«Händewaschen – Alternative ohne Nebenwirkungen»
Sich gegen die Schweinegrippe impfen oder nicht impfen, das ist im Moment für viele Schweizerinnen und Schweizer die Frage. Die Kontroverse ums Impfen hält an: Gegner kritisieren auch die neuesten Empfehlungen des Bundesamtes für Gesundheit.
Eine Durchimpfung der gesamten Bevölkerung gegen die Schweinegrippe ist derzeit nicht notwendig, sagt die Eidgenössische Kommission für Impffragen (EKIF).
Geimpft werden sollen prioritär Risikogruppen sowie Personen, die Kontakt zu besonders gefährdeten Menschen haben.
Dazu gehören unter anderem Personen mit Gesundheitsberufen und solche, die Säuglinge betreuen, Schwangere oder Frauen nach der Geburt.
Weiter sollen Kinder ab sechs Monaten und Erwachsene bis 64 Jahren mit chronischen Herz- und Lungen- oder Stoffwechselkrankheiten geimpft werden.
Laut Bundesamt für Gesundheit (BAG) fallen in der Schweiz zwischen 1,2 bis 2 Millionen Menschen in diese Risikogruppen.
«Schädlicher Einfluss»
Davon halten die Impfgegner jedoch nichts. Sie zweifeln nicht nur an der Wirksamkeit der Schweinegrippe-Impfung, sondern warnen auch vor Nebenwirkungen, die bis hin zu Lähmungen führen können.
«Jede Impfung ist ein schädlicher Einfluss», heisst es auf der Website der Vereinigung Aegis (Aktives Eigenes Gesundes Immunsystem).
«Die Tatsache, dass geimpfte Menschen genauso erkranken wie ungeimpfte – egal bei welcher Impfung – zeigt, dass Impfungen nicht schützen», sagt die Aegis-Exponentin Anita Petek-Dimmer gegenüber swissinfo.ch. Die alljährliche Grippeimpfung sei sehr stark in die Kritik geraten, weil sie nur eine Wirksamkeit zwischen 10 bis 30 Prozent aufweise.
Das Robert-Koch-Institut des deutschen Bundesministeriums für Gesundheit habe zugeben müssen, dass es bisher keine neutrale Studie oder Untersuchung zu Wirksamkeit und Schutz einer Impfung gebe.
«Verantwortungsloses Handeln»
Die Vereinigung kritisiert denn auch die jüngsten Empfehlungen der Impf-Kommission. «Immer wieder heisst es, dass nur gesunde Menschen geimpft werden dürfen. Wenn man einen kranken oder sogar schwer kranken Menschen impft, so steigt das Risiko, dass er schwerwiegende Komplikationen und Folgen dieser Impfung zeigen wird», sagt Petek-Dimmer.
Auf Risiken der Impfung etwa für Schwangere angesprochen, sagte Virginie Masserey, Chefin der Sektion Impfungen beim Bundesamt für Gesundheit (BAG) jüngst an einer Pressekonferenz, es gebe keine Hinweise, dass besondere Risiken bestünden.
«Wer von einer Impfung abrät, handelt verantwortungslos», sagte Hans Binz, Vizepräsident der Impfkommission, gegenüber dem Tages-Anzeiger. Laut Binz ist das Risiko einer Nebenwirkung um ein Tausendfaches geringer als die Gefahr, ernsthaft an der Schweinegrippe zu erkranken.
Zahlreiche offene Fragen
Die Resultate der klinischen Tests zur Schweinegrippe-Impfung liegen laut der Weltgesundheits-Organisation (WHO) gegen Mitte September vor. Bis dahin bleiben zahlreiche Fragen zur Impfung offen, wie WHO-Sprecher Gregory Hartl zur Entwicklung der Impfung am Dienstag in Genf sagte.
«Wir wissen nicht, ob eine Dosis ausreicht und wie stark der Impfstoff dosiert sein muss. Damit ist auch unklar, wie grosse Quantitäten in Bälde zur Verfügung stehen werden.»
Klinische Tests sind laut Hartl derzeit in Grossbritannien, Deutschland, Australien, China und den USA im Gang. Sobald die ersten Testresultate da seien, werde die Impfung den Gesundheitsbehörden vorgelegt. Mittels grösserer Tests werde anschliessend abgeklärt, ob die Impfung Nebenwirkungen verursache.
Investition «sinnlos»
Das BAG, das bis im Herbst mit rund 2 Millionen Schweinegrippe-Kranken rechnet, hat jedenfalls schon mal für 84 Mio. Franken 13 Mio. Impfdosen beordert – genug Impfstoff für die ganze Schweizer Bevölkerung.
Petek-Dimmer hält diese Investition für «sinnlos»: «Wenn das BAG eine Impfung für viele Millionen einkauft, aber gleichzeitig mitteilt, dass Händewaschen mit Seife und ‹hygienisches Husten› eine Alternative zur Impfung sind, dann fragt man sich, warum man überhaupt Impfstoffe eingekauft hat.»
Sie nehme an, dass in jedem Schweizer Haushalt mindestens ein Stück Seife vorhanden sei. «Beim Händewaschen dürften ausser Sauberkeit keine Nebenwirkungen auftreten.»
Mit Händewaschen lässt sich jedoch kaum Geld verdienen. Von der Schweinegrippe profitiert nicht nur die Forschung, sondern auch die Industrie. So konnte etwa der Basler Pharma-Riese Roche den Umsatz mit dem Grippemittel Tamiflu im 1. Halbjahr 2009 auf rund 1 Mrd. Franken verdreifachen.
Nur 27 Prozent bereit
Sobald genügend Impfstoff vorhanden ist, wird von der Impf-Kommission die Impfung aller Personen empfohlen, die sich und ihre Umgebung gegen die Schweinegrippe schützen wollen. Die Behörden rechnen damit, dass ab Oktober geimpft werden kann. Binz strebt eine Durchimpfungsrate von 95 Prozent an.
Laut einer BAG-Umfrage waren Ende Juni trotz allgemeiner Verunsicherung lediglich 27 Prozent der Befragten bereit, sich impfen zu lassen, sobald ein wirksamer Impfstoff vorliegt und von den Behörden empfohlen wird.
Corinne Buchser und Geraldo Hoffmann, swissinfo.ch
Die Krankheit verläuft weiterhin in den meisten Fällen relativ harmlos, wie Patrick Mathys, Chef der Sektion Pandemievorsorge beim Bundesamt für Gesundheit (BAG), sagte.
Bei der Zahl der erwarteten Ansteckungen geht das BAG weiter von bis zu zwei Millionen Menschen in der Schweiz aus.
Das werde rund 400’000 zusätzliche Arztbesuche zur Folge haben, was die medizinischen Grundversorger vor Probleme stellen könne, sagte Mathys.
Seit Anfang Juli mussten laut BAG insgesamt elf Patienten ins Spital, und bei vier Personen traten Komplikationen auf.
Die Eidgenössische Kommission für Impffragen (EKIF) schätzt, dass bei zwei Prozent der Angehörigen von Risikogruppen nach einer Ansteckung Komplikationen auftreten und einer bis zehn von 10’000 Patienten sterben.
Bei anderen Personen ist die Gefahr, an den Folgen der Schweinegrippe zu sterben, zehn Mal geringer.
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