Freizügigkeit löst keine Völkerwanderung aus
Innerhalb der EU hat die Personenfreizügigkeit keine Massenwanderung von den neuen in die alten EU-Staaten ausgelöst. Auch negative Auswirkungen auf Löhne und Arbeitslosigkeit waren laut der EU-Kommission nicht zu verzeichnen.
2004 sind zehn ost- und südeuropäische Staaten der Europäischen Union (EU) beigetreten, 2007 folgten Rumänien und Bulgarien. Diese zwei EU-Erweiterungsrunden haben aber keine Massenwanderung von Arbeitskräften aus den neuen in die 15 alten EU-Länder ausgelöst. Dies jedenfalls stellt ein Bericht der EU-Kommission fest.
Zwar stieg der Anteil der Einwanderer aus den 10 neuen EU-Staaten an der Bevölkerung der 15 alten EU-Länder an: Von 2003 bis Ende 2007 erhöhte er sich von 0,2 auf 0,5%. Der entsprechende Anteil der Rumänen und Bulgaren stieg im gleichen Zeitraum von 0,2 auf 0,4%. Doch verglichen mit den Nicht-EU-Ausländern, die in den alten EU-Staaten 4,5% der Bevölkerung ausmachen, sind die EU-Neubürger eine relativ kleine Gruppe.
«Es mag viele erstaunen, dass die Zuwanderung aus den neuen Mitgliedstaaten gar nicht so umfangreich ausfiel», sagte der tschechische EU-Sozialkommissar Vladimir Spidla.
Übergangszeiten
Allerdings können die 15 alten EU-Länder die Freizügigkeit während einer Übergangszeit beschränken. Dasselbe Recht hat die Schweiz im Rahmen des bilateralen Freizügigkeitsabkommens, über welches das Volk am 8. Februar abstimmen wird.
Interessant sind in erster Linie die Erfahrungen jener Länder, welche die Freizügigkeit sofort erlaubten. Das offenste Land ist Schweden, das sowohl 2004 wie 2007 die Zuwanderung von Arbeitskräften aus den neuen EU-Staaten sofort gestattet hat. Doch offenbar ist Schweden wenig anziehend: Die Zuwanderung blieb bescheiden.
Attraktiver für Osteuropäer sind Irland, wo ihr Anteil auf beinahe 6% der Bevölkerung hochschnellte, sowie Grossbritannien, wo sie mehr als 1% der Bevölkerung ausmachen. Auch diese beiden Staaten haben schon 2004 die Grenzen geöffnet, um ihren damals sehr grossen Arbeitskräftebedarf zu decken. Zusätzlich dürften sie wegen der englischen Sprache, die viele Osteuropäer beherrschen, attraktiv gewesen sein. Ebenfalls nicht zuletzt wegen der sprachlichen Nähe scheint es viele Rumänen nach Spanien und Italien zu ziehen.
Die EU-Kommission wünscht natürlich, dass die alten EU-Staaten die Übergangsbeschränkungen der Freizügigkeit möglichst rasch abschaffen. «Es hat keine negativen Auswirkungen auf die lokale Arbeitslosigkeit oder das Lohnniveau gegeben», betonte Spidla.
Roma sind kein Thema
Soziale Auswirkungen erfasst der Bericht jedoch nur am Rande. Die prekäre Lage der rumänischen Roma in Italien etwa wird nicht thematisiert, wohl auch deshalb, weil diese oft als Touristen und nicht als Arbeitskräfte einreisen.
Die Freizügigkeit der Osteuropäer beschränken nur noch Deutschland, Österreich, Dänemark und Belgien. Jene für Rumänen und Bulgaren, abgesehen von Schweden, alle alten EU-Staaten.
Die Schweiz kann wie die alten EU-Staaten die Freizügigkeit für Arbeitskräfte aus den zehn neuen EU-Staaten bis Ende April 2011 beschränken. Für Rumänien und Bulgarien hat die Schweiz jedoch mit der EU viel längere Übergangsfristen ausgehandelt: Für die alten EU-Staaten läuft diese spätestens Ende 2013 ab, die Schweiz hingegen kann die Freizügigkeit für rumänische und bulgarische Arbeiter mit Schutzklauseln bis Mitte 2019 beschränken.
swissinfo, Simon Thönen, Brüssel
Das Abkommen über den freien Personenverkehr mit den 15 «alten» EU-Staaten ist seit dem 1. Juni 2002 in Kraft. Im September 2005 hat das Schweizer Stimmvolk einer Ausdehnung auf die zehn Länder zugestimmt, die im Mai 2004 zur EU stiessen.
Der freie Personenverkehr zwischen der Schweiz und der EU ist bis 2009 befristet. Seitens der EU wird das Abkommen stillschweigend verlängert, in der Schweiz ist die Fortführung dem fakultativen Referendum unterstellt.
Gleichzeitig mit der Weiterführung soll die Personenfreizügigkeit auf die neusten beiden EU-Mitglieder, Rumänien und Bulgarien, ausgedehnt werden.
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