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Guantánamo schleicht sich in die Schweizer Politik

Kein Schweizer Polizist ging nach Guantánamo - Bern überliess die Arbeit den USA. Keystone Archive

Die Schweizer Bundesanwaltschaft unterhielt Kontakte zum US-Gefangenenlager in Guantánamo. Obwohl die Schweiz das Lager als Verletzung der Genfer Konvention bezeichnet.

Die Kontakte haben in der Schweiz eine Polemik ausgelöst. Das Thema wird auch in der Frühjahrssession der Eidgenössischen Räte, die am 5. März beginnt, zur Sprache kommen.

Die Geschichte hätte allerdings nicht erst heute, sondern schon vor mehreren Monaten platzen sollen. Denn am 24. März 2006 reichte Nationalrat Alexander Baumann von der Schweizerischen Volkspartei (SVP) eine Interpellation ein, in der er von Versuchen der Staatsanwaltschaft sprach, zu Informationen aus Guantánamo zu kommen, die «nicht mit dem Schweizer Recht in Einklang stünden».

Baumann ging es damals vor allem um die Tätigkeit des damaligen Bundesanwaltes Valentin Roschacher, dessen Tätigkeit unter Beschuss geriet und der in der Folge zurücktrat.

Am 29. September bestätigte die Regierung, dass die Bundesanwaltschaft die Amerikaner in Guantánamo um Auskunft angegangen hatte.

Bern gelangt ans FBI

Das FBI erhielt von Bern Namenslisten und Fotos. Mit der Vorlage der Fotos sollte herausgefunden werden, ob in der Schweiz angeschuldigte Personen den Inhaftierten auf Guantánamo bekannt waren oder ob diese Personen in der Nähe oder in den Trainingslagern in Afghanistan gesehen worden seien.

An der Session des Parlamentes im vergangenen Herbst in Flims reagierte niemand. Doch die Geschäftsprüfungs-Delegation der Eidgenössischen Räte nahm die Angelegenheit wieder auf. In ihrem Bericht 2006 widmete sie der Zusammenarbeit zwischen Bundesanwaltschaft und FBI eine ganze Seite.

Da ist zu lesen, dass die Anfrage «auf dem Weg der Zusammenarbeit mit den internationalen Polizeistellen» erfolgte und dass die Kommission «befriedigt von der Antwort» war. Weiter steht da, dass «keine weiteren Massnahmen getroffen wurden.»

Der «Folterskandal»

Am 29. Januar dann griff die Boulevardzeitung «Blick» die Sache auf und zeigte was hinter dem Wort «Folterskandal» im Bericht der Kommission auf Seite 109 verborgen sei. Daraufhin wurden Menschenrechtskreise, Politiker und andere Medien auf die Sache aufmerksam.

So wurde in etlichen Medien die Frage aufgeworfen, wie denn die Schweiz, die keine Gelegenheit versäume, ihre Sorge über den mangelnden Respekt vor den Genfer Konventionen zum Ausdruck zu bringen, dazu komme, ausgerechnet Auskünfte in Guantánamo zu verlangen. Jeder wisse doch, wie dort die Menschenrechte gehandhabt würden.

«So nicht»

«Das ist schlicht unannehmbar», sagt Daniel Bolomey, Generalsekretär der Schweizer Sektion von Amnesty International. Einerseits würden die Methoden der Amerikaner im Gefangenenlager kritisiert und andererseits sei man bereit, diesen Ort der Unrechtsstaatlichkeit um Auskünfte über Verdächtige in der Schweiz zu bitten.

Amnesty habe nichts gegen eine Polizeiarbeit, die versuche Terrornetze zu zerschlagen. Aber nicht auf diese Art und Weise. Komme dazu, dass mögliche Beweise aus Guantánamo vor einem Schweizer Gericht «eh nicht Bestand haben dürften».

Daniel Bolomey ist nicht der erste, der auf diesen Widerspruch hinweist. Schon nach den Enthüllungen über geheime Flüge der CIA über der Schweiz, sagte der Schweizer Europarat-Ermittler Dick Marty, dass «ausserhalb der Rechtsgrundlagen gesammelte Personendaten keine rechtliche Beweiskraft haben».

Die Zweifel an der Kommission

Der liberale Nationalrat Jacques-Simon Eggly spricht von der «Kluft von Anspruch und Wirklichkeit». Eggly findet den Informationsaustausch im Kampf gegen den Terrorismus richtig, doch würde der Zweck die Mittel nicht immer rechtfertigen.

«Wir sollten die Grenzen, welche das Recht setzt, respektieren», sagt Eggly, der es vorzöge, wenn die Schweiz «die Finger von Guantánamo lässt, da sie sich da in den Dunstkreis der Unrechtsstaatlichkeit begibt.»

Und wie Daniel Bolomey meint auch Jacques-Simon Eggly, dass sich die Geschäftsprüfungs-Delegation zur Sache äussern soll. Für Bolomey ist auch die Tatsache «unannehmbar», dass die Kommission die Erklärungen der Behörden akzeptiert hat und zur Tagesordnung übergegangen ist.

Wiedersehen im Parlament

Ein Schlagabtausch ist programmiert für die Frühjahrssession der Eidgenössischen Räte, die am 5. März beginnt. Ebenso wird sich der Nationalrat noch einmal mit der Interpellation Baumann befassen müssen. Mit einer ersten Antwort war der Interpellant nicht zufrieden.

Überdies soll das Parlament auch einen neuen Kooperationsvertrag mit Washington ratifizieren, in der es um die strafrechtliche Verfolgung terroristischer Aktivitäten geht.

Der Sozialdemokrat Carlo Sommaruga, Mitglied der Rechtskommission des Nationalrates, hat bereits angekündigt, dass dieses Abkommen aufgeschoben werden müsse. «Weil die USA weder die Genfer Konvention noch die Konvention gegen die Folter anerkenne».

swissinfo, Marc-André Miserez
(Übertragung aus dem Französischen: Urs Maurer

Die Kontakte der Schweizer Bundesanwaltschaft mit dem US-Gefangenenlager Guantánamo erfolgte im Zusammenhang mit einer Strafuntersuchung gegen fünf Jemeniten, einen Somalier und einen Iraker.

Gegen diese läuft zur Zeit ein Prozess vor dem Bundesstrafgericht in Lugano. Sie werden namentlich «der Verbindung zu terroristischen Organisationen» beschuldigt.

Bei den Kontakten der Schweizer Bundesanwaltschaft mit dem US-Gefangenenlager Guantánamo sei alles mit rechten Dingen zugegangen. Dies stellte der Bundesrat am Mittwoch fest. Er wurde durch Justizminister Christoph Blocher über das Thema informiert.

Die Vorlage von Fotos ergaben zudem keine Indizien, die weiterverfolgt werden konnten, sagte Bundesratssprecher Oswald Sigg vor den Medien.

Weder die Geschäftsprüfungs-Delegation noch das Bundesstrafgericht als fachliche Aufsichtsbehörden über die Bundesanwaltschaft hätten bei den US-Kontakten Gesetzesverletzungen festgestellt.

Die Bundesanwaltschaft sei nie in direktem Kontakt mit Guantánamo gestanden, sagte Sigg weiter.

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