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Goaliefabrik Schweiz

Keystone

Schweizer Eishockey-Torhüter sind grosse Klasse. Dieses Prädikat traf und trifft gleich auf mehrere Schweizer Goalies zu. Der frühere NHL-Goalie und heutige Wahl-Tessiner Marco Baron sieht aber auch noch Schwächen.

Schweizer Eishockey-Helden auf internationalem Parkett waren und sind fast ausschliesslich Goalies: Alfio Molina, Gérald Rigolet, David Aebischer, Martin Gerber oder Jonas Hiller.

Dahinter sind die Jungen schon in den Startlöchern, wie Tobias Stephan, Daniel Manzato, Leonardo Genoni, Lukas Flüeler oder Thomas Bäumle, der momentan verletzt ist.

Für Qualität zwischen den Pfosten stehen aber auch Routiniers wie Reto Pavoni oder Marco Bührer. Auch sie sind jederzeit gut, mit der Nationalmannschaft auf höchstem Niveau zu bestehen.

Früher Nieten, heute Top-Ahleten

Doch die Goalies Made in Switzerland haben noch ihre Schwächen, wie dem geübten Auge Marco Barons nicht verborgen blieb.

Der gebürtige Kanadier mit italienischen Wurzeln, der heute auch den Schweizer Pass besitzt, hütete das Tor diverser NHL-Teams, bevor ihn der Tessiner Traditionsklub Ambri-Piotta Mitte der 1980er-Jahre in die Schweiz holte.

«Früher schickte man die unbegabtesten Spieler ins Tor. In den USA habe ich wiederholt auch Übergewichtige als Goalies gesehen», sagt der Schweiz-Kanadier, der ebenfalls als Kommentator beim Tessiner Fernsehen engagiert ist. Inzwischen habe sich das Blatt gewendet: Die Torhüter gehörten heute zu den athletischsten Spielern im Team.

Baseball-Training!

Aus technischer Sicht sieht Experte Baron bei den Schweizer Hütern Verbesserungspotential beim Einsatz der Fanghand. Der Grund: Schweizer Kids wachsen in der Regel mit Fussballspielen auf.

«Für einen Torwart aus dem USA – dem Vaterland des Baseballs – ist hingegen der Einsatz eines Fanghandschuhs vollkommen natürlich.» Er selber habe als Kind mehrere Monate im Jahr Baseball mit diesem Handschuh gespielt.

Aber nicht nur Schweizer, auch russische Goalies zeigten diese Schwäche. Deren Stärke dagegen sei die Beinarbeit. Dafür steht beispielsweise Vladislav Tretiak, einer der besten Torhüter aller Zeiten.

Baron ist überzeugt, dass Sommer-Baseball-Camps auch für junge Schweizer Eishockey-Torhüter eine gute Schule sind.

Gefragte Exportartikel

Die Goalies sind der Schweizer Hockey-Exportschlager schlechthin. Interesse an den Schweizer Torwarten gibt es immer wieder in Nordamerika.

Als erster Hüter aus der Schweiz spielte Pauli Jaks 1993 in der NHL, wenn auch nur für einen Kurzauftritt. Seither sind ihm viele gefolgt. Zur Zeit spielen vier Goalies jenseits des grossen Teichs: Martin Gerber (Montreal Maple Leafs), Jonas Hiller (Anaheim Ducks), Tobias Stephan (Dallas Stars/Bridgeport Sound Tigers) und Daniel Manzato (Albany River Rats).

«Es gibt eine Reihe von Gründen für die hohe Qualität der Schweizer Torhüter. Der wichtigste hängt meiner Meinung nach mit dem Stil des Schweizer Eishockeys zusammen: Das Spiel ist offener und weniger defensiv als in Nordamerika», analysiert Baron. Dies führe dazu, dass die Goalies in der Schweiz viel häufiger ins Spiel eingriffen.

Grosse Verunsicherung

Diese Besonderheit kam laut Baron während des so genannten Lockout der NHL 2004/2005 besonders gut zum Ausdruck. Damals fiel die nordamerikanische Meisterschaft wegen Lohnstreits komplett ins Wasser.

«David Aebischer und Martin Gerber, die damals in der NHL spielten, kamen vorübergehend in die Schweiz zurück und hatten grosse Mühe», erinnert er sich. Wegen der offeneren Abwehr konnten sie sich nicht einfach auf die Schüsse konzentrieren, wie sie dies aus der NHL gewohnt waren. Als Folge davon liessen sie viele Pucks gefährlich abprallen.

Weiterer Vorteil ist, dass in der Schweiz Torhüter schon in jungen Jahren zu Einsätzen in der obersten Liga kommen. «Ich denke an den 21-jährigen Davoser Keeper Leonardo Genoni oder Lukas Flüeler, der mit 20 Jahren das Tor der ZSC Lions hütet.»

Laut Baron könnte man aber noch mehr zur Talentförderung machen. So liesse sich die Zahl der Mannschaften erhöhen (momentan 23 in den beiden höchsten Ligen). Oder das Höchstalter für die Goalies der zweithöchsten Liga auf 25 Jahre limitieren.

Die Besten früher, heute, morgen

Im Hinblick auf die Eishockey-Weltmeisterschaft in der Schweiz vom 24. April bis 10. Mai freut sich Marco Baron auf einen Auftritt ganz besonders: «Zwischen den Pfosten wird zweifellos Martin Brodeur vom Team Canada der Star sein. Er wird wohl alle Rekorde als Torhüter brechen.» Die lebende Goalie-Legende begehe praktisch keine Fehler, schwärmt Baron.

Und die besten Schweizer Goalies? «Mir gefällt Ronnie Rüeger von den Kloten Flyers sehr, auch wegen seiner Einstellung. Ich bewundere aber auch Gerber und Hiller, der an sein Potential glaubt.»

Unter den früheren Ausnahme-Goalies nennt Baron in erster Linie Olivier Anken (Biel) und den legendären Alfio Molina. Der Tessiner hatte als erster Schweizer Torhüter ein Angebot aus den USA erhalten.

Und die grössten Nachwuchstalente? «Es gibt eine Reihe von Talenten, darunter Damiano Ciaccio, der 20-jährige Goalie italienischen Ursprungs in den Diensten von Freiburg-Gotteron, oder Benjamin Conz, der erst 17-jährige Torhüter von Genf-Servette.»

swissinfo, Luigi Jorio
(Übertragung aus dem Italienischen: Gerhard Lob)

Geboren am 4. April 1959 in Montreal, Kanada, als Sohn italienischer Emigranten.

1979 debütiert er mit den Boston Bruins in der NHL. Danach hütet er das Tor der Los Angeles Kings und Edmonton Oilers.

1985 kommt er dank einer Verpflichtung beim Tessiner Hockeyclub Ambri Piotta in die Schweiz.

Seit Abschluss seiner aktiven Spielerkarriere arbeitet Baron als Torhüter-Trainer, Trainer von Jugendmannschaften sowie TV-Kommentator.

Bis 1970 wog die gesamte Schutzausrüstung für einen Eishockey-Torhüter 25 Kilogramm (!!), das waren zehn Kilo mehr als heute. Möglich wurde die Erleichterung dank synthetischer und resistenten Materialien, welche die schweren Stoffe und Leder abgelösten.

Die komplette Ausrüstung, ohne die kein Keeper ins Tor stehen darf, besteht aus Helm, Stock und Stockhandschuh, Fanghandschuh, Beinschoner, Nacken-, Hals- und Genitalschutz. Die Kosten für die gesamte Ausrüstung können zwischen 3000 und 18’000 Franken schwanken.

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