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Fussball, Schatten, Licht und Grauzonen

Willkommen im MEG! swissinfo.ch

Das Ethnographie-Museum Genf (MEG) zeigt in seiner Dépendence in Conches die Austellung "Hors jeu". Die schönen und auch weniger schönen Seiten des Fussballs werden spielerisch inszeniert. swissinfo spricht mit MEG-Leiter Christian Delécraz.

Am Eingang, an der Schwelle vom Licht zur Dunkelheit, empfangen Persönlichkeiten aus der Welt des Fussballs und der Gesellschaft den Besucher. Da steht Sepp Blatter, der “Fussballpapst”, flankiert von einem Krawallbruder und einem Fussballhelden.

Diese Figuren stammen aus Kinshasa, gefertigt in jenem Afrika, das den internationalen Fussball mit Talenten versorgt und zuschauen muss, wie sie im neuen Umfeld verlieren können. Und für die Zurückgebliebenen bleibt eine Karriere in einem europäischen Klub wohl für immer ein Traum.

“Hors jeu” zeigt die Schönheiten der fussballerischen Bewegung und die Glitzerwelt der Stars des runden Leders und deren an Barbie erinnernden Begleiterinnen. Aber auch das Geld ist allgegenwärtig, jenes der Spieler, der Sponsoren, der Financiers und auch der Zuschauer. Die Ausstellungsmacher machen sich einen Spass daraus, eine nachgebaute VIP-Lounge, wo man förmlich die Champagnerkorken knallen hört, neben eine ebensolche Tribüne zu setzen, wo sich das gemeine Volk hemdsärmelig ein paar Bierchen gönnt.

Auch die Auswüchse der Fankultur werden abgehandelt, wie auch die poetischen Höhenflüge jener (etwa Josef Blatter und Adolf Ogi), die im Sport allgemein und im Fussball im Besonderen ein Mittel zur Rettung des Planeten sehen.

Fans, Nationalismus, Aberglaube – diese Themen beschäftigen den Besucher auf Nebenschauplätzen. Aber zurück zum Sport. Fussball ist mehr als nur ein Spiel auf grünem Rasen, das Drum und Dran ist ebenso wichtig. Ein letzter Raum lädt die Besucher ein zum geselligen Verweilen. Bei einer Tasse Kaffee verfolgen sie auf Bildschirmen die letzten Neuigkeiten aus der Welt des Fussballs, vermittelt von swissinfo und dessen Dossier Euro 08. Wie das MEG hat auch swissinfo den Anspruch, das Phänomen Fussball in seiner Vielfalt zu zeigen und ist deshalb auch Partner dieser Ausstellung

Christian Delécraz, Leiter des MEG in Conches, hat diese Ausstellung zusammen mit dem Forscher Raffaele Poli realisiert.

swissinfo: Wie sind Sie für diese Ausstellung vorgegangen?

Christian Delécraz: Es ist unsere Aufgabe, auch aktuelle Themen zu behandeln. In den meisten Museen werden bloss Objekte zum Thema ausgestellt, wie alte Trikots, Fotos aus glorreichen Zeiten des Fussballs oder auch Werke von Künstlern, die sich mit Fussball auseinandersetzen.

Wir hingegen wollten von Integration und Identität, von mir und von dir, vom Phänomen der Fankultur oder von den Hooligans sprechen – also von gesellschaftlich tiefgründigen und schwierigen Themen. Letztlich ist der Fussball auch ein Vorwand, um über die Komplexität der Welt, in der wir leben, zu sprechen.

swissinfo: Wenn Sie auf diese Arbeit zurückblicken, wie erklären Sie sich, dass unter allen Sportarten einzig der Fussball den Status des Königs-, des Weltsports erreicht hat?

C.D.: Wir haben gezögert, einen Raum zum Thema “Und danach?” zu gestalten. Ein Raum, in dem die Frage gestellt wird, was wäre, wenn der Fussball verschwinden würde. Diesen Sport gibt es schon seit 1863, er entstand in den englischen Privatschulen. Warum hat eine Mannschaft 11 Spieler? Damals waren pro Zimmer jeweils 10 Schüler und ein Zimmerchef untergebracht.

Doch schon bald erreicht der Fussball das gewöhnliche Volk und wird zum Volkssport par excellence. Fussball spielen kann man überall, es reicht auch eine Konservendose. Und die Regeln sind ziemlich einfach.

Im Lauf der Zeit wurde das Spiel immer mehr vereinnahmt, vom Marketing, von der Werbung, vom Business und sogar von der Börse. Die Saläre der Spieler und deren Vermarktung durch die Medien wecken überall auf der Welt Wünsche und Sehnsüchte.

swissinfo: Was einige Probleme mit sich bringt.

C.D.: Die Ärmsten, die Ausgeschlossenen träumen davon, nach Europa zu kommen und Erfolg zu haben. So wie Didier Drogba aus der Elfenbeinküste, der heute beim englischen Klub Chelsea ein Star ist. Doch wie viele Verlierer fallen auf einen Gewinner? Raffaele Poli hat soeben eine Doktorarbeit über junge Spieler geschrieben, die in den Ländern des Südens rekrutiert und zu uns transferiert werden. Er schickt mir immer wieder Mails von jungen Afrikanern, die gerne in Europa spielen möchten und sagen, das würde ihnen das Leben retten.

Da entwickeln sich Träume und unglaubliche Sehnsüchte. Doch wie viele unter jenen, die kommen, machen keine Karriere und scheitern ganz im Geheimen, weil sie nicht mehr zurück können?

Ich habe für diese Ausstellung auch an den Titel “Zwischen Licht und Schatten” gedacht. Die glänzende Seite, die der lichtdurchfluteten Stadien, und die Schattenseite mit den dunklen Machenschaften. Doch der Titel war nicht zutreffend, denn letztlich interessierte uns das, was dazwischen liegt, die Grauzonen, und es gibt nicht wenige davon.

swissinfo: Sie sprachen vorhin vom hypothetischen Verschwinden des Fussballs.

C.D.: Der Fussball hat sich ins Masslose gesteigert. Unweigerlich denkt man an die Fabel vom Frosch und dem Ochsen: Der Frosch platzt, weil er sich so aufbläht. Und wenn auch der Fussball offiziell in England seinen Ursprung hat – auf einen Ball eingetreten wurde schon seit einer Ewigkeit, sei es nun in China oder anderswo. Seit Menschengedenken, oder zumindest fast, gab es Mannschaften, die auf irgend etwas Rundes eindroschen und es zum Rollen brachten.

swissinfo, Bernard Léchot
(Übertragung aus dem Französischen: Christine Fuhrer)

Die Austellung “Hors jeu” ist vom 21. Mai 2008 bis zum 26. April 2009 im Musée d’Ethnographie Genf (MEG), in der Dépendence in Conches, Chemin Calandtini 7, Conches, zu sehen.

Für die Realisierung von “Hors jeu” hat das MEG verschiedene Fachleute vom Internationalen Institut für Sportwissenschaft Neuenburg beigezogen.

Zu den Partnern dieser Ausstellung gehört auch swissinfo. Das aktuelle Fussballgeschehen wird in der Ausstellung auf Bildschirmen anhand unseres Specials “Euro 08” präsentiert.

Zur Ausstellung hat das MEG unter dem Titel “Hors jeu – Football et société” ein Buch unter der Leitung von Raffaele Poli herausgegeben.

Das Vorwort schrieb der Ethnologe Christian Bromberger, und der Katalog enthält ein Interview mit dem Psychologen und ehemaligen Schweizer Nationalspieler Lucio Bizzini.

136 Seiten, 120 farbige Illustrationen von Éric Lafargue und Johnathan Watts und Zeichnungen von Pierre-Alain Bertola.

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