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Gegen Frauenhandel und Zwangsprostitution

Viele Sexarbeiterinnen sind Opfer von Frauenhandel. Keystone

Frauenhandel findet täglich statt - auch in der Schweiz. Und die offizielle Schweiz tue zu wenig dagegen, kritisiert die Koalition "Euro 08 gegen Frauenhandel".

Am 8. März, am Tag der Frau, findet deshalb in grossen Schweizer Städten eine Informationskampagne statt, bei der mit einer Petition Bund und Kantone zum Handeln aufgefordert werden.

«In der Schweiz werden leider auch gehandelte Frauen konsumiert», sagte Alt-Nationalrätin Ruth-Gaby Vermot bei der Lancierung der Petition «Mehr Schutz für die Opfer von Frauenhandel» am Freitag.

«Die Frauen arbeiten in Bordellen als Zwangsprostituierte, als Tänzerinnen in Cabarets, als Haushaltssklavinnen.» In der Schweiz gibt es laut Bundesamt für Polizei jährlich rund 3000 Opfer. Doch die Dunkelziffer ist hoch.

Plattform Euro 2008

Betroffene Frauen könnten besser geschützt werden, wenn die Öffentlichkeit, insbesondere Freier, besser über das Thema informiert wäre, ist die aus 25 Organisationen bestehende Koalition überzeugt. Um sehr viele Menschen mit dieser Thematik zu erreichen, will sie die Fussballeuropameisterschaft Euro 2008 als Plattform benutzen.

«Wir gehen aber nicht zwingend von einer Zunahme des Frauenhandels aus», sagte Doro Winkler, von der FIZ, der Fachstelle zu Frauenhandel gegenüber swissinfo. «Dies haben die Auswertungen der Fussball-WM 2006 in Deutschland gezeigt.»

Opferschutz: Glück oder Pech?

Eine der Hauptforderungen der Kampagne: Wer von Frauenhandel betroffen ist, soll unabhängig vom Aufenthaltskanton den gleichen Schutz und die gleichen Rechte haben. Dafür soll der Bund verbindliche Standards schaffen.

In vielen Schweizer Kantonen steht im Moment die Bekämpfung der illegalen Migration im Vordergrund. «Doch damit werden Opfer als illegal anwesende Migrantinnen kriminalisiert und ausgeschafft, statt als Opfer erkannt», sagt Doro Winkler.

Es brauche aber auch bei der Polizei Veränderungen. Zwar habe letztes Jahr der erste Ausbildungslehrgang für Polizisten zu Frauenhandel stattgefunden. Doch noch immer könnten Opfer bei einer Kontrolle Glück oder Pech haben: «Glück, wenn sie auf geschulte Polizisten treffen, die den Auftrag haben, Opfer von Menschenhandel zu finden, Pech, wenn die Polizisten nach illegal anwesenden Frauen suchen. Sie werden keine Opfer finden.»

Nicht ohne Europaratskonvention

Der Europarat hat eine klare Konvention zum Menschenhandel geschaffen. Diese ist bis am 6. November 2007 von 10 Ländern ratifiziert und von 27 weiteren unterzeichnet worden.

Auch die Schweiz müsse diese Konvention unbedingt ratifizieren, damit die Menschenrechte der Opfer gewahrt und die wahren Schuldigen verfolgt würden, erklärt die Kampagnenleitung.

Doro Winkler würde eine Ratifizierung sehr begrüssen, «da diese mehr am Opferschutz orientiert ist als die UNO-Konvention, bei welcher die Strafverfolgung im Vordergrund steht.»

Entkoppelung von Opferschutz und Klagepflicht

Weshalb ist die Schweiz noch nicht für diese Unterschrift bereit? «In der Europaratskonvention gibt es einen heiklen Punkt: die Entkoppelung von Opferschutz und Klagepflicht», erklärt Ruth-Gaby Vermot gegenüber swissinfo.

«Hier in der Schweiz erhalten Opfer 30 Tage Bedenkzeit. Danach müssen sie sich für eine Klage entscheiden oder sie werden nach Hause geschickt, wenn es sich nicht um einen ganz offensichtlichen Härtefall handelt.»

Eine unhaltbare Situation, findet Vermot. «Wir wollen, dass diese Klagepflicht vom Opferschutz entkoppelt wird. Denn häufig droht man den Opfern mit der Verfolgung ihrer Eltern oder Kinder in ihren Herkunftsländern. Das ist eine schwierige Situation, denn die Frauen sind Opfer und man muss sie auch als Opfer behandeln.»

Sie kenne Opfer, die hätten keine Stimme, keine Kraft, keinen Mut, seien traumatisiert und verdrängten viel. «Deshalb kann der Opferschutz nicht mit einer Bedingung zusammenhängen. Opferschutz ist bedingungslos.»

swissinfo, Etienne Strebel

Die Petition «Mehr Schutz für die Opfer von Frauenhandel» fordert für Opfer von Frauenhandel

1) von der Landesregierung und dem Parlament:

– einen Rechtsanspruch auf eine Aufenthaltsbewilligung – unabhängig von der Aussagebereitschaft

– für alle Kantone verbindliche Schutz-Standards

– Förderung von Sensibilisierungs- und Infokampagnen

– Ratifizierung der Europarats-Konvention zur Bekämpfung von Menschenhandel

2) von den Kantonsregierungen:

– keine Kriminalisierung der Opfer von Frauenhandel, sondern Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung

– sichere Unterbringung und spezialisierte Betreuung und Beratung

– Regelmässige Weiterbildung der Angehörigen von Polizei, Justiz- und Migrationsbehörden

– verbindliche Zusammenarbeit mit Fachstellen und Einsetzung von Fachleuten für Menschenhandel.

Start am 8. März in Basel, Bern, Genf, Zürich sowie Aktionstage in Biel, Kriens, Aarau, St. Gallen.

Weitere Fachveranstaltung im April und Mai.

Während der Euro 2008 wird ein Informationsspot auf Grossleinwänden und am Schweizer Fernsehen zu sehen sein.

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