren.
«Bei den Konflikten in der irakischen Verfassung geht es hauptsächlich um die Verteilung der Autorität zwischen der Zentralregierung und den verschiedenen Regionalregierungen, aber auch um die Verteilung der natürlichen Ressourcen», erklärte sie gegenüber swissinfo.
«Wir haben bei der Studienreise festgestellt, dass Kanada und die Schweiz diese Problematik verschieden angehen. Beide Prozesse sind jedoch in ihren Ländern erfolgreich.»
Hoffnung
Trotz der schwierigen politischen Lage in ihrer Heimat zeigten sich die Mitglieder der Delegation optimistisch in Bezug auf die politische Zukunft ihres Landes.
Der Irak müsse nun erstmal die von aussen in das Land hineingetragene Gewalt loswerden, sagte Professor Sadoon Zubaidi, der frühere irakische Botschafter in Indonesien. Dann könne der Teufelskreis, der von Terror über Instabilität zu Armut und noch mehr Gewalt führe, unterbrochen werden.
Ein gutes Beispiel für den Schweizer Föderalismus sei der Neue Finanzausgleich (NFA) zwischen den Kantonen. «Wir haben gesehen, dass die Schweiz in der Fiskalpolitik darauf achtet, dass die Reichen nicht reicher werden und die Armen nicht ärmer», sagte er gegenüber swissinfo. «Dafür gratulieren wir euch und hoffen, dieses Modell auch anwenden zu können.»
swissinfo und Agenturen
Die Schweiz hat Irak 80% der 330 Mio. Fr. seiner Schulden gestrichen (264 Mio. Fr.).
2006 leistet die Schweiz im Irak humanitäre Hilfe im Umfang von 3 Mio. Fr., hauptsächlich in den Bereichen Wasser und Gesundheit.
Zusätzlich bildet die Schweiz irakische Diplomaten und Funktionäre aus.
2005 hatte Bagdad einen Schweizer Verfassungs-Experten eingeladen.
Im Irak leben verschiedene ethnische und religiöse Gruppen, deren Zusammenleben schon immer ausserordentlich schwierig war. Ein föderalistisches Staatsmodell könnte daher eine Lösung sein.
Föderalismus bezeichnet ein Organisationsprinzip, bei dem die einzelnen Staaten über eine gewisse Eigenständigkeit verfügen, aber zu einer übergreifenden Gesamtheit zusammen geschlossen sind.
Der Föderalismus steht im Gegensatz zum zentralistischen Staat, wo die Regionen nur einfache administrative Sektionen sind.
Die Schweiz ist seit 1848 föderalistisch organisiert. Andere Beispiele: Belgien, Deutschland, Kanada, USA, Indien.
In Übereinstimmung mit den JTI-Standards
Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!
Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch