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Hat die Regierung im Landesinteresse gehandelt?

Für Dick Marty liegt es auf der Hand, dass die USA in der Aktenvernichtungs-Affäre die Finger im Spiel hatten. Reuters

Ständerat Dick Marty, der im Auftrag des Europarats die illegalen Aktivitäten der CIA untersucht hatte, ist überzeugt, dass bei der Aktenvernichtung in der Atomschmuggel-Affäre Druck aus den USA im Spiel war.

Am Wochenende sind Samuel Schmid und Christoph Blocher in den Ring gestiegen, um die Vorwürfe zurückzuweisen, die Schweiz habe bei der Vernichtung der sensiblen Dokumente auf Geheiss der USA gehandelt.

Der Verteidigungsminister und der ehemalige Justizminister haben sich damit zu einer These geäussert, welche die Regierung an der Medienkonferenz vom 23. Mai nicht kommentiert hatte.

Aber Senator Dick Marty von der Freisinnig-Demokratischen Partei (FDP), Präsident der Aussenpolitischen Kommission der Kleinen Kammer und Autor eines Berichts über geheime Gefängnisse der CIA in Europa, der 2006 aufhorchen liess, zeigt sich sehr kritisch gegenüber dem Verhalten der Regierung in dieser Affäre.

Für ihn war der Eingriff der Landesregierung in ein juristisches Verfahren nicht korrekt, jedenfalls nicht ohne vorhergehende Rücksprache mit dem Bundesgericht.

swissinfo: Samuel Schmid und Christoph Blocher haben beide das Interesse des Landes in den Vorgrund gerückt und einige Fachleute sind der Meinung, die Regierung habe gute Gründe gehabt, so zu handeln. Verliert die These vom amerikanischen Druck nicht an Überzeugung?

Dick Marty: Es ist einfach zu sagen, man habe im Interesse des Landes gehandelt, zu einem Zeitpunkt, in dem niemand in der Lage ist zu prüfen, ob dies stimmt. In dieser Affäre hätte man das Bundesgericht einbeziehen müssen, das der Geheimhaltung genau gleich verpflichtet ist wie die Landesregierung und die Eidgenössischen Beamten des Innenministers.

So hätte man wenigstens die Gewissheit gehabt, dass eine unabhängige Institution die Vernichtung der Dokumente gefordert hatte. Während des Verfahrens haben sich diese Dokumente in den Händen von Privaten befunden. Es scheint mir deshalb naiv zu glauben, dass nur eine einzige Version der Dokumente existiere.

swissinfo: Bundespräsident Pascal Couchepin hatte erklärt, die Regierung habe die internationalen Verpflichtungen zur Nicht-Verbreitung von Kernwaffen eingehalten. Ist das glaubwürdig für Sie?

D.M.: Meines Wissens hat die Internationale Atomenergie-Behörde (IAEA) die Vernichtung der Dokumente nicht verlangt. Man hätte die Verbreitung der Dokumente durch Versiegelung oder Aufbewahrung an einem sicheren Ort verhindern können, ohne den internationalen Vertrag zu verletzen.

Das wäre jedenfalls besser gewesen, um im Strafverfahren bei Bedarf auf die Dokumente zurückgreifen zu können. Die Vernichtung hingegen ist irreversibel. Sie kann den Erfolg des Strafverfahrens verhindern.

swissinfo: Die Gewaltentrennung ist also in dieser Affäre verletzt worden?

D.M.: Das scheint mir offensichtlich zu sein. Die Regierung hat die Kompetenz einzugreifen, wenn die existenziellen Interessen des Landes auf dem Spiel stehen, aber diese Interessen hätten auf korrekte und effiziente Art gewahrt werden können, wenn man beim Entscheid (die Dokumente zu vernichten), das Bundesgericht beigezogen hätte. Ausserdem ist das Bundesgericht die übergeordnete Instanz des Innenministeriums.

swissinfo: Geri Müller, ein Abgeordneter der Grünen Partei, hat im Zusammenhang mit dieser Affäre gesagt, dass sie etwas anderes vertusche, zum Beispiel Verträge mit den USA, die mit der Neutralität unvereinbar wären. Sind Sie auch dieser Meinung?

D.M.: Das weiss ich nicht. Aber es scheint mir wahrscheinlich zu sein, dass die amerikanische Administration Druck ausgeübt hatte. Für mich ist es sogar die einzige glaubwürdige Version. Sonst ist für mich der Eifer unerklärlich, mit dem die Dokumente vernichtet wurden; dass man sogar vergessen hat, das Bundesgericht einzubeziehen – ein Zeichen, dass der Druck auf die Schweizer Behörden gross war.

Was allfällige Verträge mit den USA betrifft, wird das Geheimnis gut gehütet. Alles was ich feststellen konnte, dass es im Rahmen der Bekämpfung des Terrorismus unter der Führung der NATO mit fast allen europäischen Staaten Abkommen gab. Man weiss, dass diese Abkommen auch von Ländern unterzeichnet wurden, die nicht Mitglied des Nordatlantik-Pakts aber Mitglied des Abkommens «Partnerschaft für Frieden» sind. Laut den Behörden hat die Schweiz keines von beiden unterzeichnet, aber niemand weiss etwas davon.

swissinfo: Sie haben dem ehemaligen Justizminister Christoph Blocher vorgeworfen, er habe dieses Dossier mit wenig Rücksicht auf die demokratischen Institutionen behandelt. Aber das Departement für auswärtige Angelegenheiten EDA wurde bei der Aktion auch konsultiert, und der Entscheid fiel im Kollegium…

D.M.: Ich will keine Punkte verteilen. Für mich hat die Landesregierung entschieden, aber auf Antrag des Justizministers, der kurze Zeit vorher in Washington war…

swissinfo: Die Geschäftsprüfungsdelegation (GPD) hat einen Bericht für kommenden Herbst in Aussicht gestellt. Was erwarten Sie davon?

D.M.: Es ist zu früh, dazu etwas zu sagen. Ich stelle einzig fest, dass Herr Couchepin gesagt hat, die Delegation sei auf dem Laufenden gewesen, während die Mitglieder dieser Delegation öffentlich erklärten, sie seien erst nach der Aktenvernichtung informiert worden. Dieser Punkt scheint mir sehr beunruhigend zu sein.

swissinfo, Interview: Carole Wälti
(Übertragung aus dem Französischen: Peter Siegenthaler)

Die Dokumente, die im Auftrag des Bundesrats vernichtet wurden, stehen im Zusammenhang mit einer Affäre, bei der es um den Schmuggel von Nukleartechnologie für Libyen geht.

Am 23. Mai hatte der Bundesrat die Vernichtung damit rechtfertigt, dass die Akten ein Risiko für die Sicherheit der Schweiz darstellten.

In das Strafverfahren um den Atomschmuggel verwickelt sind auch drei Schweizer: Die zwei Ingenieure Urs und Marco Tinner sitzen seit mehreren Jahren in Untersuchungshaft.

Urs Tinner wurde im Oktober 2004 in Deutschland festgenommen und später an die Schweizer Behörden übergeben.

Sein Bruder wurde im September 2005 in Haft genommen. Auch der Vater der beiden, Friedrich Tinner, sass wegen des Verdachts auf Atomschmuggel mit Libyen vorübergehend in Haft.

Die drei sollen 2001 bis 2003 für Abdul Qader Khan, den «Vater der pakistanischen Atombombe», gearbeitet haben, der ein geheimes Atomwaffenprogramm für Libyen durchführte.

Die Affäre flog Anfang 2004 auf, nachdem Libyen sein Atomwaffenprogramm eingestellt und Khan die illegalen Atomgeschäfte mit Iran, Libyen und Nordkorea zugegeben hatte.

Die umstrittene Aktenvernichtung im Fall Tinner hat neben seinem politischen nun auch ein juristisches Nachspiel: Der Bundesrat leitet ein Strafverfahren wegen Amtsgeheimnis-Verletzung ein und will dazu einen ausserordentlichen Bundesanwalt einsetzen.

Dies kündigte Justizministerin Eveline Widmer-Schlumpf am Montag in der Fragestunde des Nationalrats an.

swissinfo.ch

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