Grippeimpfung – der Druck wächst
Impfen oder nicht impfen? Das ist hier die Frage. Vor allem, wenn zur kalten Jahreszeit die Grippe vor der Tür steht.
Kranke Personen arbeiten nicht und verursachen Kosten. Deshalb üben die Arbeitgeber Druck aus, damit sich die Angestellten impfen lassen.
Tropfende Nasen, rote Augen, ständiges Niesen: zur kalten Jahreszeit stellen sich all diese unangenehmen Phänomene mit Regelmässigkeit ein. Aber es kann wesentlich schlimmer kommen. Wenn einen nämlich die Grippe erwischt.
Keine harmlose Krankheit
«Die Grippe ist eine auf Influenzviren zurückzuführende Krankheit, die schwerwiegende Folgen haben kann und gelegentlich sogar zum Tod führt» – dieser Satz steht am Anfang der Informationsbroschüre des Bundesamts für Gesundheit (BAG), die im Rahmen der zweiten nationalen Grippepräventionskampagne veröffentlicht wurde.
Wird hier nicht übertrieben? Das BAG ist nicht dieser Ansicht. In der Schweiz erkranken jedes Jahr zwischen 100000 und 300000 Personen an der Grippe. Für 1000 bis 5000 drängt sich die Hospitalisierung auf. Jährlich sterben – je nach Stärke der Epedemie – zwischen 400 und 1000 Personen an den Folgen der Grippeerkrankung.
Vor allem Seniorinnen und Senioren, die älter als 65 Jahre sind, sowie chronisch Kranke und Diabetiker sind dem Grippe-Risiko ausgesetzt. Doch nur jede zweite Person dieser Risikogruppe impft sich. «Da sie sich nicht ausreichend impfen, müssen wir klar machen, welche Risiken sie eingehen», sagt Werner Wunderli vom Nationalen Grippezentrum in Genf gegenüber swissinfo.
Er räumt ein, dass die nationale Kampagne vielleicht einen allzu allarmierenden Ton anschlage. Doch dies sei nötig, um die Leute wachzurütteln. Die Folgen einer Grippe werden laut Wunderli nach wie vor unterschätzt.
Unnötige Kosten vermeiden
Das Ziel der diesjährigen Kampagne ist es, insbesondere die Durchimpfung der Personen über 65 Jahre zu verbessern. Über die Notwendigkeit dieser Massnahme herrscht ein breiter Konsens. Denn die Grippeviren wirken bei einem Körper mit weniger Abwehrkräften äusserst aggressiv und können die Lebensqualität stark beeinträchtigen.
Die Kampagne hat aber auch einen ökonomischen Aspekt. Gemäss einer im Tessin erstellten Studie gibt der Kanton jedes Jahr 21 Millionen Franken aus, um die Grippe zu bekämpfen.3,5 Mio Franken sind die direkten Behandlungskosten, 17,3 Mio Franken sind indirekte Folgekosten, bedingt insbesondere durch die Abwesenheit vom Arbeitsplatz.
Der ökonomische Aspekt birgt allerdings das Problem, dass auch auf Personen, die einer Impfung skeptisch gegenüber stehen, Druck ausgeübt wird. «Man sollte niemanden zu einer Impfung zwingen, jedes Individuum ist für sich verantwortlich», sagt Wunderli.
Ansteckung vermeiden
Gleichwohl wächst der Druck, sich impfen zu lassen, auch auf Personen, die zu keiner Risikogruppe gehören. So wird das Spitalpersonal stets aufgefordert, an einer Grippeimpfung teilzunehmen.
Für den Tessiner Kantonsart Ignazio Cassis hat diese Vorbeugemassnahme vor allem den Sinn, die Ansteckung von Patienten und damit eine Ausbreitung des Grippevirus zu vermeiden. Gerade im Spital gebe es viele schwache Personen, die sich leicht anstecken könnten. Cassis kann sich sogar vorstellen, dass die Bereitschaft für eine Impfung künftig eine Voraussetzung für eine Anstellung des Pflegpersonals darstellt.
Skeptisch gibt sich die Krankenschwester Bea Weber, die seit 25 Jahren im Spital tätig ist: «Bisher hat uns noch nie jemand die Schuld für Ansteckungen in die Schuhe schieben wollen», sagt sie gegenüber swissinfo. Im Übrigen müssten dann ja auch alle Besucher, Putzleute und sonstige Personen, die im Spital ein- und ausgingen, geimpft werden. Sie hält es persönlich für besser, die Abwehrkräfte des Organismus zu stärken: «Durch weniger Stress am Arbeitsplatz zum Beispiel.»
Bei den Gewerkschaften ist man sich des Problems bewusst. Denn generell herrscht Druck auf Angestellte, nicht aus Krankheitsgründen der Arbeit fern zu bleiben. Laut GBI-Sekretär Saverio Lurati wissen sich die Angestellten aber noch gegen den Druck zu wehren. Das Problem könnte in Anbetracht der Rezession aber virulenter werden.
Der Arzt Werner Wunderli hält es jedenfalls für wenig opportun, Angestellte zur Impfung zu zwingen: «Äusserer Druck ist in diesem Fall kontraproduktiv. Die Bevölkerung muss aufgeklärt werden, damit jeder Einzelne eine Entscheidung nach seinem Gewissen treffen kann.»
swissinfo, Doris Lucini
(aus dem Italienischen: Gerhard Lob)
Jährlich erkranken in der Schweiz zwischen 100’000 und 300’000 Personen an Grippe
In 1000 bis 3000 Fällen werden die Erkrankten hospitalisiert
In 400 bis 1000 Fällen führen Folgen der Krankheit zum Tod
Das Bundesamt für Gesundheit hat eine Grippe-Präventionskampagne lanciert. Alle Personen, für die eine Grippeerkrankung schwerwiegende gesundheitliche oder ökonomische Folgen haben könnte, werden aufgefordert, sich impfen zulassen. Eine wirksame Impfung muss zwischen Mitte Oktober und Mitte November erfolgen und jedes Jahr wiederholt werden.
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