Hamas-Sieg dank Wahlversprechungen
Laut einem Schweizer Experten hat Hamas die palästinensischen Wähler mit Versprechungen für verbesserte Lebensbedingungen für sich gewonnen.
Doch nach Ansicht von Victor Kocher wird der Hamas-Wahlsieg nicht grosse Veränderungen für die vom Nahost-Konflikt betroffenen Menschen bringen.
Palästinenser-Präsident Mahmoud Abbas wird Hamas mit der Bildung einer neuen Regierung beauftragen, nachdem er die Wahlniederlage seiner Fatah Partei eingestanden hat.
Der palästinensische Regierungschef Ahmed Korei und seine Kabinettsminister traten am Donnerstag bereits vor Bekanntgabe der offiziellen Wahlresultate zurück.
Victor Kocher, Nahost-Korrespondent der Neuen Zürcher Zeitung, meint, dass Hamas ihre Waffen nicht niederlegt; doch könnte die radikalislamische Partei in eine «politische Partnerschaft» mit ihren Gegnern einwilligen.
swissinfo: Entgegen den Voraussagen hat die Hamas einen klaren Sieg errungen. Sind Sie überrascht über dieses Ergebnis?
Victor Kocher: Ja, denn ich erwartete, dass die palästinensischen Wähler konservativer wären und für die existierende Regierung stimmen würden. Aber es ist verständlich, dass sie von der misslichen Situation, in der sie sich seit Jahren befinden, genug haben. Die Fatah muss nun die Konsequenzen tragen. Die Leute wählten einfach die Gruppierung, die ihnen eine Veränderung versprach, und das war die Hamas.
swissinfo: Aber kann denn die Hamas diese Veränderung bieten und gleichzeitig als Teil einer palästinensischen Regierung arbeiten?
V.K.: Die Hamas hat betont, dass sie eine neue politische Partnerschaft schaffen wolle. Diese muss alle Gruppen der Gesellschaft zufrieden stellen und auf einer konsens-orientierten nationalen Strategie basieren. Damit wollen sie wohl sagen, dass es nicht nur um eine Machtübernahme der Hamas geht, sondern um eine Öffnung zu politischem Pluralismus.
swissinfo: Aber wie kann eine politische Partnerschaft aussehen, wenn die Fatah es ablehnt, mit der Hamas eine Regierung zu bilden?
V.K.: Die Fatah hat klar gemacht, dass sie sich nicht an der nächsten Regierung beteiligen werden, aber warten wir’s ab. Der Aufruf zu einer politischen Partnerschaft ist eine Möglichkeit, die Karten verdeckt zu halten und nicht gleich in den ersten Stunden auf den Tisch zu legen, besonders angesichts der Tatsache, dass die Israelis, die Amerikaner und die Europäer darauf bestehen, nicht mit einer palästinensischen Regierung zusammen zu arbeiten, an der die Hamas beteiligt ist.
swissinfo: Haben die Amerikaner und die Europäer die Situation nun erschwert, indem sie sich bereits vor der Wahl gegen die Hamas ausgesprochen haben?
V.K.: Ja, ich glaube, dass diese internationalen Äusserungen kontraproduktiv wirken und die Glaubwürdigkeit der Hamas unterlaufen, die die Welt mit einem Programm herausfordert, das auf Befreiung und Islam basiert.
swissinfo: Wie schätzen Sie die Chance ein, dass Hamas der Gewalt abschwört?
V.K.: Ich glaube nicht, dass die Hamas ihre Waffen niederlegen wird, auch wenn sie in letzter Zeit einen gewissen Pragmatismus gezeigt hat. Sie könnten ihre Angriffe gegen unbewaffnete Zivilpersonen einstellen – im Fall von Hamas sind das Selbstmordanschläge auf Supermärkte, Busse und Restaurants in Israel. In der Vergangenheit hat die Hamas diese Art von Anschlägen gestoppt und sich auf militärische Ziele Israels beschränkt.
Würde die Hamas mit einem klaren Statement in diese Richtung gehen, würde sie ihre Glaubwürdigkeit verbessern, und ich würde Probleme für die Europäer und Amerikaner sehen, sollten sie künftig mehr von der Hamas verlangen.
swissinfo: Wie steht es mit der Chance um eine Dialog-Bereitschaft Israels mit der Hamas, wenn diese die Regierung führt?
V.K.: Ich glaube leider, dass wir, was Israel betrifft, an einem Tiefpunkt sind. Vergessen wir nicht, dass es unter Abbas keine bedeutenden Verhandlungen über ein Friedensabkommen gab.
Wenn also Israel mit einer Hamas-Regierung nicht redet, würde es im Vergleich zu heute keine grössere Änderung geben.
swissinfo-Interview: Ramsey Zarifeh
Die Schweiz befürwortet, dass alle politischen Parteien in den palästinensischen Gebieten in den Friedensprozess einbezogen werden. Dies gemäss internationalem Recht und dem Osloer Friedensabkommen.
Hamas ist in der Schweiz nicht verboten. Einzig die Terror-Organisation Al Kaida von Osama bin Laden ist von der Schweizer Regierung verboten.
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