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Gemeinsame Waschküchen: Zwischen nachbarschaftlichen Spannungen und sozialen Bindungen

einsame wäscheklammer an der leine
Die Waschküche ist ein Ort, an dem viele Konflikte entstehen. Keystone / Christian Beutler

Gemeinschaftliche Waschküchen sind eine Besonderheit in Schweizer Wohnhäusern, die für Menschen aus dem Ausland überraschend sein kann. Diese Orte mit ihren stark reglementierten und einschränkenden Gepflogenheiten sind oft eine Quelle nachbarschaftlicher Spannungen. Sie können aber auch soziale Bindungen schaffen.

Sie sind häufig in den hintersten Ecken des Gebäudes, am Ende von nüchternen Korridoren zu finden und spalten die Schweizerinnen und Schweizer in zwei Gruppen: Diejenigen, die sich gerne dort treffen, um zu plaudern, und andere, die Nachbarschaftsstreitigkeiten fürchten.

Die Waschküchen erfordern organisatorische Einschränkungen, die von begrenzten Zeitfenstern über mehr oder weniger komplizierte Kartenaufladungen bis hin zu Waschverboten am Sonntag reichen. Ganz zu schweigen von in der Maschine vergessener Wäsche, hier und da hinterlassenem Schmutz oder aus unerfindlichen Gründen doppelt verschlossenen Türen.

Und oft tauchen kleine Zettelchen auf, um den Nachbarn oder die Nachbarin auf ein Versäumnis aufmerksam zu machen. Manchmal sind sie sogar mit Schimpfwörtern versehen.

Ein bei Neuankömmlingen unbeliebtes Ritual

Dass es sich bei diesem unumgänglichen Ritual der Mietenden um eine sehr schweizerische Eigenart handelt, zeigt sich auch daran, dass Ausländerinnen und Ausländer, die in die Schweiz ziehen, oft ernüchtert sind, sobald sie durch die Waschküchentür treten.

Emily Engkent, eine Kanadierin, die seit zehn Jahren in Zürich lebt, spricht sogar von einem «Kulturschock», als sie in die Schweiz kam, und sie geht immer noch nicht gerne in die Waschküche.

Die Produzentin von Videos für soziale Netzwerke erklärte in der Sendung Mise au point des Westschweizer Fernsehens, dass ihre Integration in der Schweiz über drei wichtige Etappen erfolgt sei: Schweizerdeutsch, Fondue und Waschküche.

Humorvoll bemerkte sie, dass es seltsam sei, sich lange im Voraus für Zeitfenster anmelden zu müssen. Die Schweizerinnen und Schweizer wüssten so schon ein Jahr im Voraus, wann sie ihre Kleider waschen würden.

Eine Quelle für Konflikte

Ein weiterer Punkt, den Engkent hervorhob, ist die Möglichkeit, dass man von einer alten Frau angeschrien wird. Und es stimmt, dass die Waschküche oft eine grosse Quelle für Nachbarschaftskonflikte ist.

In der Schweiz regt sich jeder dritte Mieter und jede dritte Mieterin jeden Monat über den Waschraum auf.

handgeschriebener Zettel in der Waschküche
Ein handgeschriebenes Verbot, die Wäsche einer Mieterin oder eines Mieters zu berühren. RTS

Der Aufruf von Mise au point zu Zeug:innenaussagen bestätigte die Bedeutung der Waschküche im Leben von Schweizerinnen und Schweizern und die Spannungen, die sie hervorrufen kann: «Eine totale Hölle, zwischen dem Mangel an Hygiene der anderen und der Nichteinhaltung des Zeitplans».

«Wir fanden Exkremente in den Dichtungen der Trommeln.» «Ich hatte alle drei Wochen einen Tag; sobald ich Kinder bekam, kaufte ich einen eigenen Waschturm.»

Der Gang zum Waschen der Wäsche kann sogar zu einer Stressquelle werden. Nathalie, die ebenfalls von RTS befragt wurde, fühlte sich in ihrer Intimsphäre berührt, als jemand ohne ihr Wissen ihre Wäsche ausleerte. «Das sind meine Sachen, sie sind sauber und jemand, den ich nicht kenne, fasst sie mit den Händen an.»

Eine Frau aus der Broye, die anonym bleiben möchte, berichtet, dass sie in ihrer Waschküche angegriffen wurde. Nach einer Meinungsverschiedenheit sei ein Paar heruntergekommen und habe sie verbal angegriffen, dann habe der Ehemann sie heftig gestossen.

«Das endete damit, dass ich zwei Wochen krankgeschrieben war, weil mein Knie auf die doppelte Grösse angeschwollen war. Wegen Waschmittel …».

Den Luzerner Anwalt Anton Bühlmann, der eine Schlichtungsbehörde geleitet hat, die sich mit solchen Konflikten befasst, ist nicht überrascht, dass Waschküchen so viele Spannungen erzeugen.

«Man behandelt dort etwas extrem Persönliches; die Kleidung, die Unterwäsche, und man stellt sie quasi öffentlich zur Schau. Man könnte fast sagen, dass man sich in der Waschküche entblösst.»

Er ist ausserdem der Meinung, dass das System der Waschküchen nicht mehr dem Zeitgeist entspricht, mit einem Arbeitsrhythmus, der sich von früher unterscheidet, mit Paaren, die ausser Haus berufstätig sind, und Alleinstehenden, die Arbeit und Haushalt übernehmen müssen.

Orte des Lebens und des sozialen Zusammenhalts

Angesichts dieser Situation werden bei Neubauten häufig individuelle Anschlüsse oder sogar Waschtürme in jeder Wohnung bevorzugt. Dies bedeutet jedoch nicht das Aus für gemeinsame Waschküchen.

Immer häufiger wird auch versucht, sie zu funktionalen, aber auch angenehmen Orten zu machen. Die Genossenschaft «Le Bled» in Lausanne hat eine moderne, vernetzte Waschküche entworfen, die rund um die Uhr zugänglich ist und über eine App verfügt, die freie Maschinen anzeigt.

«Das Ziel war es, daraus einen echten Lebensraum zu machen», sagt Laurent Guidetti, einer der Architekten des Projekts. In diesem Sinne wurde die Waschküche nicht im Untergeschoss, sondern im Obergeschoss untergebracht, wo sie hell ist und auf eine schöne Terrasse führt.

Es gibt auch Initiativen, die diese Orte zu echten Räumen des sozialen Zusammenhalts machen. Die Siedlung Vieusseux im Herzen von Genf setzt seit fast 100 Jahren auf ihre Waschküche als Ort der Begegnung, mit engagiertem Personal, das den Raum verwaltet und Verbindungen schafft.

Die Mieterinnen und Mieter können dort mehrere Wäschen gleichzeitig waschen, aber immer nur nach vorheriger Absprache.

Raja Hammi, eine der Hausmeisterinnen, hält den Ort am Leben und trägt dazu bei, dass er zu einem Raum des Austauschs zwischen den Bewohnerinnen und Bewohnern und Treffpunkt unterschiedlichster Profile wird, seien es ältere Menschen, die Hilfe beim Wäschewaschen brauchen, jüngere, die nur wenig Zeit für diese lästige Pflicht haben, oder sogar Freiwillige, die die Trikots des örtlichen Fussballvereins waschen.

In Anlehnung an den Geist der früheren Waschbrunnen kann man sich hier Zeit nehmen, um sich auszutauschen und sich über die neuesten Nachrichten zu informieren. Oder einfach nur einen Kaffee trinken.

eine Frau in der Waschküche
Hell und mit der Möglichkeit, mit anderen Mieter:innen zu plaudern: Auch solche Waschküchen gibt es. RTS

«Ich kann alles von A bis Z erledigen, und ausserdem unterhalte ich mich mit den Leuten, wir lachen, wir plaudern, das tut unserer Seele, unserem Herzen, einfach allem gut», sagt die Tramfahrerin Kalissa Benhanaya. «Sie sind alle liebenswert und das macht mich glücklich», stimmt Raja zu.

Und letztlich ist es vielleicht genau das, worum es bei diesen besonderen Räumen im Schweizer Alltag geht, nämlich die lästige Pflicht der Wäsche in eine relativ angenehme Aufgabe zu verwandeln.

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