Freispruch für Polizisten
Die vier Polizisten, die für den Tod eines Kurden in Bern verantwortlich waren, sind freigesprochen worden. Sie hätten nicht gewusst, dass ihre Verhaftungs-Technik tödlich enden könne, begründete der Richter.
Für die Stockschläge gegen den Kopf liess er Notwehr gelten.
Das Kreisgericht Bern-Laupen hat am Freitag vier Berner Stadtpolizisten freigesprochen. Sie waren für für den Tod eines 42-jährigen Kurden bei seiner Verhaftung verantwortlich. Der Kurde Cemal G. erstickte in der Bauchlage, in der er festgehalten wurde. Er hatte vorher seine Familie bedroht, die evakuiert werden konnte.
Verhaftungs-Video schockte Schweiz
Der Fall hatte in der Schweiz für Schlagzeilen und Erschütterung gesorgt, da Video-Aufnahmen eines Nachbarn die Verhaftungs-Aktion auf dem Balkon in einem Vorortquartier der Hauptstadt zeigten: Mehrere Polizisten einer Sondereinheit prügelten gleichzeitig mit ihren Mehrzweck-Schlagstöcken auf den Kopf von Cemal G. ein, der sich stark wehrte.
Es wurden Vorwürfe exzessiver Gewalt laut, die Menschenrechts-Organisation Amnesty International führte den Fall in ihrem Jahresbericht auf.
Gegen zwei Polizei-Offiziere, unter ihnen der heutige Kommandant der Stadtpolizei, und zwei Beamte der Sondereinheit «Stern» wurde Anklage erhoben, wegen fahrlässiger Tötung respektive versuchter schwerer Körperverletzung.
Nur Video genügt nicht zur Beurteilung
Das liess Einzelrichter Peter Zihlmann nicht gelten: Er sprach alle vier Polizisten frei. Dazu kommen je 2000 Franken Genugtuung und eine Entschädigung für ihre Auslagen.
Er schickte seiner zweieinhalbstündigen Urteilsbegründung voraus, dass es in diesem Fall nur Opfer gebe.
Wer nur die Videoaufnahmen der eindreschenden Polizisten betrachte, werde dem Fall nicht gerecht. «Würden wir gemäss Meinungsumfragen Recht sprechen, so dürfte wohl auch kein Freispruch ergehen», erklärte Zihlmann dazu.
Er betonte, dass es sich beim Familienvater um einen psychisch Schwerkranken gehandelt habe, der in einem hochgradigen Erregungszustand übermenschliche Kräfte entwickelt habe.
Nichtwissen und Notwehr
Zihlman folgte bei seinem Urteil der Verteidigung, wonach die beiden verantwortlichen Polizei-Offiziere das Phänomen des «lagebedingten Erstickungstodes» nicht gekannt hätten.
Er gab aber zu bedenken, dass sie aufgrund ausländischer Literatur davon hätten wissen können. Bei Kantons- und Stadtpolizei sei mittlerweile die entsprechende Ausbildung vorhanden. «Einen solchen Fall darf es nicht mehr geben», sagte Zihlmann.
Der Schlagstockeinsatz der beiden Beamten – reglementswidrig mit dem kurzen Ende – führte laut Zihlmann nicht zu tödlichen Verletzungen und war durch Notwehr gerechtfertigt. Der Kurde hatte zuvor einen Beamten verletzt, Angriffe mit Gummischrot und Reizstoffen waren erfolglos verlaufen.
Widerstand bis zum Tod durch «lagebedingtes Ersticken»
Todesursache sei eindeutig ein atembedingter Erstickungstod in Bauchlage gewesen, erklärte der Richter weiter. Der Kurde habe, gehalten von sechs Männern und in Anwesenheit eines Arztes, sprichwörtlich bis zum letzten Atemzug Widerstand geleistet.
Er erlitt dann einen Herz-Kreislauf-Stillstand mit schwerem Gehirnschaden, an dem er vier Tage später starb.
swissinfo und Agenturen
«Unverantwortliches Urteil»
Das Grüne Bündnis und der Menschrechts-Verein «Augenauf Bern» kritisierten das Urteil als unverständlich und unverantwortlich.
Der Freispruch stelle die Unverhältnismässigkeit polizeilichen Handelns nicht in Frage. Der Richter habe aus einer Perspektive des polizeilichen Praktikers geurteilt.
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