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Frauen entdecken «schönste Nebensache der Welt»

Frauenfussball in der Schweiz boomt: Kampf um den Ball beim Spiel SC Luwin-SV Seebach. Keystone

Fussball wird auch in der Schweiz bei Frauen immer populärer. In den letzten fünf Jahren hat sich die Zahl der Spielerinnen verdreifacht. Die Fussball-Forscherin Marianne Meier erklärt warum.

Marianne Meier spielt selber Fussball, hat die Schweizer Polizeikräfte in Sicherheitsfragen rund um die Euro 2008 beraten und ein Buch über die Entwicklung des Frauenfussballs in der Schweiz geschrieben. Die Historikerin und Politologin arbeitet in Biel bei der Swiss Academy for Development, wo sie sich mit Fragen zu Genderforschung, Sport und Entwicklung befasst.

swissinfo: Wie hat sich die Einstellung gegenüber dem Frauenfussball in der Schweiz verändert?

Marianne Meier: Der Wandel kann anhand von Zahlen aufgezeigt werden: Im Jahr 2003 waren rund 8000 Frauen und Mädchen als Spielerinnen lizenziert, heute sind es mehr als 20’000.

Der entscheidende Moment war, als der Schweizerische Fussball-Verband (SFV) auch Frauen und Mädchen voll in die Organisation integrierte. Aus dem Mädchenfussball wurde der Kinderfussball. Die Botschaft dahinter: Kinder, egal ob Mädchen oder Jungen, können Fussball spielen, wenn sie Lust dazu haben.

In den letzten acht bis zehn Jahren wurden viele Stadien umgebaut, es gibt mehr Komfort, bessere Sitze, ein besseres Verköstigungsangebot und genügend Frauentoiletten. In Bern (der Heimat der Young Boys), gibt es Frauentage/Frauennächte, Frauen zahlen dabei für ein Ticket 10 Franken, als Geschenk gibt es dazu noch einen Lippenstift mit dem YB-Logo.

swissinfo: Und wie betrachten Frauen den Sport heute?

M.M.: Fussball ist kommerzieller geworden, sichtbarer, gesellschaftlich respektabler. Es ist nicht mehr nur etwas, das Männer am Wochenende tun. Die Spieler sind nicht mehr länger nur Sportstars, sondern Idole wie Popstars. Diese Entwicklung hat dazu beigetragen, dass Fussball für ein breiteres Publikum attraktiv geworden ist.

Je grösser ein Anlass ist, umso mehr Frauen schauen sich ein Spiel im Stadion oder im Fernsehen an. Bei gewöhnlichen Liga-Spielen ist die Anzahl der Frauen im Publikum etwas geringer. Dennoch machen Frauen heute rund 30% der Fans in den Stadien aus.

swissinfo: Gibt es eine feminine Seite des Fussballs?

M.M.: Wenn man Männer- und Frauentennis miteinander vergleicht, ist der männliche Sport etwas kraftvoller. Aber viele Leute schauen sich lieber ein Frauenspiel an, nicht wegen der Röcke, sondern weil das Spiel abwechslungsreicher und kreativer ist, weil Technik und Taktik eine wichtigere Rolle spielen.

Der Frauenfussball hat sich im Verlauf der Jahre entwickelt. Wenn man die erste Frauen-Weltmeisterschaft von 1991 mit der vom letzten Jahr vergleicht, handelt es sich um ein völlig neues Spiel. Die Technik hat sich enorm entwickelt, das Spiel wurde schneller, die Taktik ausgeklügelt.

swissinfo: Wird das mehr Unterstützung anziehen?

M.M.: Die Aufmerksamkeit der Medien und des Publikums ist noch immer nicht so gross wie beim Männerfussball. In der Schweiz besuchen vor allem Freunde und Familien die Spiele. In Deutschland mit seinen Fussball-Weltmeisterinnen sieht das anders aus.

Die Fussballerinnen sind dort Publikumsmagnete, die Anhängerschaft zeigt Emotionen, man erkennt die Spielerinnen auf der Strasse, und auch die Medien zeigen Interesse. Das erhöht naturgemäss die Sichtbarkeit und Akzeptanz des Sportes und hilft auch, Stereotypen und Vorurteile abzubauen. Es ist ein ganz neues Phänomen im Zusammenhang mit Frauenfussball.

swissinfo: Kann sich das auch auf die Schweiz ausweiten?

M.M.: Mit Blick auf die Frauen-Weltmeisterschaft von 2011 in Deutschland sehe ich dafür ein Potenzial. Deutschland verfügt nach der Männer-WM von 2006 über viel Wissen was Marketing und Infrastruktur betrifft. Das wird dazu beitragen, den Frauenfussball voranzubringen. Ich hoffe, dass der Anlass zu einem Katalysator für andere Länder wird.

Und in der Schweiz betreibt der SFV heute in Huttwil, im Kanton Bern, ein nationales Ausbildungszentrum für Mädchen im Alter von 13/14 Jahren. Wenn diese Mädchen einmal 20 Jahre alt sind, wird sich der Schweizer Frauenfussball qualitativ stark verbessert haben. Wir müssen uns noch einige Jahre gedulden, bis diese Investitionen Früchte tragen.

swissinfo-interview, Matthew Allen
(Übertragung aus dem Englischen: Rita Emch)

Seit 1970 ist der organisierte, lizenzierte Frauenfussball in der Schweiz offiziell anerkannt. Noch im selben Jahr spielte das Schweizer Frauen-Nationalteam seinen ersten Match gegen Österreich und siegte mit 9:0.

1993 wurde dann die damalige Frauenfussball-Liga aufgelöst und der Frauenfussball voll in den Schweizerischen Fussball-Verband (SFV) integriert.

In der ersten Saison 1970/71 spielten 270 lizenzierte Frauen und Mädchen in insgesamt 28 Clubs. Bis 2003 war die Zahl der lizenzierten Spielerinnen auf rund 8000 angewachsen, heute sind mehr als 20’000 Mädchen und Frauen in insgesamt 799 Clubs lizenziert.

In der Saison 1997/98 wurde erstmals eine Auszeichnung für die beste Fussballerin des Jahres vergeben; sie ging an Sonja Spinner vom SV Seebach.

Seit 2004 betreibt der SFV am Nationalen Sportzentrum Huttwil ein Ausbildungszentrum für junge Fussballerinnen.

Das Team der Schweizer Fussballerinnen liegt in der Weltrangliste auf Platz 28. Die Frauen hoffen, sich für die Europa-Meisterschaft von 2009 in Finnland qualifizieren zu können.

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