Gaza immer noch von humanitärer Krise bedroht
Die Blockade des Gaza-Streifens durch Israel erschwert, trotz einer leichten Lockerung, weiterhin das tägliche Leben der palästinensischen Bevölkerung.
Auch wenn die Schweizer Diplomatie die Raketenbeschüsse von Gaza auf Israel verurteilt, spricht die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza) von kollektiver Strafe. Israel widerspricht dem.
«Falls die gegenwärtige Blockade weitergeht, ist eine humanitäre Krise in den kommenden Wochen unvermeidlich. Dies trotz der Öffnung von Übergängen in der Mauer, die den Gaza-Streifen von Ägypten trennt», sagt Mario Carera gegenüber swissinfo. Er ist Leiter des Deza-Büros in Westjordanien und Gaza.
Auf der Suche nach Lebensmitteln, Zigaretten und Treibstoff haben am Mittwoch Zehntausende von Palästinensern gesprengte Übergänge in der sechs Meter hohen Metallmauer nach Ägypten passiert, welche die Israeli 2004 errichtet hatten, um die beiden Gebiete zu trennen.
«Seit Ende Oktober hat die israelische Regierung die Versorgung des Gaza-Streifens mit Elektrizität und Treibstoff eingeschränkt. In den letzten Tagen gab es eine Totalblockade, die erst am Dienstag wieder leicht gelockert wurde. Aber der Mangel an Treibstoff ist weiterhin spürbar», so Carera.
Verzweiflung und Resignation
Laut dem Deza-Büroleiter mussten die drei grossen Spitäler des Gaza-Streifens ihre Notfalldienste zum Teil einstellen. Die Frischwasserversorgung ist gestört, ebenfalls die Abwasser-Entsorgung. Die Treibstoffknappheit beeinträchtigt die Heizung der Häuser und die Arbeit in den Büros.
«Während meines letzten Besuchs vergangene Woche spürte ich Verzweiflung und Resignation», sagt Carera. «Das wirtschaftliche und soziale Leben ist praktisch ganz blockiert. Die Massnahmen der israelischen Regierung treffen die palästinensische Bevölkerung stark, besonders seit dem Sieg der Hamas im Januar 2006. Dieser wurde von den internationalen Beobachtern als frei und demokratisch bezeichnet. Der Druck nahm noch mehr zu, als Hamas im Juni 2007 Gaza unter ihre Kontrolle nahm.»
Seither haben 100’000 Personen ihre Arbeit verloren. «Ein Lohn muss hier im Durchschnitt ausreichen, acht Personen zu ernähren. Heute sind 80% der Bevölkerung von Nahrungsmittelhilfe abhängig», so Carera.
Grenzen der internationalen Hilfe
«Die internationale Gemeinschaft erhöht monatlich ihre Hilfe an Gaza, über UNO-Hilfswerke, das Internationale Komitee des Roten Kreuzes oder ein Netzwerk von palästinensischen Nichtregierungs-Organisationen», sagt der Deza-Büroleiter.
Mit dem Resultat, dass die Bevölkerung immer mehr verzweifle und sich ein Teil davon radikalisiere. «Die Schweiz unterstützt die medizinischen Programme im psychiatrischen Bereich», so Carera. In den vergangenen Monaten habe sich eine erhöhte Gewaltanwendung gezeigt, sowohl innerhalb der Familien als auch zwischen rivalisierenden Gruppen.
Das IKRK schätzt, dass hier enorme humanitäre Kosten anfallen. Das Komitee hat deshalb Israel gebeten, sofort alle repressiven Massnahmen aufzuheben.
Diese Massnahmen werden auch vom Schweizerischen Aussenministerium in einer Mitteilung kritisiert: Sie wiesen den Charakter einer Kollektivstrafe auf.
Israels Antwort
Diesen Vorwurf weist jedoch Uri Rothman, Sprecher der israelischen Botschaft in Bern, zurück: «Die aktuelle Situation in Gaza ist die Folge einer Serie von falschen Entscheiden seitens der Palästinenser, wie Gewalt- und Terroraktionen statt Friedensverhandlungen. Israel hat sich vor mehr als zwei Jahren entschieden, Gaza zu verlassen, um der Region neue Friedens-Perspektiven zu eröffnen.»
Seit Hamas im Juli 2007 die Kontrolle über den Gazasteifen erlangt habe, seien über 2000 Granaten über Israel niedergegangen, was einem Einschlag alle drei Stunden entspreche.
Rothman bestreitet auch die humanitäre Krise für die Bevölkerung: «Wir haben die Lieferungen an Energie und Basis-Produkten nie gestoppt. Die Palästinenser hingegen haben versucht, das Kraftwerk von Ashkelon anzugreifen, das jedoch 70% des Stroms für Gaza liefert.»
swissinfo, Frédéric Burnand, Genf
(Übertragung aus dem Französischen: Jean-Michel Berthoud, Alexander Künzle)
Im humanitären Bereich unterstützt die Schweiz die Programme der UNO und des IKRK.
Die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza) unterstützt auch das palästinensische Gesundheits-Ministerium beim Kauf von Medikamenten für Gaza und Cisjordanien (Westbank).
Im Entwicklungsbereich hilft die Deza den palästinensischen NGO im Bereich der Menschenrechte. Diese NGO gehen den Überschreitungen nach, die Israel und die palästinensischen Fraktionen im Umgang mit der palästinensischen Bevölkerung begehen.
Die Schweiz unterstützt auch wichtige Programme im psychiatrischen Bereich. Diese zielen auf die Verhütung von Gewalt in der Familie.
Im Bildungsbereich hilft die Deza im ausserschulischen Bereich und beim Wiederaufbau von rund 100 Kindergärten.
Seit der Blockade von Gaza hilft die Schweiz auch bei der Wiederaufbereitung von Agrarland und dem Aufbau von Organisationen, um die lokale Landwirtschaft zu entwickeln.
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