Gewalt an Frauen: Kampagne soll Schweigen brechen
In der Schweiz sind Tausende von Frauen Opfer von physischer, sexueller oder psychologischer Gewalt, aber auch von struktureller Gewalt wie etwa Lohnungleichheit. Die Kampagne "16 Tage gegen Gewalt an Frauen" will die Bevölkerung aufrütteln.
Über 60 Organisationen nehmen an der vom Christlichen Friedensdienst (cfd) initiierten Kampagne teil, die vom 25. November, dem Internationalen Tag der Beseitigung der Gewalt gegen Frauen, bis zum 10. Dezember, dem Internationalen Tag der Menschenrechte, durchgeführt wird.
1991 wurde sie von der UNO ins Leben gerufen. In der Schweiz findet sie erst zum zweiten Mal statt.
Die Gewalt an Mädchen und Frauen sei das am meisten verbreitete Menschenrechtsproblem, sagte Justizministerin Eveline Widmer-Schlumpf vor den Medien. «Gewalt gegen Frauen kennt keine Grenzen – weder geografisch noch kulturell.»
In der Schweiz würden laut Studien zwei von fünf Frauen in ihrem Erwachsenenleben mindestens ein Mal Opfer von körperlicher, sexueller oder von psychischer Gewalt, so Widmer-Schlumpf.
Gesetze, um gegen die Gewalt an Frauen anzukämpfen, würden in der Schweiz bestehen. Es gehe heute vor allem darum, sie anzuwenden. «Wir alle sind deshalb gefordert, hinzusehen und gegen Gewalt vorzugehen», forderte sie.
Gefährliches Heim
Der gefährlichste Ort für Frauen bleibt in der Schweiz das eigene Zuhause, sagte Cécile Bühlmann, die Geschäftsleiterin des Christlicher Friedensdienstes.
Seit dem Jahr 2004 gilt häusliche Gewalt als Offizialdelikt. Während auf gesetzlicher Ebene wichtige Anpassungen gemacht wurden, sieht es beim Vollzug anders aus. «Rund drei Viertel der Verfahren werden von der Staatsanwaltschaft eingestellt», sagte Karin Haeberli, Sprecherin der Konferenz der Interventions- und Fachstellen gegen häusliche Gewalt gegenüber swissinfo.ch. «Die Umwandlung von einem Antrags- zum Offizialdelikt hat die Situation nicht verbessert».
Bei der Gesetzesanwendung gebe es zudem enorme Unterschiede zwischen den Kantonen. Während etwa im Kanton Zürich bei 65% der Polizeieinsätze bei häuslicher Gewalt, der Aggressor vom Opfer ferngehalten wird, seien dies im Kanton Basel-Stadt bei nur 14% der Fall.
Zwischen Hammer und Amboss
Ein schmerzlicher Punkt sei auch das Schicksal von Migrantinnen, die Opfer von Gewalt würden. Ihnen bliebe oft nur die Wahl zwischen zwei Alpträumen: Mit dem gewalttätigen Ehemann zusammen bleiben oder die Scheidung beantragen und damit riskieren, die Aufenthaltsbewilligung und das Sorgerecht für die Kinder zu verlieren.
Die Schweiz wurde diesbezüglich letzten Oktober vom UNO-Menschenrechtsrat gerügt. Sowohl die Eidgenössische Kommission für Frauenfragen als auch die kantonalen Dienste gegen häusliche Gewalt haben das Bundesamt für Migration ersucht, die Bindung des Aufenthaltsstatus an den Ehepartner für gewaltbetroffene Frauen zu lockern.
Auch wenn die Gesetze eine wichtige Grundlage im Kampf gegen Gewalt an Frauen darstellten, reichten sie alleine nicht aus, sagt Bühlmann. Auch der Schutz der Opfer sei nicht ausreichend. Auch die Kompetenz der Frauen müsste gestärkt werden.
Auch Diskriminierung ist eine Form von Gewalt
Eine weitere Form von Gewalt ist die strukturelle Gewalt, die sich in ungleichen Machtverhältnissen der Geschlechter äussert. «Unsere Gesellschaft ist immer noch so organisiert, dass Frauen und Männer nicht die gleichen Möglichkeiten haben», sagt Unia-Gewerkschaftssekretärin Corinne Schärer.
Von der gesetzlich vorgeschriebenen Lohngleichheit etwa sei man noch weit entfernt, sagte sie. Zudem drohten Frauen auch stärker von der aktuellen Wirtschaftskrise betroffen zu werden, weil beispielsweise Teilzeitarbeitsplätze besonders gefährdet seien.
Um gegen die Gewalt an Frauen anzukämpfen, müsse die Mauer des Schweigens gebrochen werden, sagt Amanda Weibel, Koordinatorin der Kampagne «16 Tage gegen Gewalt an Frauen». Vor zwanzig Jahren sei die Gewalt gegen Frauen noch kein politisches Thema gewesen, sagt Amanda Weibel.
Auch wenn das Tabu heute gebrochen sei, sei es für die Opfer immer noch schwierig, über das Erlebte zu sprechen.
Es sei deshalb wichtig, diese darin zu unterstützen. Die Kampagne will während 16 Tagen mit 65 Veranstaltungen auf die Gewalt an Frauen aufmerksam machen – die Sensiblilisierungsarbeit wird jedoch andauern.
Sonia Fenazzi, swissinfo.ch
(Übertragung aus dem Italienischen: Corinne Buchser)
Laut einer Studie des Bundesamtes für Statistik (BFS) stehen 45% der Tötungsdelikte, die zwischen 2000 und 2004 in der Schweiz begangen wurden, im Zusammenhang mit häuslicher Gewalt.
Die Schweiz hält damit einen traurigen Weltrekord: Sie steht diesbezüglich klar vor Australien (35%) und den USA (16%).
Bei den Todesopfern von häuslicher Gewalt handelte es sich bei 69% der Fälle um Frauen. In den meisten Fällen (78%) handelte es sich dabei bei den Tätern um den Partner oder Ex-Partner.
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