Gastro-Business zwischen Beiz und Kette
Die Schweizer Wirte müssen sich neue Wege suchen: Die alte Quartierbeiz ist tot, und dem Gastro-Markenoutlet gehts auch schlechter als früher.
Als dritter Weg bietet sich eine Formel an, die regional verankert ist, einige Betriebe umfasst und aus den Fehlern der Ketten-Gastronomie lernt.
Das Bier, das der Barmann vor dem Gast hinstellt, schimmert naturtrüb durchs Glas. Und es kommt aus dem frischen Offenschank, gilt als regional bekannte, selbstgebraute Hausmarke und schmeckt anders als gängiges Mainstream-Gebräu.
Draussen quietschen die Trams um die enge Kurve, und am Zytglogge-Turm hört man die volle Stunde schlagen: Feierabend im «Adriano’s», mitten in der Stadt Bern.
«Das Wachstum bei den kleinen Restaurants ist momentan riesig», sagt Gudrun Schlenczek, langjährige Gastronomie-Fachjournalistin zu swissinfo, während sie im «Adriano’s» an ihrem Cappuccino nippt.
Die Redaktorin der «hotel + tourismus revue» schränkt aber ein: «Auch bei den Kleinen halten sich die vielen Neueröffnungen mit den zahlreichen Konkursen die Waage. Andererseits ist die Schweiz einfach zu klein, um Gastro-Ketten wirklich gross werden zu lassen.»
«Traktor-Früchte» statt Coke
Im «Adriano’s» sind auf den ersten Blick wenig internationale Getränke-Marken präsent. Dafür gibts noch eine dunkle Hausbier-Variante. Die Bar ist italienisch inspiriert, es riecht nach Kaffee, Zigaretten, Zeitungen, Alkohol und etwas Parfüm – keine Systemgastronomie, sondern meist dichtes Gedränge.
Neuerdings hat beim aufgefrischten Bahnhof in Bern ein weiteres «Adriano’s» eröffnet, das aber ganz anders daher kommt: Eine Art Schankstelle, nur als Stehbar gedacht, «Adriano’s Tankstelle» genannt. Dort werden Fruchtsäfte der Marke «Traktor Fruchternte» angeboten.
1 Beiz auf 135 Einwohner
Wann öffnet das erste «Adriano’s» in Zürich, hätte man sich vor wenigen Jahren gefragt. Heute stellt sich die Frage anders, denn die Zeiten der «Marken-Replikation» in der Schweizer Gastronomie sind vorläufig vorbei.
«Adriano’s» ist einer der schweizweit 40’000 Betriebe im klassischen Gastgewerbe (gewerbliche Beizen und Gastro-Kettenbetriebe), mit regional bekanntem Marken-Namen, aber ohne Kettenbezug.
Inklusive Kantinen und ähnliche Einrichtungen entfallen auf die 7,4 Millionen Einwohner und der Einwohnerinnen der Schweiz 54’000 so genannte Absatzstellen für Grosskonsumenten-Lieferanten, wie das Krienser Kompetenz-Zentrum für Gastronomie und Hotellerie errechnet hat. «Diese Beizendichte ist in Europa einzigartig hoch», kommentiert Kennerin Schlenczek.
Die zehn Grossen bei den Gastro-Ketten, darunter McDonald’s, Migros, Mövenpick, Bindella und Gastrag, setzen allein über zwei Mrd. Franken um, und sie sind in den letzten 20 Jahren stetig gewachsen. Nun scheint dieses Wachstum gestoppt zu sein.
So sieht es beispielsweise auch Michael Hostmann vom Kompetenz-Zentrum: Ohne kritische Grösse keine Expansion. «Zudem können die grossen Ketten nicht so gut auf regionale Bedürfnisse eingehen. Und wenn im Gegensatz dazu mittlere oder kleiner Ketten zwar marktschwach, aber dennoch gut sind, hängt das meistens an der Person des Chefs.»
Womit die Kontinuität nicht gegeben sei, wie Hostmann weiss. «Denn der Chef kann nicht gleichzeitig in Genf und Zürich zum Rechten sehen.» Deshalb gehe der Trend in Richtung regional verankerte Beizen.
Typenmenge statt Marken-Outlets
Auch mit der Markentreue der Konsumenten, einst von allen Marketing-Experten in den Himmel gelobt, ist es bei der gegenwärtigen Ausgeh-Generation nicht mehr so weit her. «Das Ausgehverhalten unterscheidet sich regional in der kleinen Schweiz sehr stark», sagt Hostmann gegenüber swissinfo.
Das verspüren lokal verankerte Wirte viel besser als Gastroketten-Manager. Deshalb sind die Chefs eines lokalen Ketten-Restaurants oft die einzigen, die ihren Betrieb weiterführen können, auch nachdem sich die Kette zurückgezogen hat. So geschehen bei der Marke Nelson Pub, eine eigene Gesellschaft, heute Nemag AG. Neun der ursprünglich 20 Nelsons wurden in der Zwischenzeit von ehemaligen Mitarbeitern übernommen.
Mit einem Umsatz von 53 Mio. Fr. im Jahr 2002 gilt die Gastrag als kleinste der grossen Ketten. McDonald’s setzt genau zehn Mal so viel um.
Bäcker und Metzger heute schon Beizer
Gastro-Ketten sind in den Nachbarländern der Schweiz weniger herausgefordert. «Die Grösse dieser Märkte erlaubt eine expansive Politik», so Schlenczek. «Dazu kommt den Ketten der Umstand entgegen, dass die Beizendichte viel kleiner ist.»
Die Fachpublizistin bezieht sich auf die laufenden Creditreform-Zahlen, um die Tendenzen im weitergehenden Beizensterben in der Schweiz zu untermauern. Rund 3160 Neueintragungen im Handelsregister gab es 2003, ungefähr gleich viele wie im Vorjahr. Die Streichungen aus dem Register nahmen jedoch um über 9% zu.
Das ergäbe zwar immer noch rund 800 neu verbliebene Beizen für 2003. Nur liegt dieser Netto-Zuwachs fast 20% unter dem Vorjahreswert.
«Die Kombination von Rezessionsverhalten des Konsumenten und Liberalisierung mag ein Grund für diesen Rückgang sein», sagt Hans-Peter Dürr von Freddy Burger-Management (FBM). Die FBM ist im Gastro- und Showbusiness aktiv (unter anderem «XIIApostel», «Chickeria» oder «Trattoria Toscana» in Zürich).
«Die Verlagerung des Verkaufs von Essen und Getränken aus der Restauration in Richtung Bäckereien, Metzgereien etc. ist explodiert», sagt Dürr. Das Mittags-Geschäft der Restaurants wird auch durch die gastronomisch besser gewordenen Kantinen konkurriert.
Abends wird es hart
«Und im abendlichen Ausgeh-Gastronomiegeschäft wirds dann hart», fährt Dürr fort, «dann muss die Qualität stimmen.» Die Gastro-Profis sind sich deshalb einig: Das Beizen-Sterben geht weiter, die Beizendichte in der Schweiz scheint verglichen mit dem Ausland immer noch zu hoch zu sein.
«Mit viel Motivation, Freizeitarbeit, dem Gefühl, den Traumjob zu haben und dafür niedrige Löhne in Kauf zu nehmen, und mit Kenntnis der lokalen Ausgeh-Szene erkaufen sich manche dynamische Jungunternehmer samt ihrer Crew den Erfolg», sagt Schlenczek. «Aber oft dauert dieser nicht lange an.»
swissinfo, Alexander Künzle
Einige Top Gastro-Ketten in der Schweiz (Umsätze 2002, Mio. Fr.):
McDonald’s 525
Mövenpick 238
Autogrill 209
Bindella 96
Merkur 55
Gastrag 53
Beizen in der Schweiz (2003):
Restaurants 24’000
Hotels/Pensionen 5900
Café/Tea Room/Bistro 5900
Bar/Pub/Dancing 4400
Die Expansion der Gastronomie-Ketten in der Schweiz scheint vorerst abgeschlossen.
Dafür nimmt die Anzahl der gewerblichen Beizen stark zu – aber auch die Zahl ihrer Konkurse.
Der Binnenmarkt Schweiz ist für die grossen Ketten zu klein, um ihre betrieblichen Vorteile ausschöpfen zu können.
Der Trend läuft in Richtung Management-Gesellschaften mit wenigen, aber regional verankerten Betrieben.
Die Stagnation der Systemgastronomie geht jedoch in keiner Weise überein mit einem Comeback der individuellen Beizers von vorgestern.
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