«Gül trägt zur Integration der Türken bei»
Die Wahl Abdullah Güls zum neuen türkischen Präsidenten wird von den Türkinnen und Türken in der Schweiz im Allgemeinen begrüsst.
Gemäss Schweizer Beobachtern ist es mit der neuen Regierung eher möglich, über Tabuthemen wie die Armenier-Frage hinwegzukommen.
«Mit dieser Wahl wird das Image der Türkei und der Türken in Europa und in der Schweiz aufgewertet», sagt Kahraman Tunaboylu, der Präsident der türkischen Gemeinschaft Schweiz, gegenüber swissinfo.
Dies zeigten auch die ersten Reaktionen in den hiesigen Medien. «Die Wahl hilft, die Akzeptanz und Integration der Türken in der Schweiz zu verbessern.»
«Die Wahl Güls ist ein Schritt näher an Europa», sagt Werner van Gent, Korrespondent von Schweizer Radio DRS. Der EU-Befürworter Gül sei demokratisch gewählt und habe die Vision, dass islamisch-konservatives Denken und Demokratie vereinbar ist. «Ich denke, dass dies für die Türkinnen und Türken in Europa positive Auswirkungen hat», sagt van Gent gegenüber swissinfo.
Tunaboylu glaubt auch, dass Gül als pragmatischer Politiker und Befürworter der liberalen Marktwirtschaft die schweizerisch-türkischen Beziehungen positiv beeinflussen werde.
Armenier-Frage als Stolperstein
In den letzten Jahren stand es mit den schweizerisch-türkischen Beziehungen nicht immer zum Besten.
Unstimmigkeiten entstanden zwischen der Schweiz und der Türkei vor allem wegen der Armenier-Frage. Im Jahr 2003 entschied das Waadtländer Kantonsparlament, den Mord an den Armeniern zu Beginn des 20. Jahrhunderts als Genozid anzuerkennen.
In der Folge hatte Ankara eine Einladung an die Schweizer Aussenministerin Micheline Calmy-Rey zurückgezogen. Der Arbeitsbesuch fand dann schliesslich im März 2005 trotzdem noch statt.
Für Missstimmung sorgten auch die Ermittlungen in der Schweiz gegen den türkischen Historiker Yusuf Halacoglu, der 2004 bei einer Rede den Völkermord an den Armeniern verharmlost und damit das Anti-Rassismus-Gesetz verletzt haben soll.
Jüngster Fall des Zwists
Der jüngste Fall des Zwists zwischen den beiden Ländern ist der Fall Dogu Perinçek. Perinçek wurde wegen der Leugnung des Genozids an den Armeniern vor Gericht zur Rechenschaft gezogen.
Obwohl sich Gül in der Armenier-Frage als Aussenminister sehr zurückhaltend gezeigt habe, glaubt van Gent, dass es mit der neuen Regierung eher möglich sei, über diese Tabuthemen hinwegzukommen. «Gül weiss, dass die Armenier- und Kurdenfrage der Türkei den Weg nach Europa nur versperrt», sagt van Gent.
Das EDA hat Abdullah Gül zu seiner Wahl gratuliert. Es will die Wahl jedoch nicht weiter kommentieren. Die Beziehungen zwischen der Schweiz und der Türkei seien heute gut und solid, heisst es im EDA.
swissinfo, Corinne Buchser
In der Schweiz leben rund 80’000 Personen aus der Türkei.
1500 Schweizerinnen und Schweizer leben in der Türkei.
Am 28. August hat das türkische Parlament Aussenminister Abdullah Gül zum neuen Staatsoberhaupt gewählt.
Der 56-Jährige ist damit der erste Präsident aus dem religiösen Lager. Er wurde sofort vereidigt und trat sein Amt an.
Das Mitglied der islamisch-konservativen AK-Partei von Regierungschef Recep Tayyip Erdogan wird damit Nachfolger von Ahmet Necdet Sezer.
Der Armee, die Güls Wahl kritisch sieht, versprach der neue Präsident weiterhin grosse Macht.
Laut Angaben des Staatssekretariats für Wirtschaft (seco) exportierte die Schweiz im Jahr 2005 Waren im Wert von 4,9 Mrd. Franken in die Türkei.
Im Gegenzug exportierte die Türkei im selben Jahr Güter im Umfang von 707 Mio. Franken in die Schweiz.
Für die Türkei ist die Schweiz der achtwichtigste Importeur.
Das Wachstumspotenzial in der Türkei, die über 70 Mio. Einwohner zählt, ist gross. So ist etwa das Bruttoinlandprodukt (BIP) pro Kopf zwischen 2003 und 2006 von 3400 Dollar pro auf 5400 Dollar gestiegen.
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