G8-Ausschreitungen: Kritik an Bund und Polizei
Vor einem Jahr war es rund um den G8-Gipfel von Evian zu teils massiven Krawallen gekommen. Eine ausserparlamentarische Untersuchungs-Kommission stellt den Behörden in Genf und Bern nun ein zwiespältiges Zeugnis aus.
Kritisiert werden eine mangelnde Koordination und eine unklare Polizeidoktrin.
Die Genfer Krawalle rund um den G-8-Gipfel von Evian im Juni 2003 überforderten die Polizei nach Ansicht der Untersuchungs-Kommission vor allem bei der Koordination der Sicherheits-Aufgaben. Zudem habe es an Erfahrung und einer klaren Doktrin gefehlt.
Dies geht aus dem 80-seitigen Untersuchungsbericht hervor, den die Genfer Regierung am Mittwoch im Internet publizierte. Die vierköpfige Experten-Kommission unter der Leitung des ehemaligen Tessiner Staatsrates Alex Pedrazzini war im Juli 2003 eingesetzt worden.
Kritik am Bundesrat
Kritisch ins Visier nimmt die Untersuchungs-Kommission im Bericht vorab die Eidgenossenschaft, «die lange geglaubt hat, beim G8-Gipfel handle es sich um ein zweites Davos». Die Landesregierung habe erst «relativ spät und in passiver Weise» in die Vorbereitungen eingegriffen und die Auswirkungen des Gipfels im französischen Evian auf die Schweiz unterschätzt.
Die Untersuchungskommission schlägt in ihrem Bericht deshalb vor, auf Bundesebene eine Institution zu schaffen, welche für solche Grossanlässe klare Richtlinien erlässt und die Zusammenarbeit unter den Kantonen koordiniert.
Zudem soll ein spezieller Fonds zur finanziellen Unterstützung der Kantone gebildet werden, wenn diese in derartige Grossanlässe involviert werden. Auf Gesetzesebene brauche es zudem unbedingt Instrumente, die Handlungsspielraum ermöglichten, sei es bei der Informationsbeschaffung oder für präventive Massnahmen im Vorfeld von Demonstrationen.
Polizei hat Initiative verloren
Was die Abwicklung des G-8-Gipfels betrifft, gibt die Kommission den Akteuren grundsätzlich gute Noten. Positiv bewertet wird die grenzüberschreitende Grosskundgebung vom 1. Juni in Genf: Behörden, Ordnungskräfte und Demo-Organisatoren hätten sich an die Vereinbarungen gehalten.
Getrübt wird die Bilanz durch Vandalenakte und gewalttätige Zusammenstösse. Nicht erfüllt hat die Polizei nach Ansicht der Kommission ihre Mission in der Nacht vor der Kundgebung. Sie griff damals erst mit grosser Verspätung ein, als ein Trupp Vermummter in der Innenstadt Scheiben einschlug und Geschäfte in Brand steckte.
Weiter bemängelt der Bericht eine klare Polizei-Strategie nach Abschluss der Grosskundgebung vom Sonntag, als sich militante Demonstrierende Scharmützel mit den Ordnungskräften lieferten: «Die Polizei hat die Initiative verloren und war schnell überfordert.»
Behörden drückten sich um Entscheide
Die aussergewöhnliche Dimension der Sicherheitsaufgaben sowohl auf institutioneller als auch organisatorischer Ebene sei durch Koordinations-Probleme zwischen den einzelnen Institutionen noch verschärft worden. Zudem habe die lokale Genfer Polizei schwere interne Schwierigkeiten gehabt.
Mit Bezug auf die Rolle der Behörden stellt der Bericht fest, dass es aufgrund gegensätzlicher Ansichten schwierig gewesen sei, eine kohärente Strategie zu entwickeln. «Gewisse Entscheide wurden nicht gefällt, um eine Polarisierung innerhalb der Regierung zu verhindern.»
Aktive Kommunikation, klare Doktrin
Den Genfer Kantonsbehörden empfiehlt die Untersuchungskommission eine aktivere Krisenkommunikation, klarere Einsatzdoktrinen und bessere Absprachen mit den Organisatoren von Demonstrationen, um gewaltbereite Teilnehmer isolieren zu können.
Abgesehen von den Polizeikorps grösserer Städte hätten die Ordnungskräfte zu wenig Know-how für solche Grossanlässe, hiess es weiter. Deshalb sollten Spezialeinheiten gebildet werden, die nach den gängigen Standards ausgebildet und ausgerüstet würden.
Die Genfer Regierung räumte nach Veröffentlichung des Berichts ein, dass eine «Fehleinschätzung der Risiken» dazu geführt habe, dass am Vorabend der Kundgebung zu wenig Ordnungskräfte zur Verfügung standen. Die vorliegenden Informationen seien nicht richtig eingeschätzt worden, sagte Staatsrats-Präsident Robert Cramer.
Kritik auch an Globalisierungs-Gegnern
Kritik einstecken muss auch die Bewegung der «Altermondialistes». Zwar wird den Demo-Organisatoren vom Forum social lémanique (FSL) ein gutes Zeugnis ausgestellt. Für Verwirrung habe jedoch gesorgt, dass sich nicht alle Gruppen dem FSL-Aufruf, auf Gewalt zu verzichten, angeschlossen hätten.
swissinfo und Agenturen
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