Gewinnt Karzai die Wahlen in Afghanistan noch einmal?
Präsident Hamid Karzai zeigt sich selbstbewusst, die afghanischen Präsidentschaftswahlen noch einmal zu gewinnen. Durch seine Wiederwahl werde die Situation im Land kaum verbessert, sagen Schweizer Experten.
Am Donnerstag sind Millionen von Afghaninnen und Afghanen aufgefordert, die Provinzräte und den Präsidenten zu wählen. Die Taliban drohen, die Wahl zu stören.
Am Dienstag hat ein Selbsmordattentäter in Kabul mit einer Autobombe drei Personen getötet. Kurz vorher schlug eine Rakete der Taliban beim Präsidentenpalast ein.
Karzai ist der grosse Favorit, der die Wahl wohl gewinnen wird. Aber die Mehrheit, die er braucht, um nicht in einer Stichwahl gegen seinen grössten Herausforderer, den früheren Aussenminister Abdullah Abdullah, antreten zu müssen, wird er wahrscheinlich nicht erreichen.
Zwei Umfragen, die von der US-Regierung in Auftrag gegeben und die letzte Woche publiziert wurden, ergaben 45 Prozent der Stimmen für Karzai und 25 Prozent für Abdullah.
Verbindungen mit regionalen Machthabern und seine Herkunft als Paschtune, der grössten afghanischen Ethnie, bringen Karzai in eine gute Ausgangslage. Dies, obwohl die Unzufriedenheit mit seiner Regierungstätigkeit weit verbreitet ist.
«Es ist wahr, dass es so aussieht, dass Karzai wiedergewählt wird, obwohl sein Leistungsausweis extrem schwach ist – und das ist noch eine Untertreibung. Wir dürfen von diesen Wahlen nicht zuviel erwarten», sagt Gilbert Etienne, ein Schweizer Afghanistan-Experte, gegenüber swissinfo.ch
Das Wahlresultat bleibt unsicher, begleitet von der Anschuldigung der Korruption und auf einem Hintergrund der Gewalt. Dies könnte die Chancen von Karzai im ersten Wahlgang schmälern.
Drohungen der Taliban
Die Taliban haben die Afghanen gewarnt, keine Stimmzettel abzugeben. Sie drohten damit, dass Stimmende die Opfer von Anschlägen auf die Wahllokale sein könnten.
Offizielle Wahl-Zuständige sagen, dass ungefähr zehn Przoent der 7’000 Wahllokale aufgrund von Sicherheitsüberlegungen geschlossen bleiben könnten. Aber die USA glauben nicht, dass Taliban-Attacken die Wahlen verhindern werden.
Albert Stahel, Professor für strategische Studien an der Universität Zürich und Militärstategieexperte, stimmt damit überein: «Die Taliban können die Wahlen zwar teilweise stören, aber nicht ganz verhindern.»
Korruption und Bandenchefs
Seitdem er an der Macht ist, hat sich Karzais Ruf stark verschlechtert. Die westliche Kritik wirft ihm vor, schwach zu führen, weil er mit Bandenchefs verhandelte, Drogenschmuggler tolerierte und die Korruption ignorierte, die den Taliban zu Gute kam. Die Sicherheitslage in einigen Teilen Afghanistans hat sich seit 2004 stark verschlechtert, trotz der Anwesenheit der ausländischen Truppen.
Stahel sagte, dass Karzai grundsätzlich eine Führerpersönlichkeit sei, die Kompromisse eingehe: «Aber wenn man sieht, welche Leute mit ihm zusammenarbeiten, wie zum Beispiel der frühere Chef der Uzbekischen Milizen, General Abdul Rashid Dostum, dann sieht man sofort, welcher Art diese Kompromisse sind.»
Bei einer Wiederwahl von Karzai werd sich nur wenig verändern, glaubt der Professor der Uni Zürich.
«Die Korrupition wird gleich bleiben wir voher, es werden Leute aus früheren Zeiten in die Regierung kommen, und nichts wird gelöst werden. Die USA werden die Armee aufbauen, aber es gibt keine klaren Lösungsvorschläge für die Probleme der Gesellschaft», sagt er.
Afghanisten-Experte Etienne sieht es auch so: «Karzai war in einer schwierigen Situation, aber es ist wahr, dass er sehr wenig getan hat. Es wird sich nicht viel verändern.»
Erbärmlicher Versuch
Während die Schuld bei der afghanischen Regierung liegt, haben die westlichen Länder auch viele Fragen bezüglich des erbärmlichen Wiederaufbau-Versuch zu beantworten. «Das Geld wurde nicht ganz eindeutig für die Landwirtschaft, die Bewässerung, Strassen und Elektrizität eingesetzt», fügt Etienne hinzu.
«1000 NGO (Nichtregierungs-Organisationen) haben alle möglichen Projekte durchgeführt. Amerikanische Organisationen haben afghanischen Frauen gezeigt, wie man Lippenstift aufträgt, währenddem es in Kabul keine Elektrizität gab», sagt der Experte.
Auch Stahel kritisiert die Strategie des Wiederaufbaus. «Im Landesinnern gibt es keine Strassen und keine Elektrizität, und mit den Spitälern gibt es grosse Probleme», beklagt er.
Es sei nicht alles verloren, sagte er, aber die die Dinge müssten verändert werden mit mehr Geldern für die Provinzen. Dies sei ein wichtiger Punkt beim Wiederaufbau, und die afghanische Armee müsse so umgestaltet werden, dass sie das Land beschützen und nicht nur die Taliban bekämpfen könne.
«Ein lohnender Krieg»
Die Wahlen vom Donnerstag sind auch ein Test für US-Präsident Barack Obama und seine Strategie der Eskalation des seit acht Jahren dauernden Krieges, um die jüngsten Erfolge der Taliban rückgängig zu machen.
In einer Rede bezeichnete Obama am Montag den Afghanistan-Konflikt als «einen Krieg, den es sich zu führen lohnt».
In diesem Jahr sind zusätzliche 30’000 US-Truppen nach Afghanistan entsandt worden. Damit ist die Anzahl westlicher Truppen erstmals auf über 100’000 angewachsen, darunter 62’000 Amerikaner.
Amerikanische und britische Truppen haben Grossoffensiven gestartet und dabei noch nie so grosse Verluste erlitten. Allein seit März dieses Jahres sind in Afghanistan mehr westliche Truppenangehörige getötet worden als in der ganzen Periode von 2001 bis 2004.
Während den Wahlen sichern die westlichen Truppen die Peripherie. Afghanische Truppen und Polizisten bewachen die Städte und die Wahllokale. Ein Sprecher der von der Nato geführten westlichen Truppen erklärte am Dienstag, man werde während den Wahlen keine offensiven Operationen durchführen.
Simon Bradley, swissinfo.ch
(Übertragung aus dem Englischen: Eveline Kobler)
Die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza) ist seit 1977 in Afghanistan tätig.
Seit 2004 hat sich die Schweizer Hilfe graduell verändert in ein langfristiges Programm für Entwicklung und Wiederaufbau.
Ziele der heutigen Deza-Aktivitäten sind Unterstützung zur guten Regierungsführung, Einhaltung der Menschenrechte und Verbesserung des Lebensstandards der ärmsten Bevölkerungsgruppen.
Seit 2001 hat die Schweiz jährlich 21 Mio. Franken für Entwicklungshilfe in Afghanistan aufgewendet.
Bis Ende Februar 2008 nahmen zwischen zwei und vier Offiziere der Schweizer Armee für eine vierjährige Periode an der von der Nato geführten International Assistance Force in Afghanistan teil. Seit deren Abzug konzentriert sich das Schweizer Engagement auf zivile Aktivitäten.
Die Schweiz unterstützt die Wahlen im Land mit 2 Mio. Franken und entsendet für kurze Zeit einen Wahlbeobachter.
Am 20. August finden in Afghanistan Präsidentschafts- und Provinzwahlen statt.
Favorit für die Präsidentschaftswahl ist der amtierende Präsident Hamid Karzai. Seine stärksten Herausforderer sind Abdullah Abdullah, Ramazan Bashardost und Ashraf Ghani. Wenn Karzai im ersten Wahlgang nicht über 50 Prozent der Stimmen erhält, kommt es zu einer zweiten Runde gegen den zweitplatzierten Kandidaten.
Erste Wahlergebnisse werden am 3. September bekanntgegeben, die Schlussresultate zwei Wochen später. Ein allfälliger zweiter Wahlgang würde am 1. Oktober stattfinden.
Die Unabhängige afghanische Wahlkommission schätzt die Zahl der Wahlberechtigen auf rund 15 Millionen auf eine Gesamtbevölkerung von etwa 33 Millionen.
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