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Heiraten gegen den eigenen Willen

Auch die Schweiz muss sich um das Problem von Zwangsheiraten kümmern, das in bestimmten Immigrantenkreisen verbreitet ist. Die Regierung spricht sich aber gegen eine entsprechende Strafnorm aus.

Der Luzerner Parlamentarier Lathan Suntharalingam, der aus Sri Lanka stammt, engagiert sich an vorderster Front gegen das Problem. Dieses lässt sich seiner Meinung nach nicht mit «multikultureller Schönfärberei» lösen.

Es kann zu echten Tragödien führen, wenn Personen gegen ihren Willen zu einer Ehe gezwungen werden.

Denn Zwangsheiraten arten häufig in Gewalttätigkeiten aus. Die Folgen für Körper und Psyche können schwerwiegend sein.

Die Schweiz wird von diesem Phänomen nicht ausgespart. Zur Zahl von erzwungenen Ehen in der Schweiz gibt es aber nur Schätzungen.

Eine der wenigen Untersuchungen zum Thema, die 2006 von der Fondation Surgir in Lausanne verfasst wurde, geht von 17’000 Fällen aus.

Lathan Suntharalingam geht davon aus, dass das Problem der Zwangsehen vor allem in Immigrantenfamilien verbreitet ist, die aus patriarchalischen Kulturen stammen.

Sunatharalingam stammt selber aus Sri Lanka, lebt seit 1988 in Luzern und ist dort Parlamentarier. Er gehört zu den Gründern einer Plattform, welche Zwangsehen bekämpft.

Integrationsproblem

«Zwangsehen können zwar nicht systematisch mit bestimmten Herkunftsländern oder Religionen in Verbindung gebracht werden. Gleichwohl ist unbestreitbar, dass Zwangsehen in der Schweiz ein Integrationsproblem darstellen», meint Suntharalingam.

Das Phänomen sei vor allem bei hinduistischen Tamilen, bei Aramäern, bei muslimischen und katholischen Kosovaren, bei orthodoxen Juden, bei sunnitischen Türken sowie unter Kurden anzutreffen.

«Die Zwangsehe unter zugewanderten Landsleuten ist oft eine Folge mangelnder Integration. Beispielsweise sind viele Tamilen in schlecht bezahlten Jobs tätig und sprechen kaum die Nationalsprachen. Sie leben in einer eigenen Welt und sind skeptisch gegenüber dem westlichen Lebensstil.»

Lathan Suntharalingam ergänzt: «Die Eltern glauben in diesen Situationen, sie täten etwas Gutes, wenn sie die Heirat für ihre Kinder arrangieren.» Die Heirat ausserhalb der eigenen ethnischen Gemeinschaft werde als ein Wagnis gesehen, das schnell zu einer Scheidung führen könne. Die Familien stünden zudem häufig unter dem Druck ihrer eigenen Landsleute.

Kritik an Multikulti-Schönfärberei

Suntharalingam kritisiert zudem «die Gutgläubigkeit gewisser multikultureller Politiker, die in den Zwangsheiraten einfach einen kultureller Unterschied sehen». So werde das Problem verharmlost und schön geredet.

Auch Personen, die beruflich mit Immigranten zu tun hätten, schauten häufig über das Phänomen der Zwangsheirat hinweg. Sie wollten sich so a priori dem Vorwurf der «Diskriminierung» entziehen.

«Doch wir junge Schweizer ausländischer Herkunft wollen das Problem nicht ignorieren, sondern seriös angehen und den Zuständen ein Ende setzen. Nur so kann wahre Emanzipation geschaffen werden», unterstreicht der junge Familienvater.

Regierung gefordert

Was schlägt Suntharalingam vor? «Es ist nötig, dass Zwangsheiraten strafrechtlich als Offizialdelikt anerkannt und verfolgt werden.»

Genau diese Forderung wird von einigen Politikern geteilt. Die freisinnige Ständerätin Trix Heberlein hat in einer Motion den Bundesrat dazu aufgefordert, «unverzüglich alle notwendigen gesetzgeberischen Massnahmen (Strafrecht, Zivilrecht, Ausländerrecht usw.) zu ergreifen und ein umfassendes Konzept zu erarbeiten, das geeignet ist, Zwangsheiraten und arrangierte Heiraten zu verhindern».

Die Motion wird am 12. März im Parlament diskutiert. Die Regierung lehnt den Vorstoss ab. Dabei stützt sich die Exekutive auf einen Mitte November 2007 verabschiedeten Bericht über Zwangsheiraten, der ein rein zivilrechtliches Vorgehen empfiehlt und ansonsten den bestehenden rechtlichen Rahmen als ausreichend für die Strafverfolgung bezeichnet.

Gezielte Sensibilisierung

«Die Einführung einer Strafrechtsnorm zu Zwangsheiraten könnte zwar in der öffentlichen Meinung zu einer Sensibilisierung führen. Doch es ist wenig wahrscheinlich, dass dieses Signal die eigentlichen Urheber der Zwangsheiraten und einen Schutz der Opfer erreicht», meint die Regierung.

Nur im Privatrecht sieht die Regierung Handlungsbedarf. Zum besseren Schutz der Opfer soll eine unter Zwang geschlossene Ehe neu ein Grund für deren unbefristete Ungültigkeit sein.

Nach geltendem Recht kann eine Zwangsehe nur innerhalb einer begrenzten Frist auf Begehren des gezwungenen Ehegatten für ungültig erklärt werden.

Der Bundesrat will zudem präventive Massnahmen fordern. Der Bund und die Kantone sollen mit gezielten Kampagnen besonders betroffene Immigranten-Gemeinschaften sensibilisieren.

swissinfo, Andrea Clementi
(Übertragung aus dem Italienischen: Gerhard Lob)

In der Schweiz gibt es keine juristische Definition der Begriffe Zwangsheirat und arrangierte Ehe.

In der Regel gilt eine Heirat dann als Zwangsheirat, wenn sie gegen den Willen von mindestens einem Ehepartner zustande kommt.

Von einer arrangierten Ehe spricht man, wenn diese von Dritten organisiert wird, aber mit dem Konsens der beiden Ehepartner geschieht.

Das Schweizer Strafrecht kennt keine eigenen Artikel zu Zwangsheiraten. Allerdings fällt die Zwangsehe unter den Straftatbestand der Nötigung und wird somit von Amts wegen verfolgt.

Zudem sind die häufig mit Zwangsheiraten einher gehenden Handlungen wie Drohung, Entführung, Freiheitsberaubung oder Gewalt (körperlich, sexuell oder physisch) ebenfalls strafbar.

Lathan Suntharalingam ist 1988 als 14-jähriger mit Eltern und Geschwistern aus dem tamilischen Gebiet Sri Lankas in die Schweiz geflüchtet.

Er wurde später Schweizer Bürger und 2004 für die Sozialdemokratische Partei (SP) auf Anhieb ins Luzerner Stadtparlament gewählt. 2007 schaffte er den Sprung ins Kantonsparlament.

Heute arbeitet er als Intensivpfleger am Kantonsspital Luzern und hat ebenfalls einen Abschluss in «interkultureller Kommunikation».

Mit gleichgesinnten Secondos und Wissenschafterinnen gründete er die Plattform www.zwangsheirat.ch, welche die Zwangsheirat bekämpft.

Suntharalingam ist verheiratet und Vater einer Tochter.

Die Motion der freisinnigen Ständerätin Trix Heberlein «Massnahmen gegen Zwangsheiraten und arrangierte Heiraten» (Dezember 2006) wird am 12. März 2008 im Nationalrat diskutiert.

Die Regierung hat sie in ihrer Stellungnahme vom 14. Februar 2007 abgelehnt. Sie lehnt ein eigenes Gesetz ab.

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