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Hässliche Schweiz: Die Suche nach dem Gleichgewicht zwischen Verdichtung und Kulturerbe

Häuserfassade
Keystone / Ennio Leanza

In der Schweiz wird die Hässlichkeit bestimmter Städte oder Gebäude selten frontal angesprochen. Aber der Kampf, dass weniger hässlich gebaut wird, beschäftigt die lokalen Behörden und Raumplaner:innen.

In Frankreich hat die Regierung beschlossen, “France moche” (das hässliche Frankreich) zu bekämpfen, indem sie jedes Jahr einen Wettbewerb veranstaltet. In Belgien sammelt und zeigt ein Instagram-Account “hässliche belgische Häuser”.

In ganz Europa werden Landschaften verwüstet, oft durch die Ausweitung von Siedlungen.

In der Schweiz wird das Thema mit einigen wenigen Ausnahmen diskreter angegangen. Zu diesen gehört ein Wettbewerb um das hässlichste Haus, der 2018 von der Zeitung 20 MinutenExterner Link ausgerufen wurde und schliesslich ein Hochhaus in Zürich krönte.

Das erste Gebäude aus der Romandie, ein Mehrfamilienhaus in Renens (VD), lag auf dem achten Platz.

Ein Betonbau mit Satteldach und roten Läden.
Das Gebäude in Renens, das 2018 in die Liste der hässlichsten Häuser der Schweiz aufgenommen wurde. RTS

Als das Gebäude errichtet wurde, wurde es von der Architekturszene so sehr bejubelt wie es von der Bevölkerung des Viertels bekämpft wurde.

Für den Architekten und Kunsthistoriker Marc Frochaux, Chefredakteur der Zeitschrift Tracés, wäre es jedoch zu kurz gegriffen, das Projekt mit dem Hinweis auf “Geschmack und Farben” zu relativieren.

Die Schönheitsnormen ändern sich

Denn heute ist es zwar mehr oder weniger ein Konsens, dass der graue Beton von Fabriken, Autobahnen und Parkplätzen hässlich ist und dass die gepflasterten Strassen alter Städte schön sind, aber über den Rest ist sich niemand einig und niemand will die Verantwortung übernehmen, mit dem Finger auf ästhetische Fehltritte zu zeigen.

Der Turm in einer Luftaufnahme der Stadt.
Der Bel-Air-Turm in Lausanne. RTS

Es gab jedoch eine Zeit, in der man sich weniger Fragen stellte. Im Jahr 1906 nannte sich der Vorläufer des Schweizer Heimatschutzes (in der Westschweiz) noch “Liga für Schönheit” und war sich nicht zu schade, auf gute und schlechte Beispiele hinzuweisen.

Doch der Ansatz hält dem Test der Zeit nur schwer stand, da sich die Schönheitsnormen ändern.

So wehrte sich die “Liga für Schönheit” 1931 gegen den Bau des Bel-Air-Turms in Lausanne. Heute lobt ihn der Schweizer Heimatschutz.

Und andere Gebäude in der Romandie, die für Polemik sorgten, wie die grossen Wohnsiedlungen Les Avanchets und Le Lignon in Genf, das Kongresshaus in Biel oder der Place Chauderon in Lausanne, werden heute als Zeugen ihrer Zeit geschützt.

Kann man ästhetisch verdichten?

Die Schönheit der bestehenden Gebäude wird durch ein neues Problem bedroht: die Verdichtung. Seit zehn Jahren ist es gesetzlich vorgeschrieben, innerhalb von Städten und Dörfern zu bauen, was den Gemeinden Kopfzerbrechen bereitet, da sie gezwungen sind, neue Gebäude auf immer engerem Raum anzuordnen.

Diese Herausforderungen sind Raumplaner:innen geläufig, und die Frage stand auch im Mittelpunkt eines Seminars, das der Verein “EspaceSuisse” im Mai im Schloss Monthey (VS) mit Gemeindevertreter:innen aus der ganzen Westschweiz veranstaltete.

Für “EspaceSuisse” ist Monthey in dieser Hinsicht ein Vorbild. Zu den Erfolgen gehört der Parc de la Maison Blanche, wo die Behörden beschlossen haben, eine Grünfläche im Herzen der Stadt zu erhalten.

Sie haben sich auch dafür entschieden, Fusswege neu zu gestalten, den Verkehr einzuschränken und einige Strassen zu begrünen.

Die Natur als sicherer Hafen

Cynthia Roulin, Leiterin des Stadtplanungsamts in Aigle (VD), möchte sich von diesem Beispiel inspirieren lassen und ihre eigene Stadt verschönern, indem sie ein echtes Kulturerbe des 21. Jahrhunderts errichtet.

Im Mittelpunkt des Projekts steht die Neugestaltung des Marktplatzes, der bislang als Parkplatz genutzt wurde.

Ein Platz, Visualisierung
Das (unverwirklichte) Projekt zur Neugestaltung des Marktplatzes in Aigle. DR

Eine erste Version schlug vor, eine Fussgängerzone mit Wasserflächen zu schaffen und über 40 Bäume zu pflanzen.

Die Bevölkerung lehnte diesen Vorschlag jedoch im April ab, da sie die Kosten (10 Millionen Franken) für zu hoch hielt und sich gegen den Abbau von Parkplätzen stellte. Die Stadt muss also ein anderes, billigeres Projekt vorschlagen.

In der Schweiz gibt es viele “hässliche” Gebäude, von heruntergekommenen Häusern bis hin zu veralteten Wohnblocks aus den 1960er-Jahren. Manchmal stehen sie in Gegenden, in denen es sich trotz allem gut leben lässt.

Aber der Kampf um die Verschönerung der Schweiz geht weiter. Und auch wenn wir uns nie auf eine allgemeingültige Definition von schön oder hässlich einigen werden, gibt es immer noch unsere natürlichen Landschaften, auf deren Schönheit sich alle verständigt haben.

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